Die Wahlergebnisse vom 11. November haben die politische Lage in Spanien noch komplizierter gemacht, nicht einfacher.
Spanien nach der Novemberwahl
Gelingen nicht ausgeschlossen
In Spanien haben die Wahlergebnisse vom 11. November die politische Lage noch komplizierter gemacht, nicht einfacher. Die Hoffnung von Ministerpräsident Pedro Sanchez Partido Socialista Obrero Español (PSOE) auf eine Auflösung der komplizierten Verhältnisse hat sich nicht erfüllt. Die Fraktionen im Parlament sind vielfältiger geworden und drei weitere politische Gruppen sind in das Parlament eingezogen. Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zum April von rund 76% auf 70% gesunken, die Zahl der Briefwähler ist um 27% gesunken.
Die spanischen Sozialdemokraten haben 3 Mandate verloren und noch 120 Sitze. Die Konservative Partido Popular (PP) hat 22 Mandate hinzugewonnen und kommt jetzt auf 88 Sitze. Die noch neue rechtsliberale Partei Ciudadanos ist stark abgestürzt und hat nach dem Verlust von 47 Sitzen noch 10 Mandate. Als ein Grund hierfür wird ihr positives Verhältnis zu der rechtsextremen Partei Vox (die sich von der PP abgespalten hat) gesehen, die jedoch im Unterschied ohne bürgerlich-liberale Kosmetik auftritt. Der Parteivorsitzende hat unmittelbar sein Amt niedergelegt.
Vox hat in der Wahl 28 Mandate gewonnen und bekommt jetzt 52 Sitze. Unidas Podemos, ein Bündnis aus Podemos, Izquierda Unida (IU), der grünen Equo und weiteren kleineren Gruppierungen verliert 7 Sitze und hat nur noch 35 Mandate. Auch die katalanische ERC verlieren zwei Mandate und haben nun noch 13 Sitze im Parlament. Die zweite katalanische Partei Junts for Catalunya hat einen Sitz gewonnen und besetzt nunmehr acht Stühle im Parlament. Eine dritte katalanische Partei, CUP hat erstmals zwei Mandate erkämpft.
Die baskische Partido Nacionalista Vasco gewinnt einen Platz und hat nun sieben Mandate. Auch die zweite baskische Partei Euskal Herrida Biscul gewinnt einen Sitz und hat nun fünf Mandate. Die Coalition Canaria hat wieder zwei Plätze und auch die nationalliberale NA+ hat ihre zwei Sitze verteidigt. PRC, die Partei der Mitte kann einen Abgeordneten entsenden. Der galizische Block Nacionalista Galego hat unverändert einen Sitz im Parlament.
Mas Pais, eine im September 2019 von Podemos abgespaltene linke Partei, die für den Wahlantritt ein Abkommen mit der grünen Partei Equo geschlossen hat, hat erstmals drei Mandate gewonnen. Und die regionale Wählervereinigung Teruel Existe hat ein Mandat gewonnen. Teruel Existe ist ein Bündnis in der ca. 35.000 Einwohner zählenden Stadt Teruel (Aragonien), die einen Autobahnanschluss und auch sonst bessere Infrastrukturanschlüsse in Spanien fordert.
Das Parlament hat nun 16 verschiedene politische Formationen, was die Regierungsbildung nicht einfacher macht. Eine weitere Neuwahl wollten die beiden linken Parteien PSOE und UP angesichts des Rechtstrends und Stimmenzuwachses für VOX nicht riskieren. So hat Sanchez innerhalb von 48 Stunden seine Blockade, die nach den Ergebnissen von April des Jahres zur Neuwahl geführt hatte, aufgegeben und die Absicht erklärt, eine progressive Regierung bilden zu wollen. Iglesias soll stellvertretender Premierminister werden.
Mit dem alten Wahlergebnis von April hätten nur elf Stimmen zur Mehrheit gefehlt, es war ein aussichtsloser Kampf gegen Windmühlen. Eine Koalition war an Pedro Sanchez Haltung gescheitert, UP und vor allem dem unkonventionell auftretenden Pablo Iglesias kein Ministeramt zuzugestehen. Dies würde ihm und 95% aller Spanierinnen und Spanier schlaflose Nächte bereiten. Nicht zuletzt, weil die aus der Bewegung 15M hervorgegangene Partei das seit den 1980ern bestehende System aus PSOE und PP aufgebrochen hat. Die Mehrheit für das Amt des Ministerpräsidenten und für die Bildung einer Regierung liegt bei 176 Stimmen von 350, aber PSOE und UP haben jetzt zusammen nur noch 155 Mandate, das heißt, nun fehlen 21 Stimmen.
Lumpensammlerstrategie erforderlich
Seit der Erklärung von Pedro und Pablo, wie sich auch eine bekannte Folklore-Schlager-Band in Spanien nennt, ist die Addition die am häufigsten gebrauchte Mathematikoperation in Madrid. Eine Koalition mit Vox (52 Stimmen) ist ausgeschlossen. Die Sitze der PP (88) fallen auch aus. Sind zusammen 140 Stimmen die ausfallen. Sanchez und Iglesias sind also auf mehrere Klein- und Kleinstparteien angewiesen, die teilweise aber konträr zueinander stehen, die drei katalanischen Parteien haben 23 und die zwei baskischen Parteien 12 Sitze, zusammen 35.
Am einfachsten scheinen die Zusage eines Autobahnanschlusses und das Versprechen, die infrastrukturellen Anbindungen für Teruel zu versprechen. Aber es ist nur eine Stimme von 21, es werden auch Zugeständnisse an die verschiedenen Regionalparteien notwendig, die Sanchez doch vermeiden wollte. Mehr Autonomie für die Regionen und Dezentralisierung sind im Gespräch, was die PSOE bislang vermeiden wollte. Polemisch heißt es, Sanchez und Iglesias müssen nun eine Lumpensammlerstrategie anwenden und von Haustür zu Haustür ziehen und um Zustimmung betteln. Aber das Gelingen ist nicht ausgeschlossen.
In dieser Woche hat die PP der PSOE eine Absage erteilt, die neu gewählten Abgeordneten der Vox-Partei aus den Leitungsgremien der beiden Kammern herauszuhalten. Damit ist zumindest eine Tür geöffnet für eine Kooperation zwischen konservativer PP und rechtsextremer Vox. Zusammen fehlen ihnen 36 Mandate für eine Mehrheit. Wenn es in Spanien zu den Dezentralisierungen kommt, wird ein Aufschwung der Rechten Kräfte als Protestreaktion sicher nicht ausbleiben. Es ist lediglich die Frage, ob er anhaltend ist, Vox träumt von schon einer patriotischen Offensive, Matteo Salvini von der italienischen Lega Nord hat zum Wahlsieg gratuliert.
Die Verhandlungen über einen Koalitionstext zwischen PSOE und Unidas Podemos werden diskret und ohne Öffentlichkeit geführt, Verlautbarungen über erzielte Zwischenschritte sind rar. Die schwierigen Teile der Verhandlungen sind an den Schluss gelegt und es gilt, erst wenn alles vereinbart ist, ist etwas verabredet. So können auf den letzten Metern Überraschungen nicht ausgeschlossen werden. Allerdings dürfte das jetzige Flirten zwischen PP und Vox eine disziplinierende Wirkung haben. Wenn Sanchez im zweiten Wahlgang mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt, ist er konform der Regeln zum neuen Ministerpräsidenten Spaniens gewählt. Die Annahme einer stabilen Wahlperiode kann daraus aber nicht abgeleitet werden.
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