Das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ist auf mehrere Jahre angelegt. In dem Programm geht die Kommission davon aus, dass es in den nächsten Jahren eine Perspektive der Normalität gibt. Die politischen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind darin komplett ausgeblendet.
Rede von Thomas Nord im Bundestag (Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrter Herr Präsident/ sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Seit einem dreiviertel Jahr bin ich Bundestagsabgeordneter und wenn ich mir die Berichte über die letzten Tagungen des Europäischen Rates in Erinnerung rufe, war es stets so, dass die Teilnehmer ins Flugzeug stiegen und beim Aussteigen war die Tagesordnung in der Regel eine andere als zuvor.
Ich kann also aus vollem Herzen dem Satz in der Einleitung des Arbeitsprogramms der Kommission zustimmen. „Weitermachen wie bisher ist ausgeschlossen.“ Ein kluger Satz. Aber wenn ich das Programm lese, sind die politischen Folgen dieses Satzes darin ausgeblendet.
Der größere Teil des Arbeitsprogramms ist der Konkretisierung der Strategie Europa 2020 gewidmet. Diese ist eine Fortsetzung der Lissabon-Strategie. Hier im Plenum waren sich alle Fraktionen einig: Diese ist gescheitert! Uneinigkeit bestand doch nur darüber, WARUM SIE gescheitert ist.
Die Koalition und Teile der Opposition sind der Meinung, die Strategie war überfrachtet und unverbindlich. DIE LINKE ist der Auffassung, Lissabon war ein grundlegend falscher Weg. Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung sind die falschen Mittel für ein dauerhaft friedlich geeintes Europa.
Ohne die Deregulierung der Finanzmärkte der letzten Jahre wäre die Krise so gar nicht möglich gewesen. Mit ihr wurden die Banken und die Spekulanten doch geradezu zu ihrem Handeln animiert. In der Folge hatten wir eine Banken- und Finanzkrise.
Die Staaten haben dann massiv finanzpolitisch interveniert. Die Folge ist, dass wir heute eine Krise vieler europäischer Staaten haben. Die Lissabon-Strategie ist nicht nur ökonomisch, sie ist auch politisch gescheitert. Das gilt ebenso für viele Vertragsgrundlagen der EU.
Die Wettbewerbsfixierung des Binnenmarktes. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die strikte Bindung der EZB auf Preisstabilität statt auf Wachstum und Beschäftigung haben die Krise doch noch verschärft.
Im Arbeitsprogramm der Kommission findet sich gerade hierzu kein kritisches Wort. Die Diskussion über eine europäische Wirtschaftsregierung, über solidarische Ausgleichsmechanismen in einer Währungsunion, Mindeststandards zur Beschränkung des Lohn- und Steuerdumpings finden hier nicht statt.
Die Kommission sieht die Lösung der Krise wie die Bundesregierung im Sparen. Bis 2013 soll das Staatsdefizit der entwickelten Industrienationen halbiert werden. Ab 2016 soll es mit dem Abbau der Schulden losgehen. Dann steht der Schuldenstand für Deutschland in etwa bei 2 Billionen Euro.
Selbst wenn die Bundesregierung jedes Jahr 10 Milliarden zurückzahlen würde -gut drei Prozent des Haushaltsplans 2011- dauert das ohne Berücksichtigung von Zins und Zinseszins etwa 2.000 Jahre. Das ist doch wohl unrealistisch.
Wir brauchen endlich eine grundsätzliche Veränderung der Einnahmesituation. Die Krisenprofiteure müssen zur Sanierung der Staatskassen beitragen. Aber auch davon steht nichts im Arbeitsprogramm. Weder davon, wie Geldinstitute und Spekulanten an der Finanzierung der Krisenfolgen beteiligt werden, noch von der Finanzmarkttransaktionssteuer.
Die Kommission setzt das Arbeitsprogramm auf, als gäbe es eine Perspektive der Normalität. Die Realität sieht jedoch anders aus: Generalstreik in Griechenland, Generalstreik in Rumänien, Generalstreik in Spanien, Generalstreik in Ungarn, Generalstreik in Italien. Europaweit ist der Widerstand gegen die Sparpolitik zu hören.
Dieser Widerstand ist nicht nur hinsichtlich der persönlichen Betroffenheit nachvollziehbar. Er ist auch ökonomisch sinnvoll und absolut notwendig. Das Sparen führt zu einem Schrumpfen der Nachfrage und damit zu einer Verschärfung der Krise, nicht zu ihrer Überwindung.
Ich komme zum Schluss:
Das Arbeitsprogramm der Kommission 2010 beschreibt eine Normalität, die so nicht in Sicht ist. Die Kommission stellt die Frage nach den Ursachen für die jetzige Situation nicht. Daher gibt sie darauf auch keine Antworten, entwickelt keine tragfähigen Lösungen. Die teils sinnvollen Einzelinitiativen im Arbeitsprogramm schweben im Raum. Ihnen fehlt ein Fundament.
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