Seit der ersten Wahl des Europäischen Parlaments im Jahr 1979 hat sich die politische Weltlage erheblich verändert. Den Nord- und Süd-Erweiterungen der 70er und 80er Jahre folgten die Ost-Erweiterungen von 2004 und 2007 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von 1991. Gleichzeitig ist der institutionelle Integrationsprozess, mit dem perspektivisch eine politische Vollunion realisiert werden sollte, ins Stocken gekommen. Der Verfassungsprozess unter Valerie Giscard d´Estaing ist 2005 gescheitert, anstelle dessen wurde 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft gesetzt. Die hochmütige Lissabon-Strategie von 2000, mit der die EU bis 2010 der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt sein sollte, ist in sich zusammengebrochen.

Der 2002 als Realwährung eingeführte Euro musste in der Wahlperiode des EP von 2009 bis 2014 mehrfach mit finanzpolitischen Maßnahmen gerettet werden, die als offene Rechtsbrüche kritisiert wurden. Die EZB hat mit der Ankündigung unbegrenzter Anleihekäufe, Geldschwemme und der beständigen Absenkung der Zinssätze bis hin zu Negativzinsen ihr Mandat politisch grenzwertig interpretiert. Jetzt, kurz vor der Europa-Wahl, werden diese Maßnahmen als politische Erfolge verkauft. Irland, Portugal und Spanien haben die Rettungsschirme verlassen. Über Italien und Frankreich werden kaum mehr schlechte Wirtschaftsnachrichten verbreitet. Die Euro-Krise scheint aus wahlkampftaktischen Motiven für eine Zeit lang zumindest überwunden, das zarte, aber bedrohte Pflänzchen Konjunkturaufschwung kommt in die Schlagzeilen. Am Tag nach der EP-Wahl vom 25. Mai wird die Ernüchterung folgen.

Der Zusammensetzung des Parlaments wird ein deutlicher Rechtsrutsch prognostiziert, der im wesentlichen eine zunehmende Ermüdung gegenüber der jetzigen Politik der Europäischen Union widerspiegelt. Im politischen Abgrenzungsprozess erleben rechtspopulistische und rechtsnationalistische Gruppierungen einen Aufschwung, weil sie einfache Lösungen anbieten. In Deutschland kann die AfD mit 6% rechnen, in Frankreich kann die Partei von Marie Le Pen mit einer Mehrheit rechnen, in Britannien wird die UKIP, die für einen Austritt aus der EU plädiert, stark zulegen. In den Niederlanden ist Geert Wilders auf dem Vormarsch, die FPÖ unter H. C. Strache mit den Themen Asylmissbrauch, Überfremdung und Islamisierung in Österreich ebenfalls. In Ungarn werden vermutlich die Parteien von Viktor Orban (Fidesz) und Gabor Vona (Jobbik) und deren Trend zum Neofaschismus bestätigt werden.

In der Literatur über den Verlauf von Wirtschaftskrisen wird ein Drei-Wellen-Modell favorisiert. Demnach ist die erste Welle eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich zunächst an den abstrakten Finanzmärkten abspielt. Die zweite Welle der Krise trifft die Realwirtschaften und kann durch staatsprotektionistische Maßnahmen abgepuffert werden (Abwrackprämie, Kurzarbeitergeld, Schutzschirme, Rettungspakete, etc). Die langfristigen sozialen Folgekosten dieser Maßnahmen, die in der Euro-Krise durch die Austeritätspolitik der Troika festgeschrieben wurde, führen in die dritte Welle. Diese ist eine Krise der politischen Institutionen, in diesem Falle eine der Europäischen Union. Weil die Institutionen nicht in der Lage sind, die Krise zu überwinden, wendet sich die politische Stimmung nun gegen sie, denn erstens liegt die Finanz- und Wirtschaftskrise vermeintlich in der Vergangenheit, zweitens sind die handelnden Kräfte am Markt durch Rechtsakte anonym und unsichtbar, drittens sind die protektionistischen Maßnahmen ausgelaufen.

Aus der Geschichte wissen wir, Renationalisierung und Repatriierung sind keine zukunftsweisenden Modelle, sie werden aus Erinnerung an gute Zeiten und Sehnsucht nach Überschaubarkeit gespeist. Diese Zeiten sind bezogen auf die EU die prosperierenden Jahre, die die Transformation von der EGKS zur EU bis in die Erweiterungsrunden von 2007 getragen haben. Heute tragen sie nicht mehr, der für Sonntag erwartete Rechtsruck spiegelt die politische Stimmung in den EU-Mitgliedsstaaten wider. Der zunehmenden Skepsis gegenüber dem globalen neoliberalen Modell scheint nun ein Paradigmenwechsel von der Innen- zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu folgen. Die NATO erklärt sich als hilflos gegenüber einer russischen Eskalation in der Ukraine.1 Sozial- und Rüstungspolitik werden miteinander verbunden: „Eher wird heute das Rentenniveau nach oben und das Renteneintrittsalter nach unten angepasst, als mehr in Sicherheit investiert. (…) Doch ohne Sicherheit auch für morgen werden viele das Rentenalter nicht erreichen.“2 Das ist kein Säbelrasseln mehr, es ist Kriegsrhetorik.

DIE LINKE steht auch nach dem 25. Mai für eine konsequente Sozial- und Friedenspolitik.

Quellen:

1 http://www.n-tv.de/politik/Nato-koennte-Russland-nichts-entgegensetzen-article12851751.html
2 http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/experten-fuer-reaktion-gegen-russland-ohne-nato-staerkung-erreichen-viele-das-rentenalter-nicht/9924626.html