Dieses Lavieren hat zerstörte Parteienlandschaften hinterlassen, ohne eine eigene Perspektive etablieren zu können – Frankreich vor den Regionalwahlen.
Weder Links noch Rechts
Frankreich vor Attentat und Bürgerkrieg?
Nicht nur Podemos in Spanien 2014 und Movimento Cinque Stelle (M5S) in Italien 2009 wollten mit ihren Bewegungen »Weder links noch rechts« sein, sondern auch die Formation von Emmanuel Macron »La Republique en Marche« 2016 in Frankreich. Podemos, Cinque Stelle und En Marche haben es geschafft, in die Regierung zu kommen oder das Präsidentenamt zu erobern.
Nach dem Scheitern und Rückzug von Pablo Iglesias in der Madrid-Wahl vor wenigen Wochen und dem Scheitern von M5S stehen die Regional- und Departementalwahlen in Frankreich am 20. und 27. Juni im Zentrum des Interesses. Sie sind die letzten relevanten Wahlen vor der Präsidentschaftswahl im kommenden April und Mai 2022, für die im Allgemeinen in der Stichwahl eine Wiederkehr des Duells von 2017 erwartet wird: Emmanuel Macron gegen Marine le Pen.
Podemos, M5S und En Marche ist es mit ihren emotionalisierenden und bewegenden Antritten gelungen, die vorher bestehenden Parteiensysteme und ihre oftmals zementierten Kräfteverhältnisse in wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisenzeiten aufzubrechen. Nach unterschiedlichen Zeiträumen jedoch konnten sie ihre Weder-Noch-Haltungen nicht mehr aufrechterhalten und haben sich einer Seite zugeneigt.
In Spanien nach Links, in Italien erst nach Rechts, dann nach Links, dann irgendwie in die Mitte. In Frankreich werden vor den Regional- und Departementalwahlen lokale Bündnisse mal nach Links und mal nach Rechts geschmiedet, es ist keine einheitliche Linie mehr ersichtlich. Dies gilt sowohl für En Marche wie für die Republikaner, die nur noch rudimentär existierenden Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten. Das französische Parteiensystem ist stark durcheinandergewirbelt.
Am 20. und 27. Juni werden in 13 Zentralregionen gewählt, dazu kommen die Überseeregionen wie La Réunion und Guadeloupe und geschlossene Territorien wie Korsika, Martinique oder Guayana. Es gibt 92 Departements metropolitains, territorial sind diese also erheblich kleinteiliger plus Guadeloupe, La Réunion und Mayotte. In den überseeischen Gebieten wird tendenziell eher linksdemokratisch bzw. für dort lediglich lokal antretende Parteien gestimmt.
Für die 17 Regionen wurden 155 Wahlvorschläge eingereicht und es kandidieren zwischen sieben und dreizehn Listen. Listen unter 5% Wahlergebnis fliegen nach dem ersten Wahlgang raus. Listen zwischen 5% und 10% können mit Listen fusionieren, die mehr als 10% bekommen haben, aber nicht mehr eigenständig antreten.
En Marche nimmt das erste Mal an diesen Wahlen Teil und hat keine Chance auf einen eigenständigen Sieg, weder auf Regional- noch auf Departementalebene. Zumeist treten sie mit dem Mouvement Dèmocrat (MoDem) an, dem Kooperationspartner aus der Assemblée National und weiteren kleineren Zentrumsparteien. Lediglich in der Region Provence-Alpes-Côte d´ Azur (PACA) ist es EM gelungen, schon im Vorfeld mit den Republikanern auf eine gemeinsame Liste zu gehen.
Aber der Spitzenkandidat der Republikaner hat die Kandidierenden der an der Basis nicht verankerten Präsidentenbewegungspartei auf die Liste genommen, nicht andersrum. Dies hat ihm bei den Republikanern erheblichen Ärger eingebracht. Der Verlust der Eigenständigkeit wird dort als Szenario für die Präsidentschaftswahl befürchtet, EM hat damit auf der anderen Seite erneut das »ni l`un ni l àutre Model« (weder das Eine noch das Andere) aufgegeben, um als Partei dem drohenden Schicksal von Podemos und M5S zu entgehen. Das strategische Kalkül liegt in der Hoffnung, gemäßigte Rechte zu gewinnen, die nächstes Jahr nicht le Pen im Elysée-Palast haben wollen.
Für die linken Parteien sieht es kaum komfortabler aus. Nur in der Region Hauts-de-France ist es gelungen, eine Liste aus Parti Socialiste, Europe Ecologie Les Verts (EELV), La France Insoumise (LFI) und weiteren zu schmieden. In der PACA-Region ist eine Liste ohne LFI gegründet worden, die Partei Melenchons tritt wegen der Aussichtslosigkeit dort erst gar nicht an. Die Parti Communiste Francaise (PCF) führt in drei Regionen (AURA, Normandie und Korsika) linke Listenbündnisse an und hat in Korsika gute Chancen auf einen Sieg. In den anderen Regionen unterstützt sie wahlweise PS, LFI oder EELV und wird ihre Strategie nach dem ersten Wahlgang anpassen und das jeweils beste linke Listenergebnis unterstützen.
Dem Rassemblement National (RN) ist es nur in wenigen Fällen gelungen, ihre Listen um Kandidaten der Republikaner, die bis 2015 Union pour le Mouvement de Peuple (UMP) hießen, zu erweitern. In Auvergne-Rhone-Alpes wurde ein ehemaliger Regionalabgeordneter von LFI auf den Spitzenplatz der RN-Liste gewählt. Es wird momentan davon ausgegangen, dass die Listen von RN in allen Regionen im ersten Wahlgang über 20% holen werden, lediglich in PACA, wird für Marion Marechal, Enkelin von Parteigründer Jean-Marie le Pen, die Chance gesehen, sich in der Stichwahl durchzusetzen.
Aber für die Präsidentschaftswahl zehn Monate später befürchtet nicht nur Macron, dass sich der »Alle-gegen-le Pen-Reflex« in der Stichwahl nach dem Motto: »Die USA haben ja auch vier Jahre Trump überlebt und es war nicht alles schlecht« abgenutzt haben könnte. Als zweites wird von allen politischen Beobachtern gleichermaßen auf Grund von Desinteresse und Desillusionierung eine sehr geringe Wahlbeteiligung von unter 50% in beiden Wahlgängen thematisiert. Dies würde einen Ansatzpunkt bieten, die Legitimation des Verfahrens von Wahlen im öffentlichen Diskurs zu hinterfragen.
Zwei offene Brief von Militärs und Sicherheitskräften, in denen vor einem Bürgerkrieg, einem drohenden territorialen Zerfall Frankreichs gewarnt und zur Rettung der zivilisatorischen Werte einem Putsch gegen die »Herrschaft des Islamismus« und der »Horden aus den Vorstädten« aufgerufen wurde, haben die öffentliche Debatte weiter zugespitzt. Die Regierung wirft den teils anonymen Initiatoren der Briefe offene Wahlkampfhilfe für le Pen vor und fordert sie auf, Armee und Sicherheitskräfte zu verlassen, weil sie das Neutralitätsgebot verlassen haben. Jean-Luc Melenchon hat vergangene Woche vor Attentaten kurz vor der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr gewarnt.
Die nächste Phase wird zeigen, ob sich das Manöver »Weder links noch rechts« und sein über Jahre hinziehendes, teils sprunghaftes und chaotisches Lavieren und Taktieren nach einer Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2010, einer starken Migrationsbewegung 2015 und einer Pandemie 2020 folgend als Verstärker für ein elektorales Bedürfnis nach Ruhe, Ordnung und Sicherheit erweisen. Das »ni-ni« hat zerstörte Parteienlandschaften hinterlassen, ohne eine dauerhafte eigene Perspektive etablieren zu können. Durch dieses Vakuum ist in Spanien, in Italien und in Frankreich Rechts auf dem Vormarsch.
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