Im zentralistischen Frankreich gilt Mehrheitswahlrecht. Hieraus resultiert eine sehr hohe Hürde für kleine Parteien. Sie führt dazu, dass der Front National trotz zweistelliger Ergebnisse bei der Wahl 2012 nur jeweils zwei Sitze in der Nationalversammlung und im Senat hat. Bei der Wahl zum Europa-Parlament wird das Verhältniswahlrecht angewendet. Im Jahr 2014 vervierfacht der Front sein Ergebnis von 2009 (26% gegenüber 6,3%) und bekam 24 der insgesamt 74 französischen Sitze zugesprochen. In den Departementwahlen im März und in den Regionalwahlen im Dezember 2015 wurden diese Ergebnisse bestätigt.
In der ersten Runde wurde der FN in sechs von dreizehn Regionen stärkste Kraft. Das weit hörbare »Ouff« bei der Verkündung der Ergebnisse der zweiten Runde der Regionalwahlen um 20:00 Uhr bezog sich nur auf den Umstand, dass Le Pen in keiner der 13 neuen Regionen auf den ersten Platz kam. Dies war einer bereits in den Departementwahlen erprobten und erfolgreichen strategischen Antwort der Parti Socialiste von Francois Hollande auf die Ergebnisse der ersten Runde zu verdanken. Aber mit 6.820.147 der im zweiten Wahlgang der Regionalwahlen am 13. Dezember abgegebenen Stimmen bekam der Front ca. 400.000 Stimmen mehr als Marine le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2012.
Die Parteivorsitzende bekam in der Region Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie im ersten Wahlgang 40,64%, ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen erreichte in der Region Provence – Alpes – Côte d‘ Azur 40,55%. Die in Paris regierende Sozialdemokratie zog ihre Listen in diesen Regionen zurück, nur noch die konservative und die rechtsextreme Liste standen zur Wahl. In diesen Wahlen setzten sich bei stärkerer Wahlbeteiligung die Konservativen durch. Die Republikaner unter Führung von Nikolas Sarkozy (vormals UMP) lehnten ein vergleichbares Vorgehen ab. Dies hat Sarkozy erhebliche Kritik eingebracht, aber das konservative Bündnis wurde mit 40,2% stärkste Kraft. Die Sozialisten bekamen im Verbund mit anderen Parteien 28,9%. Der Front National 27,1% Prozent nach den 27,7% vom 6. Dezember. Die Wahlbeteiligung lag im zweiten Wahlgang ca. 8% höher.
In Frankreich ist seit 2009 ein weitgehender Rechtsrutsch zu verzeichnen. Eine der Ursachen dafür liegt in der Euro-Krise und der Abstufung der Kreditwürdigkeit des französischen Staates vom Best-Rating AAA. Seit ihrem ersten Auftreten mit dem bail-out für Griechenland im Frühsommer 2010 hat sie gewissermaßen eine Spur von Athen nach Paris gezogen. In einem beständigen Stakkato wurde Paris auch gerade durch die deutsche Regierung und die konservative Presse darauf gedrängt, Wirtschaftsreformen nach dem Vorbild der neoliberalen Agenda 2010 durchzuführen. Diesen hat sich der amtierende Präsident Francois Hollande an
vielen Stellen widersetzt. Nicht jedoch, ohne dem Druck auch in Reformen nachzugeben. Durch dieses Handeln setzte er sich den Ruf des Lavierens aus und speziell aus Deutschland den Vorwurf der Reformmüdigkeit.
Mit den Attentaten vom 13. November hat sich in Frankreich der Diskurs schlagartig verändert, die wirtschaftliche und sozialpolitische Misere ist in den Hintergrund gerutscht, die Sicherheitsfrage steht ganz oben an. François Hollande hat die Rolle des entschieden handelnden Präsidenten für viele nachvollziehbar ausgefüllt. Das hat ihm in den vier Wochen vor den Regionalwahlen einen starken Zuspruch in den Beliebtheitswerten eingebracht. Bislang hat er jedoch im Wesentlichen den Weg eingeschlagen, den auch George W. Bush nach den Anschlägen von 2001 gegangen ist. Er hat den IS eine Armee genannt und eine militärische Antwort gegeben, die doch nur die Fortsetzung der schon eingeschlagenen Strategie war. Der verstärkte Bombenabwurf über Syrien und Irak wird zweifellos die dortige noch vorhandene Infrastruktur zerstören. Ob das Terrornetzwerk IS mit einer staatlichen militärischen Handlungsreaktion besiegt werden kann, muss gerade wegen der deutsch-französischen Freundschaft hinterfragt werden. Die Politik von George W. Bush und seiner Regierungszeit hat einen zerstörten Irak hinterlassen, in dem die Grundlagen für den späteren Islamischen Staat herangewachsen sind.
Frankreich hat ein innenpolitisches Problem, das mit der militärischen Antwort auf den Terror nicht bearbeitet wird. Die Terroristen vom 13. November waren Franzosen oder Belgier. Ebenso wenig wie Sarkozy nach den Pariser Vorort-Aufständen die Vorstädte mit dem »Kärcher-Hochdruckreiniger gesäubert« hat, um den dort wohnenden Menschen einen annehmbaren Lebensraum zu bieten, der seitens der französischen Gesellschaft Mindeststandards von Anerkennung erkennen lässt, wird Hollande der wirtschafts- und sozialpolitischen Krise Frankreichs mit Kriegsrhetorik und einem patriotischen Appell begegnen können. Letzten Endes sind das genau die Töne, die schon der Gründer des Front National, Jean-Marie le Pen von sich gegeben hat. Die Wiederholung dieser Rhetorik durch einen amtierenden sozialistischen Präsidenten Hollande und einen republikanisch-konservativen Ex-Präsidenten Sarkozy sind mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2017 nicht dazu geeignet, der starken Stellung des neofaschistischen Front National das Wasser abzugraben.
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