Im Rahmen der 170. Sitzung des Deutschen Bundestages hielt Thomas Nord am 2. Juli eine Rede zum Europäischen Haushalt 2021-2027.
Der Paradigmenwechsel der EU-Finanzpolitik war längst überfällig. Die Bevollmächtigung der EU-Kommission zur Kreditaufnahme und die Steigerung der Eigenmittel sind zwei sinnvolle Instrumente, um der EU finanzpolitisch über die nächsten sieben Jahre zu helfen. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in der EU können nur in einem rechtsstaatlichen Verfahren ermittelt werden.
Lesen Sie hier die Rede:
„Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen hier über den mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union für die Jahre 2021 bis 2027 und über Anträge der Grünen, der FDP und der AfD zum Thema. Ich konzentriere mich auf zwei Punkte.
Der neue mehrjährige Finanzrahmen wird in schwierigen Zeiten debattiert; das war hier mehrfach zu hören. Brexit und Coronakrise überlagern und bestimmen die Debatte. Aber auch ohne diese Krisen wäre es höchste Zeit, die bisherige Politik der Europäischen Union, die ja nachhaltig von Deutschland geprägt wurde, zu verändern. Die Linke hat das hier im Bundestag jahrelang gefordert. Das jetzt von den Regierungen in Paris und Berlin vorgeschlagene Wiederaufbauprogramm ist ein längst fälliger Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik der EU und der Bundesregierung, den wir grundsätzlich unterstützen.
Gemeinsam mit dem regulären MFR werden den Mitgliedstaaten mehr als 1,8 Billionen Euro zur Verfügung stehen, um drängende Aufgaben zu realisieren. Wir unterstützen, dass die EU-Kommission zur gemeinsamen Kreditaufnahme bevollmächtigt wird, halten auch die Forderungen nach Eigenmitteln der Europäischen Union für richtig. Die Einführung der in der Diskussion stehenden Finanztransaktionsteuer gehört schon lange zu unseren Forderungen. Auch eine Digitalsteuer oder eine Plastiksteuer hat unsere Zustimmung.
Viele der im Antrag der Grünen formulierten Vorschläge zum Einsatz der Mittel können wir durchaus unterstützen. Das Wichtigste aber ist, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik der EU und ihre Institutionen wiederherzustellen. Dieses ist nämlich schwer erschüttert. In Italien haben 70 Prozent der Menschen kein Vertrauen mehr in die Europäische Union. In Frankreich gehen noch 40 Prozent zur Wahl. 60 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger gehen davon aus, dass etablierte Parteien sich nicht für sie interessieren. Bei Menschen mit geringem Einkommen liegt dieser Anteil sogar bei 73 Prozent. Das sollte uns nachdenklich machen.
Die soziale Frage und die Frage „Wer zahlt für die Krise?“ gehören deshalb ins Zentrum der Debatte. Die Initiative für ein EU-weites Kurzarbeitergeld war gut. Armutsfeste Mindestlöhne in allen Mitgliedstaaten müssten jetzt folgen.
In den Anträgen der Grünen, der FDP und der AfD wird die Konditionalisierung von Mitteln der EU bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch Mitgliedstaaten thematisiert. Die AfD fordert dazu auf, solche Vorstöße zu ignorieren, und die Grünen wollen diese sanktionieren. Die FDP fordert eine makroökonomische Konditionalisierung von EU-Mitteln. Diesem Vorschlag fehlt jede vertragsrechtliche Grundlage. Hier sollen Mitgliedstaaten geschurigelt werden. Das lehnen wir klar ab.
Zugleich gilt: Wer Mitglied in der EU ist, ist es aus freiem Willen. Pacta sunt servanda. Daher ist es richtig, gegen Rechtsstaatsverstöße vorzugehen. Allerdings muss die Feststellung eines Verstoßes wiederum in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgen. Die bisherigen Vorschläge dazu überzeugen nicht. Eine weitere Debatte erscheint mir unabdingbar. Herzlichen Dank.“
Kommentieren