Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkan, so heißt der Antrag der SPD, den wir heute debattieren. Zur ehrlichen Debatte gehört auch der Blick in die Vorbedingungen der jetzigen Situation. Und da muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die schwarz-gelbe Regierung 1991 durch ihre vorzeitige Anerkennung von Slowenien und Kroatien Mitverantwortung für die Eskalation der nationalistischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien hat. Zur ehrlichen Debatte gehört auch die Feststellung, dass die rot-grüne Regierung die Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriff auf Rest-Jugoslawien im Jahr 1999 trägt.
Diese Rede wurde zu Protokoll gegeben.
Sehr geehrter Herr Präsident/ sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkan, so heißt der Antrag der SPD, den wir heute debattieren. Zur ehrlichen Debatte gehört auch der Blick in die Vorbedingungen der jetzigen Situation. Und da muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die schwarz-gelbe Regierung 1991 durch ihre vorzeitige Anerkennung von Slowenien und Kroatien Mitverantwortung für die Eskalation der nationalistischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien hat. Zur ehrlichen Debatte gehört auch die Feststellung, dass die rot-grüne Regierung die Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriff auf Rest-Jugoslawien im Jahr 1999 trägt.
In dem heute zu debattierenden Antrag finden wir dennoch viele richtige Ansätze. DIE LINKE begrüßt die Aussage, den EU-Erweiterungsprozess nicht zu stoppen und die Zusagen des Europäischen Rates von Thessaloniki nicht in Frage zu stellen. Obwohl die EU selbst im Moment nicht mehr eine so attraktive Ausstrahlung hat, wie noch 2003. Die EU-Mitgliedschaft bietet für die Staaten des Westbalkans dennoch eine große Chance auf eine dauerhaft friedliche Perspektive. Angesichts der aktuellen Fortschrittsberichte ist dies aber eine Jahrhundertaufgabe und keine schnell zu lösende Herausforderung.
Auch wir stehen dazu, dass die Beilegung regionaler Konflikte und die Anerkennung bestehender Grenzen Bedingung für eine EU-Mitgliedschaft sind. In den seltensten Fällen kann man die Grenzstreitigkeiten in der Region aber als bilateral bezeichnen, wie dies im Antrag getan wird. Deshalb hat sich DIE LINKE gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 ausgesprochen.
Wir begrüßen, dass Serbien nun den Status eines Beitrittskandidaten hat. Allerdings muss hier zur Ehrlichkeit hinzugefügt werden, dass die Vorbedingung der Anerkennung eines unabhängigen Kosovo durch Serbien sich noch als ein Pferdefuß für den gesamten West-Balkan herausstellen kann. Denn die einseitige Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 wird mit dem Gutachten des internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Blaupause für weitere territoriale Aufsplitterungen im ehemaligen Jugoslawien.
Mit der Ankündigung eines Zahlungsstopps an die bosnische Armee ist der Ministerpräsident der Republik Srpska, Milorad Dodik, bereits einen weiteren Schritt in Richtung seines politischen Vorhabens gegangen, Bosnien-Herzegowina aufzulösen. Das «Haltbarkeitsdatum Bosniens» sei schon längst abgelaufen, so Dodik am Anfang Oktober. Er fordert ein Referendum zur Ablösung von Srpska aus Bosnien ein. Niemand wird nach einem der Sezession zustimmenden Referendum glaubwürdig begründen können, warum für Srpska nicht gelten soll, was für Kosovo rechtens ist. Die aktuellen Erwägungen, das Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina ins Ausland zu verlagern, spielen dieser Entwicklung in die Hände.
Deshalb ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, warum die EU in dieser problematischen Situation mit dem Kosovo noch einen Schritt weiter geht. Trotz der Tatsache, dass fünf Mitgliedsstaaten (Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern) das Kosovo nicht als eigenständigen Staat anerkennen, will sie einen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen auf den Weg bringen. In der mit den Fortschrittsberichten veröffentlichten Machbarkeitsstudie heißt es auf Seite 4: „Die Assoziierung des Kosovo mit der Europäischen Union ist mit der Tatsache vereinbar, dass die Mitgliedstaaten der Union unterschiedliche Standpunkte in Bezug auf den völkerrechtlichen Status des Kosovo haben.“ Es scheint, als sollte hier das Krisenpotenzial des Westbalkan in die EU selber hineingetragen werden.
Bosnien-Herzegowina ist derzeit das räumliche und politische Krisenzentrum. In dem Fortschrittsbericht ist die Rede davon, dass Korruption sowohl im öffentlichen als auch im Privatsektor noch immer ein weit verbreitetes und gravierendes Problem ist. Die Zersplitterung der Polizeikräfte in Bosnien und Herzegowina wirkt sich nach wie vor nachteilig auf die Effizienz, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch aus. Die Roma sehen sich nach wie vor mit sehr schwierigen Lebensbedingungen und mit Diskriminierung konfrontiert. Positive Wandlungen können kaum festgestellt werden.
Kroatien soll am 1. Juli 2013 der 28. Mitgliedsstaat der EU werden, aber der Fortschrittsbericht zählt zehn Punkte auf, die der Aufnahme entgegen stehen. Im Hinblick auf den Grenzverlauf sind mit Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina keine konkreten Fortschritte erzielt worden. Die Roma-Minderheit lebt unter besonders schwierigen Bedingungen: Bildung, Sozialschutz, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und der Zugang zu Personaldokumenten sind weiterhin problematisch.
Bundestagspräsident Lammert fordert angesichts der Bewertung der Fortschritte in Kroatien einen Stopp der EU-Erweiterung. Auch die negativen Erfahrungen der Beitritte von Bulgarien und Rumänien könnten nicht ignoriert werden. Die EU müsse sich erst selber stabilisieren, bevor sie sich erweitern könnte. Hier deutet sich ein politischer Kurswechsel an, der die Lösung der Krise eher in der Konzentration auf ein Kerneuropa bzw. ein Europa der zwei Geschwindigkeiten sieht.
Innenminister Friedrich stößt in das gleiche Horn. Er will die Visumspflicht für die Balkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Albanien, Mazedonien, Serbien und Montenegro wieder einführen. Er bekommt von dem EU-Innenkommissarin Malmström hierin Unterstützung. Erst im Juni hat die EU Beitrittsverhandlungen mit Montenegro beschlossen, obwohl das Land als eines der korruptesten Länder der Welt gilt. Gegen den gerade gewählten Premierminister Milo Djukanovic laufen in mehreren westeuropäischen Ländern Verfahren gegen groß angelegten Zigarettenschmuggel. Seine Familie ist in zahlreiche Affären verstrickt. Justiz und Medien stehen unter dem Einfluss der Regierung.
Angesichts der realen Lage auf dem Westbalkan ist schwer nachvollziehbar, warum in der jetzigen Situation noch von Fortschrittsberichten gesprochen wird. Es sind Stagnations- oder sogar Rückfallberichte, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen. Große Teile des Balkans innerhalb und außerhalb der EU sind heute wieder politische und ökonomische Zonen der Instabilität. Gerade deswegen ist es wichtig, an der Idee von einem friedlich geeinten Kontinent festzuhalten.
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