Für die Zeit nach den Wahlen werden weitreichende Veränderungen der politischen Kräfteverhältnisse erwartet, die noch vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wären.
Schleusenbruch in Madrid
Neuwahlen in Spanien
Spanien schlüpfte im Juli 2012 unter den Rettungsschirm der EU. Allerdings war es im Unterschied zu Griechenland, Zypern, Irland und Portugal nur der Bankensektor, nicht der ganze Staat, der 100 Milliarden Euro Hilfe zur Rettung der Banken bekam. Im Gegenzug musste Spanien sich zur Reformierung des Bankensektors verpflichten. Im gleichen Monat hat Mario Draghi sein viel zitiertes »whatever it takes« gesprochen. Was immer es kostet, die EZB wird das ihr mögliche tun, um den Euro zu retten. Dies hat erheblich Druck aus dem Kessel genommen, auch wenn die folgenden Maßnahmen nicht unumstritten sind.
Der spanische Bankensektor war wegen exzessiver Kreditvergabe und einer geplatzten Immobilienblase in Bedrängnis geraten. Dies ließ auch die Zinsen für den spanischen Staat über das Maß hinaus steigen, so dass die Frage stand, ob auch der Staat als Ganzes unter den Rettungsschirm und sich der Spargarotte der EZB-Troika beugen muss. Doch dazu kam es nicht mehr. In der Umsetzung des »Was immer es kostet« beschloss die EZB das Outright-Monetary-Tansaction-Program (OMT), ein Mittel zur Stabilisierung von Staaten mit Finanzierungsproblemen oder das Expanded-Asset-Purchase-Program (EAPP).
Die Krise zertrümmert das Zwei-Parteien-System
Die geplatzte Immobilienkrise führte in Spanien zu einer hohen sozialen Not, viele konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, Familien wurden reihenweise obdachlos. Die Arbeitslosigkeit stieg, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit. Als Reaktion darauf gründete sich die linke Podemos-Bewegung, um ihr nicht das Feld zu überlassen wurde begleitend die liberale Partei Cuidadanos gegründet. Am 20.November 2011 wurden vorgezogene Neuwahlen durchgeführt, laut Verfassung am 54. Tag nach der Auflösung des Parlaments.
Im Wesentlichen wurden die regierenden Sozialisten Partido Socialista Obrero Español (PSOE) für die Politik abgestraft, sie verloren 15% und fielen auf 28,76% (-59 Mandate). Die konservative Partido Popular (PP) gewann 4,7% hinzu und lief bei 44,6% ein. Mit 186 Mandaten (+32) hatte sie eine absolute Mehrheit und wählte Mariano Rajoy zum Ministerpräsidenten. Doch die parteipolitischen Reaktionen auf die Finanzkrise wurden erst mit der nationalen Wahl am 20. Dezember 2015 institutionell wirksam.
Die PP wurde für die politische Verantwortung und ihre Verstrickungen in verschiedene Korruptionsanwürfe abgestraft. Sie verlor knapp 16% und kam nur noch auf 119 Mandate. Die PSOE fiel erneut, diesmal auf 22% (-6,68%) und auf 89 Mandate. Podemos stieg in der Wahl über 20% auf nun 20,7% und Ciudadanos (C´s) holte beim ersten Wahlantritt knapp 14%. Das Zwei-Parteiensystem, das sich seit dem Tod des Diktators Francisco Franco und der folgenden Transition in eine Demokratie herausgebildet hatte, war durch die Folgen der Finanzkrise aufgebrochen und zerstört.
Zersplitterung führt zu Neuwahlen
Die Verhandlungen zu einer Regierungsbildung scheiterten an der Uneinigkeit zwischen PSOE und Podemos, auch eine Koalition aus PP und PSOE kam nicht zustande. Beide Parlamentskammern wurden am 3. Mai 2016 aufgelöst und der Tag der Neuwahlen für den 26. Juni anberaumt. Die konservative PP stieg in dieser Wahl um 4,3% auf 33%, hatte mit 137 von 350 Mandaten aber keine Mehrheit.
Die PSOE stieg um 0,7% auf 22,6% und die Unidos Podemos (UP), ein Bündnis aus Podemos, Izquierda Unida, Equo und anderen linken Kleinparteien kamen auf 21,15% (71 Mandate). PSOE und PP hatten eine große Koalition vor der Wahl ausgeschlossen. Erst zwei Tage vor dem Ablauf der Fristen kam es am 29. Oktober zu einer von Mariano Rajoy geführten Minderheitenregierung, die von C`s unterstützt und PSOE toleriert wurde.
Sie hielt bis zum 1. Juni 2018, als eine Mehrheit Rajoy misstraute, die Regierung weiter führen zu können. Dem war eine Feststellung des nationalen Gerichtshofes vorhergegangen, in der der PP ein System institutioneller Korruption bescheinigt wurde. Die PP wurde zu einer Strafe über 245.000 Euro verurteilt, der frühere Schatzmeister und Senator Luis Bárcenas z.B. zu 33 Jahren Gefängnis und 44 Millionen Euro Geldstrafe.
Pedro Sanchez übernahm eine Minderheitsregierung, die von der UP, baskischen und katalanischen Separatisten geduldet wurde. Sie scheiterte an der Eröffnung des Strafprozesses wegen des katalanischen Referendums vom 1. Oktober und der Unabhängigkeitserklärung Kataloniens vom 27. Oktober 2017 durch die spanische Zentraljustiz. Den 12 Angeklagten droht nun bis zu 25 Jahren Haft. Deswegen haben die katalanischen Abgeordneten Sanchez die Unterstützung entzogen und er stand am 13. Februar in der Abstimmung über die Vorlage zum Haushalt 2019 ohne Mehrheit da.
Sanchez hat den Tag der Neuwahl des spanischen Nationalparlaments schnell auf den 28. April gelegt, um nach außen Initiative und Entschlossenheit zu zeigen. Keinen Monat später finden auch hier Europa-, Regional- und Kommunalwahlen statt, bei denen weitreichende Veränderungen der politischen Kräfteverhältnisse und –konstellationen prognostiziert werden. Diese werden auch durch Dammbrüche und Koalitionen möglich, die noch vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wären.
Weitere Aufsplitterung im Parteiensystem
In der jetzigen aufgeheizten Situation demonstrieren Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit Kataloniens und zeigen die tiefe Polarisierung, die in Spanien erreicht ist. In Barcelona, der Hauptstadt von Katalonien, gingen am 16. Februar nach unterschiedlichen Angaben zwischen 200.000 und 500.000 Menschen für die Eigenständigkeit Kataloniens auf die Straße. Auch die Regierungsparteien und der katalanische Regionalpräsident Quim Torra haben sich beteiligt. Torra bezeichnet sich selber als Staathalter für Carles Puigdemont, solange dieser wegen Madrid gezwungen sei, im Exil zu leben.
In Madrid, Hauptstadt von Spanien, organisierten die konservative Volkspartei (PP) sowie die Mitte-Rechts-Partei Ciudadanos am Wochenende vorher, am 10. Februar mit der rechtspopulistischen Vox eine Kundgebung auf dem Colón-Platz. Es wurden nach offiziellen Zahlen 45.000 Teilnehmende gemeldet. Ein Forderungspunkt war, Katalonien wieder unter spanische Zwangskontrolle zu stellen. Auch rechtsextreme Gruppen wie die Falange zeigten dort ihre Fahnen. Die Gruppe der Falangisten wurden im Oktober 1933 gegründet, sie konnten in der zweiten spanischen Republik 1931-1936 kein einziges Mandat gewinnen.
Das änderte sich 1936 mit dem gewalttätigen Umsturz unter Leitung von General Franco. Er wurde dabei von Faschisten aus Italien, Deutschland und Portugal unterstützt. Dem Umsturzversuch folgte der spanische Bürgerkrieg, denn die Demokratie gab sich nicht einfach geschlagen. Die Demokratie wurde von den Brigaden der III. Internationale unterstützt. Franco dekretierte am 19. April 1937 das Zusammengehen der Falangisten mit den monarchistischen Carlisten zur Staatspartei. Am 1. April 1939 mussten die republikanischen Truppen kapitulieren.
Rückblick ins 20. Jahrhundert
Mit einem Blick auf die damaligen politischen Verhältnisse in Europa standen Italien, Portugal, Deutschland und Spanien unter faschistischer Herrschaft. Am 10. Mai 1940 marschierte die deutsche Wehrmacht in Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich ein. Nun stand nur noch das Vereinigte Königreich auf der anderen Seite des Ärmelkanals nicht unter faschistischer Herrschaft. Am Ende des II. Weltkriegs fiel der Faschismus in den meisten europäischen Ländern, in Spanien und Portugal konnten Franco und Salazar ihre Diktaturen verteidigen. Salazar starb 1968 an einem Schlaganfall, die Diktatur wurde 1974 durch die Nelkenrevolution beendet. Franco starb 1975 und 1977 fand das erste Mal seit 1937 eine freie Parlamentswahl statt.
Auf der Demonstration am 10. Februar haben sich die offiziellen Politiker*innen der Rechten nicht mehr von den Falangisten distanziert. Nach der Aufspaltung in der Linken hat sich nun auch ähnlich wie in Deutschland und anderen EU-Staaten die Rechte gespalten und neu aufgestellt. Der politische Brennpunkt liegt in Spanien derzeit weniger auf der sozialen Frage, die das Geschehen nach der Finanzkrise 2008 dominiert hat. Er liegt auf der Frage der politischen und territorialen Stabilität Spaniens und dem Streit über die Unabhängigkeit von Katalonien. Auf dem Streit um die Frage »Stärkung der Regionen« oder »Stärkung der Zentralgewalt«.
Linke Einigkeit verhindert Rechtsrutsch
Im Januar 2014 wurde mit Vox eine neue Partei offiziell vorgestellt, die im Kern eine Abspaltung von der PP ist. Als ein Grund wurde die Haltung der PP zur baskischen Euskadi Ta Askatasuna (ETA) angegeben, die sich im April 2018 aufgelöst hat. Aber aus Sicht von Vox haben sich PP und Staat den Bedingungen der ETA gebeugt. Vox ist gegen Föderalismus und Autonomie für das Baskenland und Katalonien und für einen straffen Zentralismus. Sie sind wirtschaftsliberal, aber kulturell gegen den Islam und Migration eingestellt. Sie ist gegen die Ehe für Alle, gegen die Gleichstellung der Frau und gegen die Bestrafung von häuslicher Gewalt. Sie wird als spanische »Tea-Party« bezeichnet.
In der Europawahl 2014 und den Parlamentswahlen 15 und 16 bekam sie lediglich 0,2%. Aber bei der Regionalwahl in Andalusien am 2. Dezember 2018 bekam sie überraschend 11% der abgegebenen Stimmen. Spanien hat das erste Mal seit Franco massiv Rechtsaußen gewählt. Andalusien ist traditionell eine Hochburg der PSOE, Susana Diaz galt als neue Hoffnungsträgerin der Linken. Jetzt bildet die PP mit Vox und Cuidadanos in Sevilla die Regionalregierung. Aktuell ist Vox auch in den Umfragewerten heraufgeschnellt und ihr werden bei der Wahl am 28. April zwischen 11% und 13% spanienweit zugetraut. Kritische Beobachter befürchten andalusische Verhältnisse in Madrid, doch die Linke liegt nur knapp zurück.
Die PP wird zwischen 18% und 20% gehandelt, die PSOE zwischen 24% und 28%, sie könnte stärkste Kraft werden. Unidos Podemos liegt zwischen 12% und 15% wieder deutlich hinter der PSOE, dabei war sie in der Wahl 2016 nahezu stärker geworden. Interne Streitereien über Geschlechtergleichheit, Kritik an der zu starken Führungsrolle von Pablo Iglesias, eine Debatte um einen Hauskauf mit Swimmingpool haben ihren Tribut gefordert. Mit den Bürgermeisterinnen Manuela Carmena in Madrid und Ada Colau in Barcelona gibt es aber auch zwei Beispiele für den Erfolg, wenn die Linke in Kandidaturen und Positionen Einigkeit erzielt. Dies war auch in Portugal die Voraussetzung für den Wahlsieg und die Regierungsübernahme.
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