Herman van Rompuy sagte vor ein paar Wochen auf einem Vortrag, dass man sich eine gute Krise niemals entgehen lassen sollte. Vermutlich meint er damit, eine Krise ist eine gute Gelegenheit, Dinge politisch zu forcieren, die in „normalen“ Zeiten nicht umsetzbar wären. Zum Beispiel die seit den 1980er Jahren diskutierte Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten. Nie war die Chance dafür so günstig, wie auf dem EU-Gipfel am 13./14. Dezember, wo die EU-Staats- und Regierungschef das so genannte „Van-Rompuy-Papier“ beschließen wollen. Federführend in der Erarbeitung waren der Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy, der Kommissionspräsident Manuel Jose Barroso, der EZB-Chef Mario Draghi und der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker. Es wurde über mehrere Monate hinweg in einem komplizierten Verfahren erarbeitet und enthält konkrete Vorschläge zum Umbau der Eurozone.

In dem auch „Vier-Präsidenten-Papier“ genannten Text wird ein weitreichender Umbau des gemeinsamen Währungsraums bis 2014 vorgeschlagen. Nach dem Umbau soll im Anschluss ab 2014 ein gemeinsames Budget nur für die Eurozone geschaffen werden. Hier deutet sich der eigentliche politische Kern des Umbaus der EU an. Was seit den Anfängen in der Montanunion als ein horizontales Gebäude gedacht war, also eine Union mit weitgehend gleichen Rechten für die Mitgliedssaaten, wird in ein vertikales Gebäude verwandelt. Mit der Konstruktion eines Euro-Budgets würde erstens eine Trennung zwischen „Kern-Europa“ und einem nach außen hin abfallenden „Rand-Europa“ vereinbart. Zweitens die Errichtung einer zentralen EU-Ebene, die weitreichende Durchgriffsrechte in die Mitgliedsstaaten hätte. Dies ging der Bundeskanzlerin zum aktuellen Zeitpunkt zu weit, die Idee wurde aber nur auf die lange Bank geschoben. Stattdessen wurde als zentraler Beschluss ein gemeinsamer weiterer Fahrplan bis zum Sommer 2013 verabredet.

In dem Papier zum Umbau der EU werden auch gemeinsame Schuldscheine zum Beispiel in Form von Eurobonds möglich. Bereits am Donnerstagmorgen beschlossen die EU-Finanzminister nach 14-stündigen Verhandlungen eine Bankenaufsicht. Dies wurde auch auf dem Gipfel als weitreichender Beschluss gefeiert. In der Praxis bedeutet dies eine Entmachtung der nationalen Aufsichtsämter. Die europäische Bankenaufsicht soll ab 2014 arbeitsfähig sein und damit in der Lage, Banken direkt zu rekapitalisieren. In der ersten Phase bis 2013 sollen zunächst die Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten aufgehoben werden, für die Schulden der Banken gerade zu stehen. Damit würde der Mechanismus aufgebrochen, mit dem die Staaten derzeit dazu gezwungen werden, sich zu verschulden, um Banken vor der Pleite zu retten.

In den vergangenen Jahren hat genau diese politisch herbeigeführte Regelung dazu geführt, dass die Probleme von Banken z. B. in Irland, Spanien oder Zypern in die Staatshaushalte transferiert wurden. Anschließend mussten die Staaten, die die Fehlspekulationen der Banken mit Steuergeldern abgesichert hatten, unter die Rettungsschirme und wurden zu völlig widersinnigen Austeritätsmaßnahmen gezwungen. Die sozialen Folgen der Fiskalpolitik kann man derzeit in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien sehen. Wer in der Auflösung der Staatengarantie für Pleitebanken ein Eingeständnis der handelnden Politik an unsere beständig vorgetragene Kritik an der rigorosen Sparpolitik sieht, vergisst, dass sich die EU-Staaten zu einem Fiskalpakt verabredet haben, mit dem zukünftige Regierungen zu strukturellen Sparzwängen verpflichtet wurden. Ohne die Krise der Staatsschulden und die daraus resultierende Bedrohung der gesamten Währungszone wäre dies nicht durchsetzbar gewesen.