Frankreich nach der Kommunalwahl. Nach außen wähnt sich Macron sicher im Sattel, aber die Ergebnisse der kommunalen Wahlgänge bestätigen eindrücklich, dass dem nicht so ist.

Stichwahlen in Frankreich

Wankend nach Vorne

 

Seit der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten im Sommer 2017 sind drei Jahre vergangen, in denen er die Sozialpolitik auf neoliberale Standards drücken wollte. Teils ist ihm dies gelungen, teils ist er wie die meisten Präsidenten vor ihm am Willen der Bevölkerung, ihre Standards zu verteidigen, mit Verve gescheitert.

Den Kommunalwahlen kommen im zentralistischen Frankreich besondere Bedeutungen zu, weil sie zeitgleich landesweit durchgeführt werden und es keine Landtagswahlen gibt, wie z.B. im föderalistischen Deutschland. Die Kommunalwahlen manifestieren gewissermaßen die politische Stimmung im Land, obwohl Kommunalwahlen auch in Frankreich eine starke Persönlichkeitskomponente haben.

Aber sie sind ein Indikator für das Ansehen des Präsidenten und seiner Politik mit Blick auf die nächsten Wahlen im Juli 2022. Sicher sind es noch zwei Jahre bis dahin und es kann noch viel passieren. Zum Beispiel, dass Macron beliebt wird. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn man einen Blick in den Rückspiegel wirft. Allerdings ist gerade bei Wahlen immer auch die Frage der personalen Alternative und so wähnt sich Macron nach außen sicher im Sattel. Im Inneren aber ist es nicht so und die Ergebnisse der beiden kommunalen Wahlgänge bestätigen dies eindrücklich.

Der erste Wahlgang wurde am Beginn der Corona-Pandemie in Frankreich trotz vielfachem Protest und ernsthaft bei Macron vorgetragenen Bedenken durchgeführt. Anfang März fiel dadurch die Wahlbeteiligung aus Sorge vor Ansteckung, aber auch aus politischem Protest. Die Zahl der Infektionen stieg nach dem Wahlgang stark an, zumindest ein Bürgermeister verstarb an den Folgen der Infektion. So konnte nicht an dem Termin zur Durchführung der Stichwahlen festgehalten werden. Sogar die Annulierung des ersten Wahlgangs war im Gespräch, weil ein zu großer zeitlicher Abstand zwischen den Wahlgängen das Ergebnis verfälschen würde.

Am vergangenen Sonntag, 28. Juni, wurde der zweite Wahlgang durchgeführt. Die Wahlbeteiligung ist noch einmal gesunken, knapp vierzig Prozent. Nicht nur Angst vor Corona war ein Motiv zur Wahlverweigerung, sondern auch Verdruss und Enttäuschung über Macrons Politik. Die Ergebnisse der großen Städte zeigen ein schlechtes Abschneiden von Macrons Partei En Marche. Dabei hatten sie sich für ein besseres Abschneiden in einigen Städten, z.B. Straßburg und Clermond-Ferrand, mit den Republikanern verbündet, was Macron zum Beginn seiner Bewegung noch explizit ausgeschlossen hatte, um das alte Links-Rechts-Schema aufzubrechen.

Die Ergebnisse bestätigen auch, das En Marche eine Bewegung von Oben geblieben ist, die an der Basis nicht angekommen ist, möglicherweise kommt EM auf 10.000 von insgesamt 530.000 Gemeinderäten. Allein Premierminister Édouard Philippe konnte sich in seiner Heimatstadt mit Erfolg als Bürgermeister durchsetzen, aber er ist heute parteilos. Da dieser sich gegen Ämterhäufung ausgesprochen hat, müsste er nun vom Amt des Premierministers zurücktreten oder das frisch gewonnene nicht antreten. Ersteres freilich käme Macron entgegen, denn er könnte Philippe ehrenhaft gehen lassen und das in seiner Lage in Frankreich übliche Instrument einer Regierungsumbildung einsetzen: Der Präsident tut was. Ein „Ich habe verstanden“-Signal an das Wahlvolk.

Auch Innenminister Castaner hat nach der Kritik an seiner Polizei einen Schleudersitz. Das Umweltministerium ist auch ein Kandidat, weil in vielen Großstädten wie in Lyon und Toulouse sich die Grünen erstmals durchgesetzt haben, Europe Écologie – Le Vert (EELV). In anderen Großstädten wie Nantes und Montpellier haben Links-Grüne Bündnisse gewonnen. Früher war der Name von Danni le Rouge, Daniel-Cohn-Bendit oft zu hören, wenn es um einen Überraschungskandidaten für die Regierung von Macron ging. Aber der Präsidentenberater hat gerade das Zusammengehen von En Marche mit den Konservativen stark kritisiert. So wird er wohl ausfallen.

Das Positive der Wahl ist das Umschwenken des Scheinwerferlichts von Marine le Pen und ihrem Rassemblement Nationale (RN) auf die Grünen (EELV). Es entsteht dadurch eine Aussicht im Deutsch-französischen-Tandem auf einen gemeinsamen ökologischen Trend und keine Blau-Grün-Differenz zwischen Paris und Berlin. Dies ist für Die Linke gut, weil die soziale Frage im ökologischen Umbau tatsächlich auch aus europäischer Perspektive relevanter wird. Dies ist für die Linke, aber auch für die französischen Kommunisten schwierig, weil ihre innere Differenz zwischen fossiler Arbeitswelt aus Kohle und Stahl und neuer digital-ökologischer Arbeits- und Lebenswelt noch stärker hervortreten wird.

In den Fluren der Nationalversammlung an der Seine wird noch über eine weitere Alternative zur schon oft in den vergangenen Jahrzehnten benutzten Regierungsumbildung gesprochen. „Macht Macron den Schröder?“, heißt die Frage ins Deutsche gewendet. Die Spekulation lautet, Macron könnte als erster Präsident der V. Republik das Parlament vollständig auflösen und gleich selber wieder als Kandidat von EM bei Neuwahlen im Herbst antreten, um aus der Defensive zu kommen. Diese Forderung wurde schon von le Pen nach der EP-Wahl erhoben. Nun aber soll sie den Gerüchten zu Folge von Macron selbst vorgetragen worden sein. Ob es stimmt? Das wissen wir nicht.

Aber allein das Tuscheln darüber und die schon länger andauernden Spekulationen über ein solches Szenario zeigen, wie eng es im Zentralstaat um Monsieur le President im dritten Jahr seiner Amtszeit steht. Erst die Beschimpfung als „President des Riches“, dann „Gelbwesten-Opposition“, nun politisch motivierte Wahlenthaltung. Vor kurzem hat Macron in der Nationalversammlung die Mehrheit durch eine linke Abspaltung von seiner Fraktion verloren und ist jetzt auf den kleineren Koalitionspartner angewiesen.

Am Montag ist Macron mit dem großen schwarzen Wagen in Berlin vorgefahren, um das weitere Vorgehen in der deutsch-französischen Initiative und den 750 Milliarden EU-Corona-Hilfe mit Merkel zu besprechen. Gute Zeitplanung. Sicher drängt die Zeit, aber es ist auch ein klug gesetztes Ablenkungsmanöver, das auch die Kanzlerin hervorragend beherrscht. An Tagen mit schlechten Wahlergebnissen für die CDU kriegte Merkel mal eine Ehrendoktorwürde an einer Universität, trat in China oder Afrika vor die Presse und hielt sich dadurch die Unbilden der Mühen des Alltags vom Hals. Besonders nachdem sie 2018 den Parteivorsitz aufgegeben hatte.

Nach einem langen Tal tiefer Kritik aus den eigenen Parteireihen seit 2015 und manchmal nur mühselig abgewehrter Amtsrevolution wird sie heute mehr denn je für eine fünfte Amtszeit ins Spiel gebracht. Bei Kohl nannte man das noch „Aussitzen“. Macron nutzte die Gelegenheit und hat eine Volksabstimmung über ökologische Themen in Frankreich – vielleicht schon im nächsten Jahr – in Aussicht gestellt. Damit kündigt sich auch in Paris eine ähnliche Strategie wie in Deutschland für die kommenden Wahlgänge 2021 und 2022 an. Nicht mehr der RN oder die AfD sind aus Sicht des Élysée und der Berliner Waschmaschine im Zentrum des Kampfes, sondern die Ökos. Im Unterschied zu den Blauen ist deren weiterer Aufstieg nicht ausgeschlossen. Die Linke muss, dies zeigt die Kooperation von Grün-Links in Frankreich, mit einem klaren Profil daherkommen, wenn dieser nicht zu ihren Lasten gehen soll.