Das Europäische Parlament wurde in seiner jetzigen Zusammensetzung in der Zeit vom 04. bis 07. Juni 2009 nach den grundlegenden Prinzipien in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. An diesen demokratischen Grundprinzipien soll nunmehr durch einen Vorschlag der spanischen Regierung gerüttelt werden.

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte über eine Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode scheint mir komplett unnötig zu sein.

(Roland Claus (DIE LINKE): Aber nur bis eben!)

Das Europäische Parlament wurde in seiner jetzigen Zusammensetzung – das bestreitet hier niemand – nach demokratischen Regeln gewählt. Wenn durch das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zukünftig neue Regeln gelten, ist das meiner Ansicht nach kein Grund, in der laufenden Wahlperiode Veränderungen vorzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Einberufung einer Regierungskonferenz zu diesem Thema scheint mir völlig deplaziert. Wir haben in diesen Tagen nun wirklich Wichtigeres zu tun, zum Beispiel uns mit der Lage Griechenlands auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke ist solidarisch an der Seite der protestierenden Bevölkerung in Griechenland.

(Beifall bei der LINKEN)

Die soziale Situation in Griechenland ist keinesfalls so, wie die Bild-Zeitung schreibt. Wir gehen davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands jedes Recht haben, deutlich zu machen, dass sie den radikalen Sozialabbau, der sich mit den Auflagen der Banken und der Staaten verbindet, nicht hinnehmen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Festzuhalten ist aber auch: Kein Protest der Welt darf zum Tod unschuldiger Menschen führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir trauern mit um die Menschen, die gestern in Griechenland ums Leben gekommen sind. Die Debatte um die riesige Staatsverschuldung vieler Euro-Länder macht deutlich, dass die bisherige Vertragsarchitektur der EU nicht geeignet ist, eine erfolgreiche europäische Integration zu sichern. Das gilt vor allem   das ist in vielen Diskussionen der letzten Tage deutlich geworden   für den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir reden diese Woche über Griechenland; doch die Wahrheit ist: Die Euro-Zone wackelt in Gänze.
Die Linke fand viele der europäischen Verträge in wesentlichen Punkten falsch. Sie hat sie seit Langem – wie sich jetzt zeigt, zu Recht – kritisiert bzw. abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade weil wir eine dauerhafte stabile Europäische Union wollen, brauchen wir neue Regeln. Wenn aber schon solche Verträge gemacht werden, dann sollten sich die vertragschließenden Parteien in ihrem Handeln daran halten. Auch hier gilt der alte Satz: Pacta sunt servanda. Ein Beispiel für den kreativen Umgang mit Verträgen   davon war hier ja schon die Rede   war der Umgang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt durch Rot-Grün. Die Einleitung eines Verfahrens wegen Überschreitung der festgelegten Stabilitätskriterien wurde durch Rot-Grün verhindert. Das hat   scheinbar zum Vorteil Deutschlands und Frankreichs   zur Entwertung von geltendem europäischem Recht geführt. Kein Wunder, finde ich, dass andere Länder ebenfalls Recht im eigenen Interesse interpretiert haben; auch davon war hier in den letzten Tagen wiederholt die Rede.

Die heutige Regierungskoalition ist meiner Ansicht nach dabei, diesen Fehler zu wiederholen. Die deutsch-französische Freundschaft   das konnten wir jetzt mehrfach hören   ist ein dafür vorgetragenes Argument. Mit dem Antrag von CDU/CSU und FDP wird die Bundesregierung aufgefordert, schwerwiegende Gründe mitzuteilen, warum zusätzliche Mandate nicht auf der Grundlage der Ergebnisse der letzten Europawahlen oder über allgemeine Ad-hoc-Wahlen bestimmt werden. Das ist eine Einladung, dem undemokratischen Selbstbenennungsverfahren durch nationale Parlamente zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Lösung verstößt gegen Art. 14 Abs. 3 des EU-Vertrages und fällt hinter europäische Wahlrechtstandards von 1979 zurück. Um Frankreich einen Freundschaftsdienst zu erweisen, wird das Vertrauen in europäisches Recht beschädigt. Das verstärkt den Eindruck, dass es in der EU Mitglieder erster und zweiter Klasse gibt: solche, deren Mitgliedschaft oder deren Beitritt mit ganzer Konsequenz am geltenden Recht gemessen wird, und solche, wo man auch einmal ein Auge zudrücken kann.
Mit dem kreativen Handhaben von hart erkämpften Regeln der EU verstärkt die Bundesrepublik vorhandene Instabilitäten. Die Linke ist der Überzeugung: Es genügt, die neuen Regeln zur Besetzung des Europäischen Parlaments laut Vertrag von Lissabon mit der Wahl 2014 umzusetzen. Wenn Sie das aber jetzt machen wollen, fordern wir die Bundesregierung auf, keinem Verfahren zuzustimmen, mit dem nationale Parlamente Abgeordnete in das Europaparlament entsenden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn schon eine Regierungskonferenz einberufen wird, ist es angesichts der aktuellen Lage nötig, über drängendere Probleme als diese zu sprechen. Stellen Sie den Stabilitäts- und Wachstumspakt auf ein solides Fundament. Verhandeln Sie über eine Wirtschaftsregierung. Beschließen Sie eine soziale Fortschrittsklausel. Es ist an der Zeit, dass sozialstaatliche Grundwerte Vorrang vor der Kapitalfreiheit erhalten.
Schönen Dank.