Der Kaspar, der war kerngesund, Ein dicker Bub und kugelrund. Er hatte Backen rot und frisch; Die Suppe aß er hübsch bei Tisch. Doch einmal fing er an zu schrein: „Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess ich nicht!“ Das Märchen endet damit, dass der Kasper am fünften Tage der Nahrungsverweigerung so mager ist, dass er daran stirbt. Das Märchen könnte ebenso gut von den Folgen handeln, die aus verweigerten Lehren, Schlüssen und Erkenntnissen der Euro-Krise resultieren. „Meine Lehre zieh ich nicht! Nein, meine Lehre zieh ich nicht,“ schreit die herrschende Politik in Europa. Die Euro-Krise ist von der Peripherie in das Zentrum gestoßen. Das Auge des Hurrikan wird beständig kleiner und steht am Rande der Auflösung. Die Zeit, die man sich mit dem Rettungsschirm mühselig erkauft hat, ist ungenutzt verstrichen. Eine Einigung über die richtigen Maßnahmen gegen die Krise ist nicht in Sicht. Die Fronten zwischen der Europäischen Kommission und den Staats- und Regierungschefs um die Zukunft der Währungsgemeinschaft sind verhärtet.

Trotz dessen hat Kommissionspräsident Barroso am Mittwoch nachgesetzt und seine drei Pläne zur Einführung von Euro-Bonds vorgestellt. Von den sechs Triple-A-Ländern Deutschland, Österreich, Frankreich, Luxemburg, Finnland und den Niederlanden gibt es bis einhellige Ablehnung, lediglich Luxemburgs Premier und Euro-Gruppen-Vorsitzenden Jean-Claude Juncker äußerte sich positiv.

Angela Merkel hat am Mittwoch ihre Ablehnung von Barrosos Plänen bekräftigt. Sie hat die Einführung von Euro-Bonds an das Ende einer stärkeren europäischen Integration in Aussicht gestellt, wohl wissend dass diese keine Mehrheiten in den Mitgliedsstaaten bekommen wird. Also tritt die Entwicklung im Streit um die Zukunft der Eurozone und der EU in die nächste Phase der Eskalation. Nach der Hebelung der Krise auf eine Billion Euro für die EFSF, die bis heute nicht praktisch umgesetzt sind, prüfen die Märkte, ob sie der Bonität der Triple A-Länder trauen können.

Über Frankreich schwebt der Abwertungshammer mit Konsequenzen für die Bonität der EFSF, die dadurch ebenfalls sinken würde. Österreich, Finnland und Niederlande mussten erkennbare Aufschläge auf die Zinsen annehmen. Die Bundesrepublik konnte das erste Mal einen Verkauf von zehnjährigen Staatsanleihen nicht vollständig durchführen. Insgesamt nahm der Bund bei der Auktion nur 3,644 Milliarden Euro ein. Das angekündigte Emissionsvolumen lag aber bei sechs Milliarden Euro. Die Rendite lag mit 1,98 Prozent erstmals bei einer Erstemission einer zehnjährigen Bundesanleihe unter der Zwei-Prozent-Marke. Nur bei der Aufstockung einer zehnjährigen Anleihe im September lag die Rendite mit 1,80 Prozent noch niedriger. Der Grund für die Zurückhaltung der Märkte wird mit einem Realkapitalverlust erklärt, weil beide Zinssätze unterhalb der Inflationsrate in der Eurozone von ca. 2,5 % liegen. Der Vorteil, den der deutsche Staatshaushalt aus dem Handelsbilanzüberschuss innerhalb der Eurozone gezogen hat, ist dahin. Auch diese Lehre kann man aus dem Ereignis vom 23.11. ziehen.

Obendrein mehren sich die Rufe wöchentlich, dass die unregulierten Finanzmärkte kurz davor stehen, die Weltwirtschaft wie 2008 in eine neue Krise zu reißen. Dies hört sich manchmal an wie ein Ruf der Finanzmärkte selber. Sie sind gar nicht in der Lage, legislative ordnungspolitische Rahmenbedingungen für ihr Handeln zu setzen, sie haben dafür auch kein Mandat. Die Regulierung der Finanzmärkte ist die derzeit wichtigste Aufgabe der Politik. Die Staatsregierungen können, wenn sie diese Aufgabe nicht umsetzen, auf Grund ihrer Haushaltssituation in der nächsten Finanzkrise keine Konjunkturprogramme mehr auflegen. Die Krise wird also dieses Mal nicht von einer Abwrackprämie und dergleichen abgepuffert werden. Auch deshalb nimmt das Klagen in der Realwirtschaft zu, dass man schuften und machen könne, aber gegen die Spekulation nicht ankomme.

Die Schlussfolgerung einer schärferen Regulierung der Banken und das Verbot von bestimmten Finanztransaktionen, wie Wetten auf Pleite gehende Staaten, die nichts aber auch gar nichts mit realen Geschäften zu tun haben, wird nicht gezogen. Die gegenwärtige Politik wagt es heute nicht einmal mehr, die Vorherrschaft der Investmentbanker und Spekulanten ernsthaft in Frage zu stellen. Sie lamentieren nur. Wahr ist: Nach Griechenland und Italien ist keine Regierung mehr vor der Rücktrittsforderung durch die Märkte sicher. Denn es war nicht nur Rücktritte von Regierungen, sondern es war der Rücktritt demokratisch legitimierter Politik. Aber sind die Märkte für ein Handeln zu verurteilen, das die Politik ihnen nachdrücklich erlaubt hat? Selbst die heutige Machtstellung der Rating-Agenturen hat sie zu verantworten. Der Kasper steht vor der Suppe, die er sich selbst eingebrockt hat und weigert sich, sie auszulöffeln.