Sinn Féin hat zehn Prozent dazugewonnen, aber das Wahlergebnis in Irland bestätigt aus europäischer Perspektive den Trend der weiteren Aufsplitterung der Parteienlandschaften.

Wahlen in Irland

Sensation mit Sinn Féin

 

In Irland wurde am 8. Februar ein neues Parlament, das 33. Dáil Éireann gewählt. Irland gehört somit zu den Ländern, wo an einem Samstag gewählt wird. Zudem wird dort als Wahlsystem die übertragbare Einzelstimmgebung (single tranferable vote, stv) angewendet. Jede Wählerin und jeder Wähler kann auf dem Wahlzettel eine Rangfolge der Kandidat*innen in 39 Wahlkreisen erstellen. Mit dem proportionalen Personenwahlverfahren sollen Ungenauigkeiten der Mehrheitswahl behoben und eine bessere Repräsentation aller gültig abgegebenen Stimmen erreicht werden. Auf der Grundlage der 160 Mandate und der abgegebenen Stimmen wird die Quote für einen Parlamentssitz jeweils aktuell ermittelt.

Die Wahlzettel werden gemäß den angegebenen Präferenzen ausgewertet. Beispiel: Der Gerry hat eine 1 bekommen, die Mary eine 2, der Rory eine 3, die Lou eine 4. Hat Gerry schon genügend Stimmen erhalten und gilt als gewählt, wird die Gerry-Stimme aber Mary zugeschlagen, weil sie die Nummer 2 ist und wird dadurch nun die Nummer Eins. Auf der anderen Seite werden die Stimmen nicht gewählter Kandidat*innen nach Oben transferiert. Aus der 4 wird eine 3. Hört sich kompliziert an? Ist es auch. Was man hingegen schnell versteht ist, warum die Stimmauszählung in Irland immer etwas länger braucht. Und, die Partei mit dem höchsten Stimmanteil muss nicht automatisch die größte Anzahl von Mandaten bekommen, weil der Parlamentssprecher automatisch seinen Sitz behält.

Regulär hätte die nächste Parlamentswahl in Irland erst 2021 angestanden. Aber der Umbruch der Parteienlandschaft, der mit der Wahl von 2016 eingetreten ist, hatte eine Minderheitenregierung unter Leitung von Fine Gael (FG) zur Folge, die von konservativen Fianna Fail unter Leitung von Micheál Martin gestützt wurde. Der Neuwahltermin wurde Anfang Januar von Premier Leo Varadkar (FG) festgelegt, um einem drohenden Bruch durch ein Misstrauensvotum gegen den Gesundheitsminister zuvorzukommen und sicherlich auch, weil die Umfragesituation günstig erschien. Das letztere Argument erinnert an das Schicksal der britischen Premierministerin Theresa May, die ihre Mehrheit ausbauen wollte. Man kann hoffen, aber Gewissheit hat man erst, wenn ausgezählt ist. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Auch die veränderte politische Lage im Vereinigten Königreich nach dem Brexit hat laut Varadkar eine Rolle in den Überlegungen gespielt und ebenso, das Nordirland wieder eine neue Regionalregierung hat.

Siegerin der Wahl vom 8. Februar ist Sinn Fein, der frühere parlamentarische Arm der irregulären Irish Republican Army (IRA), die bis zum Karfreitagsabkommen 1998 gegen die Besetzung Nordirlands durch die Briten gekämpft hat. Mit der neuen Vorsitzenden Mary Lou Mc Donald ist Sinn Fein in der ersten Präferenz auf 24,53% gekommen und damit auf dem ersten Platz gelandet. Für Irland eine Sensation. Mc Donald wurde 2004 die erste Europaabgeordnete von Sinn Féin, wurde 2011 ins nationale irische Parlament gewählt und hat 2018 den Parteivorsitz von Gerry Adams übernommen, dem nachgesagt wird, Mitglied der IRA gewesen zu sein. Die SF hat mit der politischen Linie von Mc Donald, die klar auf soziale Themen ausgerichtet war, 10,7% und 14 Mandate zugelegt. Die irische Wirtschaft floriert nach der Krise von 2008, aber die Eliten gelten als Raffkes und von Umverteilung des Reichtums ist für die kleinen Leute wenig zu spüren. Soziale Unzufriedenheit ob dieser Asymmetrie ist weit verbreitet. Dennoch ist Sinn Fein inhaltlich gespalten zwischen denen, die aus der „Up the RA!“-Tradition kommen und den neuen jungen, die zum Gelingen des Profilwandels „links-sozial“ beigetragen haben. Es ist keine einfache Aufgabe, dies inhaltlich zusammenzuhalten.

Der Brexit wurde thematisch nicht mehr hoch gehängt, da er beschlossen ist. Die konservative Fianna Fail hat 22,18% bekommen, aber durch den ehemaligen Parlamentssprecher kommt sie auf 38 Mandate, wohingegen Sinn Fein nur 37 Mandate hat. Die noch Regierungspartei Fine Gail hat mit 20,86% 35 Mandate erhalten und ist auf den dritten Platz gefallen. Die Green Party mit 7,13% auf 12 Mandate. Labour Party kommt mit 4,38% auf 6 Sitze und die erst 2015 gegründete Social Democrats mit 2,90% ebenfalls 6 Sitze. Solidarity – People Before Profit hat mit 2,63% nun 5 Mandate bekommen. 19 unabhängigen Abgeordneten, also Einzelkandidierenden, ist der Einzug ins Parlament gelungen. Das ist fast ein Achtel der 160 Mandate. Independents 4 Change, eine sozialistische Partei, hat 1 Mandat errungen. Aontu, eine Abspaltung von Sinn Fein, ist mit 1,9% ebenfalls auf einen Sitz gekommen.

Auf Grund der komplizierten Verhältnisse der Parteien untereinander und dem „Wer will nicht mit wem“ werden schwierige Koalitionsverhandlungen erwartet. 81 Mandate sind die magische Zahl der Regierungsmehrheit. Mc Donald von Sinn Fein hat den Anspruch auf den Regierungsvorsitz erhoben. Der alte Premierminister Leo Varadkar (Fine Gail, 35 Mandate) hat den Auftrag für Sinn Fein bestätigt und sieht nun Sinn Fein in der Verantwortung ein Regierungsprogramm aufzulegen, mit dem sie ihre Versprechen umsetzen und dafür im Dáil eine Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Er selber sieht die Niederlage seiner Partei, lehnt aus diesem Grunde eine Regierungsbeteiligung ab und will Oppositionsführer werden, wenn seine Partei ihn noch haben will.

Sinn Fein (37) hat als erstes die Grüne Partei (12), Solidarity – People for Profit (5), die Social Democrats (6) und Labour (6) angesprochen. Wenn es gut läuft, stellen fünf Fraktionen 66 Mandate, es fehlen 15 bis zur Mehrheit. Das wäre dann die konservative republikanische Fianna Fail mit 38 Mandaten oder die 19 Einzelabgeordneten. Das Wahlergebnis in Irland bestätigt aus europäischer Perspektive den Trend der weiteren Aufsplitterung der Parteienlandschaften von zwei großen 40%-Parteien und einer kleineren zu vielen mittleren 20%-Parteien und kleineren. Sollte Sinn Fein die Regierungsbildung gelingen, so wird spekuliert, wird die Frage der Einheit auf der irischen Insel auf der Tagesordnung ein gutes Stück nach oben rücken. Jedenfalls dann, wenn aus der jetzt offenen Grenze zwischen dem britisch besetzten Norden und dem Rest der Insel eine feste Zollgrenze zwischen EU und UK werden sollte. Scheitert Sinn Fein, so dürfte der Hintergedanke bei Varadkar sein, könnte er nach Neuwahlen wieder zum Zug kommen.