Francois Hollande hat beim Amtsantritt 2012 ähnlich wie seinerzeit Gerhard Schröder die deutliche Senkung der Arbeitslosigkeit zum Maßstab der Bewertung seiner Präsidentschaft gemacht. Wenn er dies nicht könne, werde er nicht wieder als Kandidat antreten. Im Frühjahr 2016 ist von einer Absenkung der Arbeitslosigkeit in Frankreich keine Spur. Im Gegenteil. Sie ist um 2,5 % gestiegen. Besonders die Jugendarbeitslosigkeit ist mit über 25% auch bei den sehr gut ausgebildeten sehr hoch. Der amtierende Präsident gilt nicht nur an dem Ziel der Arbeitslosigkeit bemessen als gescheitert, die Parti Socialiste ist über die Frage der Kandidatur zur Präsidentschaftswahl im Mai/Juni 2017 ebenso wie die Republikaner zerstritten.
Jean-Luc Melenchon, 2012 Kandidat der Front de Gauche steht mit seiner einsamen Erklärung der Präsidentschaftskandidatur wie ein Tribun allein auf weiter Flur. Die französische Linke ist darüber vollständig zerstritten und aus diesem Grund zurzeit fast ausschließlich mit sich selber beschäftigt und kaum eine attraktive Alternative für die Wählerinnen und Wähler. Die deutsche Linke tut gut daran, sich anders für die Bundestagswahl im nächsten Jahr aufzustellen. Die Wiederkehr von Nicolas Sarkozy ins Präsidentenamt wird nur von Teilen seiner Partei unterstützt.
Dies alles spielt dem Front National in die Hände, der als derzeit einzige Partei unbestritten mit Marine le Pen antreten wird, Tochter von Jean-Marie le Pen, der wiederholt wegen der Verleugnung des Holocaust in Frankreich verurteilt wurde. Der Front National ist die einzige Partei, die aus der schon seit längerem als desolat bezeichneten politischen Lage in Frankreich Profit zieht. Sie wurde bei der Wahl des Europaparlaments im Sommer 2014 stärkste Kraft. Diese Wahlergebnisse konnte der FN auch in den Regionalwahlen 2015 erzielen. Die Neuformierung der Regierung durch Hollande konnte in der Wahlbevölkerung nicht verfangen. Auch derzeit steht der Front National in den Umfragewerten bei 30%.
Frankreich wird seit Jahren von vielen neoliberalen Ökonomen wie Deutschland am Beginn der 2000er Jahre als der kranke Mann Europas dargestellt. In der Wirtschaftskrise, die auf die Finanzkrise von 2008 folgte, wurde auch Frankreich von den großen Rating-Agenturen abgestuft. Peter Hartz beriet eine französische Kommission zur Reform der Arbeitsmarktgesetze. Dem neoliberalen Druck hat Francois Hollande bisher in der großen Linie widerstanden, aber nicht durch klare politische Haltung, sondern durch Lavieren. Die von seiner Regierung durchgeführten Reformen gingen dem linken Flügel seiner Partei und dem linken Teil der französischen Gesellschaft jedoch schon viel zu weit. Die links-liberalen Gesetze z.B. zur Gleichstellung der Homo-Ehe haben auf der anderen Seite starke politische Proteste ausgelöst und die politisch-ideologische Polarisierung der Gesellschaft verstärkt.
Nach den terroristischen Anschlägen des Jahres 2015 in Paris und den Änderungen der Sicherheitsgesetze sind der Schock über die Angriffe und die nationale Geschlossenheit abgeflacht. Frankreich kehrt zur politischen Normalität zurück, das heißt, zur politischen Auseinandersetzung über die Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes. Das Kabinett hatte Ende März einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem die 35-Stunden-Woche gelockert, Kündigungen erleichtert, eine Obergrenze für Abfindungen bei Entlassungen eingeführt werden soll. Die Gewerkschaften sehen in dem Entwurf nur Arbeitgeberforderungen
berücksichtigt und haben landesweit über 160 Demonstrationen organisiert, an denen über 1 Millionen Menschen teilgenommen haben sollen. Nach Polizeiangaben immerhin noch ca. 400.000. Doch abseits der üblichen Protestrituale hat sich auch eine neue Bewegung herausgebildet, die unter dem Slogan »Nuit debout« läuft »Nacht der Aufrechten«. Es ist auch eine Aufforderung, gegen die Missstände im Land aufzustehen.
Seit einer geraumen Zeit besetzen Aktivist_innen mit Einbruch der Dunkelheit den Place de la République und fordern eine andere Gesellschaft. Mit dem Heraufziehen des neuen Tages kommen Polizeieinheiten und Bulldozer, kassieren die Lautsprecheranlage und räumen den Platz. Abends kehren die Menschen auf den Platz zurück und sagen: „Ihr könnt die Blumen abschneiden, aber nicht den Frühling“. Die »Nuit Debout« Bewegung verspricht sich nichts von Francois Hollande. Auch von der Nuit-Debout-Bewegung versprechen sie sich nicht viel. Dafür sind z. B. die Resultate der Occupy-Bewegung in New York zu präsent. Dennoch hat sich das Phänomen nach wenigen Tagen nicht nur auf mehrere Plätzen in Paris ausgedehnt, sondern landesweit wurden in über 60 Städten ähnliche Versammlungen registriert. Eine kleine Bewegung, die aber unter den gegebenen Umständen gerade in der politischen Elite Frankreichs hohe Nervosität auslöst. Denn im Unterschied zu den Protesten, bei denen vor einigen Jahren massiv in den Banlieus Autos in Brand gesteckt wurden, geht die Bewegung diesmal von den hoch gebildeten Jugendlichen aus, die nun die Perspektivlosigkeit der Vorstadtkinder teilen.
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