DIE LINKE stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil damit die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine Friedensperspektive zu bieten. Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik kann in der Gesamtabwägung nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen.

Herr Präsident! Herr Botschafter! Sehr geehrte Damen und Herren!

Kroatien hat – das ist hier schon mehrfach gesagt worden – bis zum Beitritt zur Europäischen Union einen langen Weg zurückgelegt, einen längeren als alle anderen Beitrittsländer bisher. Nun jedoch wird Kroatien am 1. Juli dieses Jahres das jüngste Mitglied der Europäischen Union. Das ist für viele Menschen dort und auf dem Westbalkan ein Grund zur Freude. Das positive Referendum zum EU-Beitritt in Kroatien ist für uns ein wesentliches Argument, um ihm zuzustimmen; denn für uns ist die Akzeptanz des Beitritts in den Ländern selbst entscheidend für unsere eigene Zustimmung. Das 2003 gegebene Versprechen einer Beitrittsperspektive an den gesamten Westbalkan – davon war hier schon die Rede – darf angesichts der momentanen Krise der Euro-Zone und der Europäischen Union nicht zurückgenommen werden.

Deutschland steht da gerade angesichts der politischen Mitverantwortung für den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens – und hier trennen sich die Wege – aus unserer Sicht in moralischer Verantwortung. Wer an dieser Stelle sagt, dass Kroatien von der Anerkennung als unabhängiger Staat bis zum heutigen Tag eine geradlinige Entwicklung vollzogen hat, der blendet einen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Tote gefordert hat. Ich finde, das kann man hier nicht machen. Gerade das aktuelle Abkommen zwischen Serbien und Kosovo besagt im Kern, dass sich beide Seiten auf dem Weg in die Europäische Union keine Hürden in den Weg stellen wollen. Das zeigt: Die Beitrittsperspektive ist der einzige positive Anreiz für einen rationalen Umgang zwischen nach wie vor verfeindeten Parteien. Ein wirklicher Aussöhnungsprozess oder gar eine Anerkennung des Kosovo als eigenständiger Staat durch Serbien kann hieraus eben nicht abgeleitet werden.

Erst die Praxis der nächsten Zeit wird erweisen, welche Substanz dieses Abkommen hat. Allerdings gibt es auch in Kroatien Menschen, die den Beitritt nicht mit Freude, sondern eher mit Sorge erwarten, und das sind bei weitem nicht alles unbelehrbare Nationalisten. Es gibt Sorgen und Bedenken, auch in Kroatien, die wir ernst nehmen sollten. Von 1,7 Millionen erwerbsfähigen Menschen in Kroatien sind 370.000 arbeitslos. Der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisierung der Werften hat hier mehr geschadet, als dass er genutzt hat. Das Wirtschaftswachstum fiel im Vorjahr um 1,9 Prozent. Das Haushaltsdefizit stieg zuletzt auf 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein großer Investitionsboom wird mit dem Beitritt in Kroatien nicht erwartet. Kroatien wird mit dem EU-Beitritt Handelsvorteile verlieren, und nur vom Tourismus wird auch Kroatien auf Dauer nicht leben können. Gerade an Beitrittsstaaten wie Kroatien wird deutlich: Die mit dem Beitritt auferlegte Wirtschaftspolitik von Deregulierung, Privatisierung und Abbau öffentlicher Leistungen ist kein zukunftsfähiger Weg für Europa und die Europäische Union. Im Gegenteil, wie die aktuelle Lage in Griechenland, Spanien, Portugal, Zypern usw. zeigt: Dieser Weg gefährdet nicht nur die Existenz der Euro-Zone, sondern der Europäischen Union insgesamt. Notwendig sind gerade auf dem Westbalkan auch öffentliche Programme, also zum Beispiel EU-Investitionsprogramme zur Reindustrialisierung der Region.

Das kann übrigens zum Vorteil für alle Mitgliedstaaten und ein guter Weg zur Überwindung der Krise insgesamt sein. Wer sich nur auf private Investoren verlässt, wird noch die letzte Privatisierung der Telekommunikation bekommen, und das war es dann. Die Politik der Troikas, der Schuldenbremsen und der Kürzung der Mittel für die EU ist, aus unserer Sicht jedenfalls, ein Irrweg. Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik kann aber nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen. Nach Slowenien wird nun ein zweiter Staat, der aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorging, der Europäischen Union beitreten. Damit wird der Beschluss von Thessaloniki weiter umgesetzt. Durch diese Umsetzung wird wieder ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger der Staaten, die aus dem blutigen Konflikt in Jugoslawien hervorgegangen sind, in einer gemeinsamen Union ermöglicht. Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil damit die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine Friedensperspektive zu bieten. Dauerhaft, meine Damen und Herren, wird diese Friedensperspektive für den Westbalkan und ganz Europa nur dann sein, wenn die jetzige selbstzerstörerische Politik in der Europäischen Union von einer solidarischen, gerechten und demokratischen Politik für die Menschen in der EU insgesamt abgelöst wird.

Dankeschön.