Das Europäische Parlament und die Kommission sind bis 2019 gewählt. Der Europäische Rat hingegen ist ein »Ewigkeitsgremium«, dessen Zusammensetzung sich über die Regierungswechsel in den Mitgliedsstaaten erneuert. Mit dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland hat erstmals eine Partei der Europäischen Linken einen Sitz im EU-Rat erobert, seitdem ist unübersehbar, dass die etablierte Parteienlandschaft im Gefolge der Euro-Krisenpolitik in vielen Mitgliedsstaaten in Bewegung geraten ist. Deshalb werden nun die Regionalwahlen zu politischen Barometern, die das Bewegungspotenzial unterhalb der nationalen Ebene aufzeigen.
Ein Beleg hierfür kann darin gesehen werden, dass Alexis Tsipras erst nach den Regionalwahlen in den Niederlanden, Frankreich und Spanien, die den Pendelausschlag der Verschiebungen in den Kernländern der EU markieren, zum offiziellen Besuch nach Berlin kommt und von der Bundeskanzlerin empfangen wird. Nicht zum ersten Mal bekommen Regionalwahlen eine hervorgehobene Bedeutung für das politische Handeln und die Entscheidungszeitpunkte in der Euro-Krise. Merkel selbst wollte 2010 den ersten Griechenland bail-out aus dem NRW-Wahlkampf heraushalten, weil die CDU im roten Herzen Deutschlands den Ministerpräsidenten stellte.
Alle 28 Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU und der Euro-Zone haben dies Problem. Sie wollen ihre politische Mehrheit behaupten und sind an gute Ergebnisse in Regional-, Landtags-, Provinzwahlen und dergleichen gebunden. Die Wahlen büßen hierdurch immer öfters ihren lokalen oder regionalen Charakter ein, sie werden nationale Stimmungstests bezüglich der Bewertung der Euro- und der EU-Krisenpolitik und erlangen so europäische Bedeutung. Sie werden zu Bremsen für die neoliberale Politik von Rat, Kommission und Parlament.
Die Union pour un mouvement populaire (UMP) und die Union des democrats et independents (UDI) siegen im ersten Wahlgang (29,4%) der Departementswahlen vom 22. März. Der Front National (FN) bekam 25,1%, die Parti Socialiste 21,8%. Am kommenden Sonntag werden die Departements in Stichwahl entschieden, es ist ein offenes Rennen, das an der Wahlentscheidung für oder gegen den FN hängt. Der FN ist mit 25% realer Machtfaktor geworden (+10%), der sich für das Ende des Euro ausspricht. Die PS kann die Mehrheit in über 40 Departements verlieren und hätte dann nur noch um die 20. Der UMP wird der Gewinn in 70 Departements zugetraut. Sarkozy will eine erneute Präsidentschaftskandidatur und die UMP in Republikaner umbenennen, was in Frankreich eine positivere Konnotation hat als in Deutschland. Ende des Jahres stehen weitere Regionalwahlen an.
In Andalusien hat die sozialdemokratische PSOE ihre Position knapp verteidigt (-4%). Die bisher mitregierende Izquierda Unida ist auf 5 Mandate gefallen (-7), Susana Diaz will nun eine Minderheitenregierung anführen. Podemos hat 15 Mandate errungen und ihren Stimmanteil im Vergleich zur EP-Wahl 2014 verdreifacht. Die ebenfalls neue konservative Partei Ciudadanos 9 Mandate. Zusammen sind das aus dem Stand 24 von 109 Mandaten für erstmals antretende Parteien. Die Partei von Mariano Rajoy, Partido Popular, hat 17 Mandate verloren und noch 33 Sitze. Hauptpunkte der Auseinandersetzung: Sparpolitik und Korruption. Am 24. Mai 2015 werden in 13 von 17 autonomen Gemeinschaften die Regionalparlamente neu gewählt, im September in Katalonien. Im November wird das Nationalparlament neu bestimmt. Podemos setzt wie Syriza auf Wahlsieg und will einen Sitz im Europäischen Rat erobern, das Ergebnis in Andalusien nährt diese Hoffnung.
In den Niederlanden wurde die Zersplitterung des Parteiensystems bestätigt. Der niederländische Ministerpräsident Rutte hatte die Provinzwahlen explizit zu einer Stimmungswahl über seinen neoliberalen Politikkurs stilisiert. Die rechtsliberale VVD verliert 3,5%, bleibt mit 15,8% (!) stärkste Kraft. Die konservative CDA kommt auf 14,7%. Die mitregierende Sozialdemokratie, PvdA fiel von 17,5% auf 10%, sie wurde zum dritten Mal in Folge für die Sparpolitik abgestraft. Die Regierung hat Kürzungen in Höhe von 51 Mrd. Euro auf den Weg gebracht. Die linksliberale D66 verdoppelt auf 12,4%. Die Sozialisten (100% Sozial) ziehen mit 12,3% an der PvdA vorbei. Die PVV von Wilders sank auf 11,7%. Die Provinzparlamentarier wählen am 26. Mai die erste Kammer neu, Regierung und Tolerierung haben nur noch 36 von 75 Sitzen. Weil die erste Kammer Gesetze des niederländischen Parlaments stoppen kann, sind der Regierung im Folgenden die Hände gebunden. Der Neoliberalismus hat im europäischen Kern seine legislative Gestaltungskraft verloren.
In den drei Regionalwahlen haben die nationalen Regierungsparteien verloren, weil sie den Bevölkerungen viel zumuten, die in Aussicht gestellten Verbesserungen der individuellen Lebenssituationen nicht oder kaum eintreten. Aber die Austerität ist eine auf europäischer Ebene abgestimmte Politik zum Erhalt der Wirtschafts- und Währungsunion, die den nationalen Regierungen wenig Spielraum lässt und auf die sozialen Belange der einfachen Menschen kaum Rücksicht nimmt. Das Barometer zeigt aus Sicht des Europäischen Rats eine Niederlage von Rechtsliberalismus und Sozialdemokratie in den Niederlanden, Aufstieg von Linksliberalen und Sozialisten. Die Sozialdemokratie hat in Frankreich verloren, die sozialistische Linke ist zersplittert, die Folge ist ein massiver Rechtsrutsch zum FN. Der Konservatismus verliert in Spanien, der Linksrutsch setzt sich fort. Die Ablehnung der europäischen Austeritätspolitik wird in den Regionen unabhängig von der Zugehörigkeit zur europäischen Parteienfamilie sichtbar.
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