Der neue Artikel von Thomas Nord für den Bundestagsreport der Landesgruppe Brandenburg beschäftigt sich mit der aktuellen Streikwelle gegen „Hartz-Gesetze“ in Frankreich:
Streikwelle in Frankreich
Die Muskelspiele des Emmanuel Macron
Die schnellen präsidialen Dekrete von Emmanuel Macron zur Arbeitsmarktreform und zur Verschärfung der Sozialpolitik gegenüber Arbeitslosen haben am Beginn seiner Amtszeit vergleichbar geringen Protest hervorgerufen. Die Opposition hatte sich noch nicht wieder von den Wahlergebnissen erholt. Durch die Umgehung der parlamentarischen Verfahren blieb den Gewerkschaften und Sozialverbänden kaum Zeit, um real wirksamen Protest zu organisieren. Mit seiner Initiative zur Reform der EU hat er auch internationale Aufmerksamkeit bekommen.
Die ersten Erfolge haben Präsident und Regierung ermutigt, nun gleichzeitig eine Bahnreform, eine Deregulierung des öffentlichen Dienstes und eine Novellierung der Studienbedingungen anzugehen. Es sieht so aus, als wollten Macron und Édouard Philippe ihre Kräfte an dem klassischen Protestbündnis aus Gewerkschaften, öffentlichem Dienst und Studierenden messen. In der Vergangenheit haben diese Bündnisse oftmals mehr Kraft entwickelt als die Regierung bzw. der Präsident und angekündigte Reformen mussten zurückgenommen werden.
Präsident oder Protest – Wer ist stärker?
Doch im Unterschied zu den ersten Dekreten kann dieses Mal das parlamentarische Verfahren nicht umgangen werden. In der Nationalversammlung wurde die Regierungsvorlage mit 450 zu 80 abgestimmt, auch die Republikaner haben trotz Kritik zugestimmt. Hier geht die Rechnung von Macron auf, den konservativen Phillippe zum Ministerpräsident gemacht zu haben. Nun ist die Debatte in den Senat überwiesen. Die Gewerkschafter der Bahn haben eine Streikwelle bis in den Mai angekündigt, im Juni soll das Parlament über die Vorlage entscheiden. Gewerkschafter*innen des öffentlichen Dienstes, der Fluglinien und Studierende haben sich erwartungsgemäß im Protest solidarisiert. Die Frage lautet, wird auch dieser Präsident an starken politischen Protesten scheitern oder hat sich das Klima nach fünf Jahren Hollande soweit geändert, dass die Veränderungen durchgehen?
Präsident und Regierung setzen darauf, die Gewerkschaften der Confédération générale du travail (CGT) und der Confédération française démocratique du travail (CFDT) in Opposition zueinander bringen zu können. Die CGT steht traditionell der kommunistischen Partei Frankreichs näher, die CFDT kommt aus einer christlichen Tradition. Seit dem vergangenen Jahr hat die gemäßigte CFDT erstmals mehr Mitglieder als die radikalere CGT. In der öffentlichen Meinung geht das Ringen um die Sympathien für das Vorhaben der Regierung oder für die Verteidigung von sozialen Arbeitsstandards. Die neoliberalen Vorhaben sind nicht neu, neu ist die Entschlossenheit des ehemaligen Goldmann-Sachs-Mitarbeiters Macron, sie auch durchzusetzen.
Bereits im November 2012 ist der damalige Premierminister Jean-Marc Ayrault mit dem ehemaligen SNCF-Generaldirektor und EADS-Vorsitzenden Louis Gallois vor die Kameras getreten, um einen Bericht vorzustellen, der unmittelbar an den Bericht der Hartz-Kommission aus dem Jahr 2003 erinnerte. Dem Entstehungsprozess, der Einbeziehung der Berichtenden und der Präsentation wohnte die Vermutung inne, das es sich hier um eine französische Variante des Berichtes handelt, der 2003 in Berlin durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den ehemaligen VW Manager Peter Hartz in Berlin vorgestellt wurde. Es handelt sich aus deutscher Perspektive in Frankreich 2018 um einen deregulierenden Nachholprozess.
Die französischen Reformen sind aus deutscher Sicht ein Nachholprozess
Durch die gesamte Wahlzeit des vorigen Präsidenten der französischen Parti Socialiste, Francois Hollande wurde versucht, eine Agenda-Politik, wie sie mit dem Gallois-Bericht vorgestellt wurde, in Frankreich durchzusetzen. Dies misslang nicht zuletzt durch die Amtsführung Hollandes, der sich zwischen beiden politischen Positionen versucht hat durchzulavieren und so als sehr schwacher Präsident in die Geschichte Frankreichs eingegangen ist. Seine Amtszeit hat die größte Umwälzung im französischen Parteiensystem seit der Gründung der V. Republik ausgelöst.
Aus Unzufriedenheit mit der politischen Amtsführung Hollandes war der ehemalige Minister für Wirtschaft, Industrie und Digitales der Regierung Valls II, Emmanuel Macron, im August 2016 von seinem Amt zurückgetreten. Er war auch aus der Parti Socialiste ausgetreten und hat mit »En Marche« eine politische Bewegung initiiert, um das erstarrte französische Parteiengefüge aufzubrechen und um für das Jahr 2017 eine reale Alternative zur Wahl von Marine le Pen und dem Front National anzubieten.
Dies ist ihm gelungen, le Pen ist aus dem Elysee-Palast heraus gehalten. Sie hat den Namen Front National ihrer Partei nach einer schwierigen innerparteilichen Auseinandersetzung in »Rassemblement National« geändert, um sie und sich von der faschistischen Vergangenheit ihres Vaters abzuschneiden. Die Parti Socialiste liegt am Boden und kämpft mit dem Überleben. Die Republikaner sind nach dem Fall von Francois Fillon und dem Rückzug von Alain Juppé orientierungslos. Die sozialistische und kommunistische Linke sind zerstritten. La Republique En Marche besteht zu einem großen Teil aus »politischen Novizen«, aus im Mandat unerfahrenen Lehrlingen, wie es in Frankreich heißt.
Die französische Linke träumt fünfzig Jahre nach 68 von einem neuen Roten Mai
Auch deshalb konnte Macron am Beginn seiner Amtszeit forsch aufspielen. Mit den Dekreten hat er seinen politischen Gegnerinnen und Gegnern die zeitlichen Spielräume beschnitten, so dass sie kaum in der Lage waren, ernsthafte Gegenwehr zu organisieren. Das ist jetzt anders, die Sozialpartner haben sich gefangen und neu strukturiert. Die Eisenbahner streiken wochenlang im Rhythmus zwei Tage Streik, drei Tage Arbeit, die Studierenden blockieren Universitäten, in den Krankenhäusern gibt es Protest und auf dem im Januar von der Regierung aufgegebenen Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes bei Nantes leisten Umweltaktivist*innen Widerstand gegen die polizeiliche Räumung einer unerlaubt errichteten Siedlung. Die Linke in Frankreich träumt 50 Jahre nach 1968 von einem neuen roten Mai.
Bei Macron haben die politischen Widerstände so viel Unbehagen ausgelöst, dass die im Wahlkampf versprochene Vereinheitlichung der 42 unterschiedlichen Rentenkassen erst einmal abgesagt worden ist, um keine »neue soziale Front« zu eröffnen. Die französische Opposition unterstellt Macron, das seine Beteiligung am Angriff auf Syrien am Samstag, den 14. April zu Teilen aus der Absicht motiviert gewesen sein könnte, von den innenpolitischen Brennpunkten abzulenken. Als Reaktion versuchte Macron durch ein dreistündiges Interview aus der Defensive zu kommen. In der Presse wird über das Interview geschrieben, dass der Sonntagslack vom Präsidenten nun bröckelt. Er wird als intellektuell kühl und überheblich dargestellt. Seine EU-Initiative sei gestoppt, bevor sie in Schwung gekommen sei. Bis zur Sommerpause wird sich zeigen, wie die innenpolitischen Kräfteverhältnisse in Frankreich wirklich verteilt sind.
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