Thomas Nord ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Lesen Sie hier seinen neuesten Artikel zum 55jährigen Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages:
55 Jahre Elysee-Vertrag: Alte Liebe rostet nicht
Am 22. Januar 1963 wurde der deutsch-französische Freundschaftsvertrag unterzeichnet, mit dem sich beide Seiten zu regelmäßigen Regierungskonsultationen verpflichtet haben. Interessant ist bis heute der Streitpunkt zwischen de Gaulle und Adenauer, durch den bis zum Schluss Unsicherheit über die Unterzeichnung herrschte. Vor der Ratifizierung durch die deutsche Seite wurde dem Vertrag seitens Adenauer eine Präambel hinzugefügt, in der die deutsche Regierung ihre enge Bindung an die USA erklärt und die Absicht bekundet, Großbritannien in die EWG aufzunehmen. De Gaulle hingegen wollte mit der deutsch-französischen Koppelung die Gewichte in der Atlantikbindung verschieben und er war auch kein Freund der Aufnahme Großbritanniens in die EWG. Doch erschien es der deutschen Regierung auf Grund der Nachkriegssituation notwendig, diese Präambel hinzuzufügen und die Verärgerung de Gaulles in Kauf zu nehmen. Das vereinte Königreich wurde 1973 aufgenommen, 1975 bestätigte ein Referendum den Beitritt.
Am 22. Januar 2018 werden gemeinsame Sitzungen der Parlamente zum 55. Jahrestag in Berlin und Paris stattfinden. Anfänglich als großes Ereignis geplant, wurden die Feierlichkeiten heruntergeschraubt, weil es in Deutschland nur eine geschäftsführende Regierung gibt, die nicht auf die Vorschläge zur Reform der EU von Emanuel Macron antworten kann, die dieser im September schwungvoll präsentiert hat. Merkel hingegen bemüht sich seit vier Monaten eine neue Regierungsmehrheit zu bilden. Macron fordert u.a. einen neuen Elysee-Vertrag, ein eigenes EU-Budget, eine Verkleinerung der Kommission, eine vollständige Integration der Märkte zwischen Deutschland und Frankreich, eine gemeinsame Verteidigungstruppe und ein Kerneuropa der mehreren Geschwindigkeiten. Weitreichende Vorschläge, die seit der Bundestagswahl vom 24. September auf eine offizielle Antwort harren. Im jetzt vorliegenden Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD stehen die Angelegenheiten der EU nicht umsonst an erster Stelle.
Die Parlamentssitzungen zum 55. Jubiläum des Elysee-Vertrags sind auf zwei Stunden angelegt, in denen zunächst die Parlamentspräsidenten das Wort ergreifen, dann die Fraktionsvorsitzenden. In Berlin fängt die Sitzung um 11:00 Uhr an. Danach geht es zum Flughafen Tegel und von dort nach Paris in die Nationalversammlung, wo ab 17:00 Uhr ebenfalls eine zweistündige Sitzung durchgeführt wird. Es soll eine gleichlautende Erklärung zur Stärkung der Deutsch-Französischen Beziehungen in der Assemblee National in Paris und im Bundestag verabschiedet werden, die von den Parlamentspräsidenten unterzeichnet werden sollen. Die deutsche und die französische Regierung werden darin aufgefordert, im Laufe des Jahres 2018 einen neuen Elysee-Vertrag zu erarbeiten. Die Gesetzgebungsverfahren in Frankreich und Deutschland bei der Umsetzung von EU-Richtlinien sollen perspektivisch einheitlich umgesetzt werden. Die Parlamente sollen viermal im Jahr gemeinsam tagen. Parlamentsmitglieder sollen als Mitglieder im EU-Ausschuss des anderen Landes benannt werden können.
Mit der Rückschau auf den Dissens zwischen Adenauer und De Gaulle können wir Parallelen zur heutigen Situation in der EU erkennen. Die Franzosen würden das Vereinigte Königreich gerne aus der EU entlassen. Die Deutschen würden es gerne sehen, wenn London den Brexit revidiert. Die Bundeskanzlerin hat angesichts der Präsidentschaft von Donald J. Trump im Mai 2017 die Zuverlässigkeit der US-Amerikaner im Westbündnis in Frage gestellt. Sie hat gefordert, dass die Europäer ihr Schicksal nun selber in die Hand nehmen müssten. Der geschäftsführende Außenminister Gabriel hat Anfang Dezember in einer außenpolitischen Konferenz in Berlin die Gefahr gesehen, dass Washington nicht mehr unbedingt nur ein Verbündeter, sondern auch einmal ein potenzieller ökonomischer und damit auch politischer Gegner werden könnte. Schlussfolgernd hat auch er eine stärkere Unabhängigkeit von den USA gefordert und will diese durch eine stärkere deutsch-französische Kooperation untersetzen.
Mit diesen Forderungen wird eine Grundkomponente des transatlantischen Bündnisses, das die Zeit seit der bedingungslosen Kapitulation von 1945 für Westdeutschland zentral geprägt hat, durch die Bundesregierung offiziell in Frage gestellt. Die Brexit-Entscheidung aus dem Referendum vom Juni 2016 ermöglicht, dass die Idee von De Gaulle erneuert werden konnte. Die Stimme Adenauers aus der Zeit der Bonner Republik hat nur noch einen historischen Wert. Über den Beschluss zu einer Ständigen Strategischen Zusammenarbeit (SSZ oder in Englisch PESCO, Permanent Structural Cooperation) im Rahmen der Lissabonner Verträge kommt sie sukzessive in den nächsten Jahren zum Tragen. Denn wie anders kann man SSZ oder PESCO werten als den Versuch, im Rahmen der NATO die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf europäischer Ebene zu bündeln, um damit ein höheres Stimmgewicht und eine größere Unabhängigkeit gegenüber den USA geltend machen zu können. Die Diskussion über das 2% Ziel der NATO wird auch deshalb geführt. Trumps Forderung ist ein willkommener Anlass. Denn die politische Aufwertung der EU gegenüber der USA kann nur gelingen, wenn finanzielle Symmetrie zwischen den Bündnispartnern hergestellt wird.
Die Stärkung der EU bzw. Europas durch eine Stärkung der Deutsch-Französischen Zusammenarbeit ist sinnvoll und vermutlich auch notwendig. Allerdings stellt sich die Frage, was damit gemeint ist. Der geschäftsführende Außenminister wünscht sich, dass Frankreich in Finanzfragen etwas Deutscher würde, in Sicherheitsfragen Deutschland aber etwas französischer. DIE LINKE steht zur Deutsch-Französischen Freundschaft, dies umso mehr, da wir im November dem 100. Jahrestag vom Ende des I. Weltkriegs gedenken. Aber gerade angesichts dieses Jubiläums ist aus Sicht der LINKEN eine höhere Militarisierung Europas, Deutschlands und Frankreichs genau der falsche Weg in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Und so kann man unter Freunden auch sagen, es wäre besser, wenn Deutschland in der Haushaltsführung ein bisschen französischer würde und Frankreich zurückhaltender bei der Anwendung militärischer Gewalt.
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