Am „Super-Mittwoch“ der ersten parlamentarischen Woche nach der Sommerpause standen der Haushaltsentwurf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Wahl in den Niederlanden im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Auch der Kommissionspräsident Barroso hat die große Öffentlichkeit gesucht und einen Plan zur EU-Bankenaufsicht und seine Idee einer europäischen Konföderation der Nationen vorgestellt.

Entsprechend zu seinem realen politischen Gewicht tauchte er in der Berichterstattung aber nur in die hinteren Reihen auf. Die Bestätigung des ESM durch Karlsruhe war erwartet worden und so kam es nur zu einem kurzen Kurssprung an der Börse, derweil das Parlament zur Tagesordnung der Generaldebatte in der so genannten Elefantenrunde aufrief. Die SPD erzählte ihre Bilanz der letzten Regierungsbeteiligung und lobte den Erfolg der Agenda 2010: Die Bundesrepublik wandelte sich vom kranken Mann in Europa zum kräftigsten Burschen in der Europäischen Union. Die Agenda-Rosskur wird als das leuchtende Beispiel für eine gelungene Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU und der Euro-Zone dargestellt. Wettbewerbsfähigkeit heißt billiger produzieren, billiger arbeiten lassen, weniger soziale Standards bieten, mehr Profit einfahren und die Wiederkehr gesellschaftlicher Unterschichten. Dies ist die andere Seite der Bilanz und Hauptgrund dafür, dass die SPD – in ihrem Ursprung eine Partei der Arbeiterklasse – kaum mehr über 25 % hinauskommt.

Nimmt man einen europäischen oder einen Euro-Blick ein, kommt man zu einer anderen Bewertung als die Sozialdemokratie in der nationalen Haushaltsdebatte. Hier sind es genau die wirtschaftlichen Ungleichgewichte der Staaten zwischen Export und Import, die den Euro als gesamte Konstruktion in die strukturelle Krise geführt haben. Das heißt, die Agenda 2010 ist wesentlicher Bestandteil der Krisenursachen. Die deutsche Wirtschaft hat dicke Taschen und fährt Rekordgewinne ein. Der deutsche Finanzminister freut sich über Steuereinnahmen. Die deutsche Mittelschicht muss mit Bürgschaften für den ESM und die EFSF gerade stehen und sieht dadurch ihren Besitzstand in Gefahr. Die Unterschichten bezahlen die privilegierte Lage der Mittelschichten Tag für Tag mit dem Fördern und Fordern der neoliberalen rot-grünen Agenda-Politik. Dies ist der gefühlte Stimmungsrahmen für die aktuelle Situation, in der die Bundeskanzlerin kein drittes Hilfspaket für Griechenland zur Abstimmung in den Bundestag einbringen will. Sie bekäme keine Mehrheit ihrer Regierungsfraktionen dafür und auch ihr Rückhalt in der Bevölkerung würde schwinden. Ein Jahr vor der nächsten Wahl können ESM und EFSF nicht mehr beliebig aufgestockt werden, also musste eine andere Lösung her.

Diese wurde nicht am „Super-Mittwoch“, den 12. September, sondern bereits am 6. September durch den Präsidenten der Europäischen Zentralbank in Frankfurt (Main) verkündet. Die EZB wird von nun an direkt und unbegrenzt Anleihen von Staaten kaufen, die sich wegen zu hoher Zinsen für Staatsanleihen nicht mehr an den freien Märkten refinanzieren können. Der Kauf allerdings wurde durch das Beharren Deutschlands an die Bedingung geknüpft, dafür „Programm-Land“ werden zu müssen. Das heißt die Staaten, die Mitglied der Euro-Zone sind, und Hilfsanträge stellen, müssen auch weiterhin, wie jetzt schon Griechenland, Irland und Portugal, Bedingungen zur Herstellung von „Wettbewerbsfähigkeit“ akzeptieren: billiger produzieren, billiger arbeiten lassen, weniger soziale Standards bieten, privatisieren, mehr privaten Profit einfahren und die Wiederkehr bzw. weitere Verarmung gesellschaftlicher Unterschichten befördern. Agenda 2010 lässt grüßen. Eine Bewegung, die von der Peripherie der Staaten der Euro-Zone und ihren Gesellschaften in die Mitte zieht. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht von Mittwoch hat im Vergleich zum August 2012 nun eine erheblich geringere Bedeutung. Denn der ESM hat durch die Programmentscheidung der EZB an Bedeutung verloren, bevor er überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat. Die Hauptmusik hat diese Woche weder in Karlsruhe, noch in Berlin gespielt, sondern in Frankfurt. Auch die wichtigsten Entscheidungen der kommenden eineinhalb Jahre werden nicht mehr in den Parlamenten fallen, sondern im Präsidium der EZB. Dieses ist „handlungsfähiger“, weil es sich parlamentarischer Kontrolle entzieht und nicht im Konsens, sondern mit Mehrheit entscheidet.