Ein Artikel zur Lage in Frankreich, wo sich Le Pen und Macron bereits auf die Wiederholung ihres Duells von 2017 vorbereiten.
Frankreich unter Macron
Das Marschgebiet der Rechten
Auf der anderen Seite des Rheins ist das Parteiensystem in Frankreich nicht langsam erodiert, sondern es wurde knapp zwei Jahre vor der Präsidentschaftswahl 2017 von Emmanuel Macron mit der Gründung von La Republique En Marche aufgebrochen. Im Ergebnis sind heute Parti Socialiste und Les Republicaines am Rande der Bedeutungslosigkeit. Bei der Europawahl im Mai hatten sie zusammen noch um die 15 Prozent. Kommentatoren sehen die V. Republik an ihr Ende kommen, weil die Formation Konservative und Sozialisten seit Charles de Gaulle Frankreich nach dem zweiten Weltkrieg geprägt hatte.
Im Jahr 2017 stand das Duell Emmanuel Macron gegen Marine le Pen im Vordergrund des Präsidialwahlkampfes und auch des Wahlkampfes um die Sitze in der Assemblée Nationale. Der ehemalige Front National wurde von Verteidigern der Kollaboration mit dem Hitler-Regime in Deutschland gegründet. Marechal Petain, der Kopf des Vichy-Regimes, gilt ihnen heute noch als ein großer Franzose und Soldat. Macron wurde 2017 aus Gründen der Verhinderung einer Präsidentin Marine le Pen gewählt, nicht wegen einer positiven Identifikation mit seinen politischen Vorhaben.
Im Gegenteil, das neoliberale Profil von Macron stößt regelmäßig auf harte Ablehnung und hat seit seinem Amtsantritt Frankreichs die Kämpfe in den Parlamenten und auf den Straßen geprägt. Ziemlich genau vor einem Jahr kam es in Frankreich zu den ersten Gelbwesten-Manifestationen, ihre Kraft hat den Präsidentenpalast und das Palais Bourbon in den Grundfesten erschüttert. Nach einer kurzen Ruhepause durch den parlamentarischen Sommer, die zeitlich kurz nach dem Brand der Kirche Notre Dame in Paris folgte, haben Macron und der Ministerpräsident Edouard Philippe ihr neoliberales Schleifungsprojekt wieder aufgenommen.
In dieser Hälfte der Regierungszeit sind bestehende Rentenregelungen, Gesundheitsverordnungen und das Asylrecht das Ziel. Es besteht in der Regierung von Philippe kein Zweifel, dass auch diese Reformen starke innergesellschaftliche Widerstände hervorrufen werden. Gelbwesten, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen haben bereits für den 5. Dezember zu zentralen Protesten in Frankreich gegen die Reformvorhaben der Rente (länger arbeiten, weniger Geld) aufgerufen. Die gewerkschaftlich Organisierten der Bahn SNCF und der Pariser Metro RATP haben zu einer Generalmobilmachung aufgerufen.
Konvergenz der linken Kämpfe
Le Monde berichtete, das die Regierung sich auf Tage, möglicherweise sogar Wochen der Blockaden einrichtet. Auch die Glut der Gelbwestenbewegung ist nicht erloschen, sie schwelt noch und arbeitet an einem erneuten Aufflammen im Dezember. Das zentrale Problem sieht die Regierung in der möglichen Konvergenz der Kämpfe, einer »convergence de lutte«, das ist aus linker Sicht eine notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen die neoliberale Offensive, die in Frankreich zehn Jahre hinter ihrer Zeit liegt.
Aus der Furcht, das weitere Berufsgruppen, z.B. aus dem Gesundheitswesen, wo seit acht Monaten Streiks stattfinden, in die Reihen der wehenden Proteste einschwenken, rudern Macron/Philippe an einzelnen Punkten, wie z.B. der Reform der Nachtarbeit bereits zurück und zeigen sich konzessionsbereit. Aber das entscheidende in den bevorstehenden Kämpfen Frankreichs ist mit einem Blick auf die nächsten zwei Jahre die Frage, welche Farbe die Protestfahnen mehrheitlich bekommen. Es findet eine massive inhaltliche Schlacht um die politischen Deutungshoheiten und Identifikationen statt.
Die französische Linke, Sozialisten, Kommunisten und France Insoumise sind damit beschäftigt, wieder auf die Beine zu kommen. Der Rassemblement Nationale arbeitet derzeit weitgehend geräuschlos. Le Pen und ihre Gefolgsleute versuchen, die Gelbwesten für sich einzunehmen und auch für das Einsickern in die Schaltstellen der Gewerkschaften lautet der Befehl auf Vormarsch. Le Pen will die traditionell roten Fahnen durch blaue ersetzen.
In der personellen Aufstellung zur Kommunalwahl 2020 läuft die Vorbereitungszeit für die Listen in den 36.000 Kommunen aus. Kandidaten, die bislang für PS oder Republikaner eingetreten sind, sind aussichtslos in ihren Kandidaturen, wenn sie bei ihren abgeschlagenen und an den Rand gedrängten Parteien bleiben. Es ist ein hartes Ringen, welcher Bürgermeister für wen auf welcher Liste antritt. Der Kampf um das Bürgermeisteramt in Paris wird einen hohen symbolischen Wert bekommen, die Republikaner haben Schwierigkeiten, überhaupt einen profilierten Kandidaten zu finden. Die zersplitterte französische Linke arbeitet daran, in den Kommunen verlorenen Boden wieder gut zu machen.
Doch der vorausschauende Blick geht in Frankreich schon weit über die Kommunalwahlen hinaus, da ist der März 2020 lediglich noch ein kurzer Rastpunkt vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juli 2022. Le Pen und Macron bereiten sich strategisch und taktisch bereits auf die Wiederholung des Duells von 2017 vor. Ob die französische Linke, die kulturelle, gesellschaftliche und partei- bzw. gewerkschaftlich organisierte politische Linke wieder so reagieren wird wie im Sommer 2017, das ist die unbeantwortete Frage.
Es hat in der vergangen Woche für Aufregung gesorgt, das Macron nach den Vorschlägen zur Verschärfung des Asylrechts einer rechtsextremen Zeitschrift ein Interview ausgerechnet zu diesen Themen gegeben hat. In den nationalen Umfragewerten liegen En Marche und der Rassemblement mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2022 gleichermaßen bei 28%. Es sieht so aus, als wollte Macron wegen der Ungewissheit des Abstimmungsverhaltens auf der linken Seite direkt in das Aufstellungs- und Marschgebiet der Rechten eindringen.
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