Griechenland liegt vollständig am Boden. Im Ergebnis der bisherigen „Hilfspolitik“ sind seine Schulden um 60 Milliarden Euro höher als vor dem ersten „Rettungspaket“. Am Freitag dieser Sitzungswoche wurde im Plenum deshalb wieder einmal über Kredite in Höhe von 44 Milliarden Euro abgestimmt. Davon sollen 34,4 Milliarden noch im laufenden Jahr fließen. Von dem Geld, das im Dezember ausgezahlt wird, sollen 23,8 Milliarden an Banken und 10,6 Milliarden in den Staatshaushalt gehen. Seit Monaten haben Berichte über zähe Verhandlungen zwischen EU, EZB und IWF die Öffentlichkeit weichgekocht. Erst müsse der Bericht der Troika vorliegen, ob Griechenland bisher eingegangene Verpflichtungen umgesetzt hat, dann würde entschieden, ob neue Gelder bewilligt und Tranchen von bereits bewilligten Krediten freigegeben würden. Vordergründig wird immer wieder das Märchen von der Rettung Griechen bemüht, dabei belegen die Zahlen deutlich, der größte Teil des Geldes rettet Banken und Spekulanten vor den marktwirtschaftlichen Folgen ihrer Leistung.

Erstmals wurde in der Plenardebatte eingestanden, dass es nicht bei Garantien und Bürgschaften für Griechenland bleiben wird. Der jetzt eingeschlagene Weg hat direkte finanzielle Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Damit ist der in der vorhergehenden Sitzungswoche beschlossene Haushalt für 2013 obsolet. Der deutsche Anteil an der EZB – das sind 27 % – beläuft sich auf rund 600 Millionen Euro im Jahr 2013 und rund 530 Millionen Euro im Jahr 2014. Dazu kommen pro Jahr rund 130 Millionen Euro, weil die Zinsen für die Kredite an Griechenland reduziert wurden. Wenn jetzt von Kosten für den Staatshaushalt gesprochen wird, heißt das, man nimmt nur Abstand von den hohen Zinsen und den Gewinnen, die man mit dem Auspressen von Griechenland gemacht hat.

Weil die EZB im Zuge der Griechenland-Hilfen auf Gewinne in Milliardenhöhe „verzichtet“ – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – hat das auch für den Bundeshaushalt teure Folgen. Außerdem sind weitere Maßnahmen zur Finanzierung Griechenlands nötig, die auch direkt Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben werden. Weitergehende Maßnahmen für Griechenland, das heißt ein Schuldenschnitt, träfe die EZB erheblich stärker, denn sie ist in den letzten Jahren zur Bad Bank geworden. Die Bundesregierung weigert sich mit aller Kraft, diesen Schritt vor der Bundestagswahl zu gehen. Sie will, wie alle Spekulierenden, die Kosten ihres Handelns möglichst weit hinausschieben.

Schäuble erklärte, man habe für die nächsten Jahre rund zehn Milliarden Euro ausfallende Gewinne bei der EZB im Zuge der vereinbarten Anleihen-Aufkaufprogramme verabredet. Gleichzeitig wiederholte er in der Debatte am Freitag, dass niemand mehr von dem Euro so profitiert wie die Deutschen – wirtschaftlich und politisch. Der aktuelle, von der Bundesregierung in dieser Woche zensierte Armutsbericht sagt da etwas völlig anderes. Die Aussage „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ ist im Vergleich mit dem Zwischenbericht vom September nicht mehr enthalten.

Auch die Aussagen zur Lohnentwicklung sind gestrichen worden. Im vorherigen Entwurf stand dort, dass „die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war“, die unteren Löhne sind in den vergangenen zehn Jahren aber „preisbereinigt gesunken“. Verantwortlich für die Streichungen ist vor allem die FDP, wahrscheinlich kommt ihr die Logik des Marktes darin zu sehr zum Vorschein. Tatbestand ist: Die ökonomische Schere klafft auch in Deutschland immer weiter auseinander. Das Lied von Deutschland als Krisengewinnler ist konservativ-liberale Schönfärberei, die diejenigen, die eben nicht gewinnen, in Reih und Glied bringen will. Zur Verstärkung des Effekts drischt man mit der Keule auf die „faulen Griechen“.

In Griechenland sind die Folgen der Krise massiv sichtbar. Nach Angaben der staatlichen Arbeitsverwaltung gingen allein im Oktober 50.473 Arbeitsplätze verloren, ca. 1.630 pro Tag. Auf ein Jahr hochgerechnet sind das 600.000 Arbeitsplätze bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 10 Millionen. Seit dem letzten Quartal 2008 hat Griechenland 20 % seiner Wirtschaftskraft eingebüßt. In einer Studie kommt die National Bank of Greece (NBG) zu dem Schluss, dass bereits jeder dritte Beschäftigte in der Privatwirtschaft seinen Job verloren hat.

Als nächstes muss die griechische Regierung und das Parlament auf Druck der Troika in den nächsten zwei Jahren noch zehntausende Stellen im öffentlichen Dienst streichen. Das treibt die Arbeitslosenquote von 25,4 % ein weiteres Mal nach oben. In der Gruppe der unter 24-jährigen beträgt die Quote bereits 58 %. Euphemistisch nennt man das eine verlorene Generation, man kann sie nicht ausbeuten, man müsste sie zum Erhalt des sozialen Friedens alimentieren. Aber genau dies wird durch die Spardiktate unmöglich gemacht. Nach einem Jahr Arbeitslosenhilfe gibt es in Griechenland keine weiteren Sozialtransfers für die Millionen Betroffenen. Sie fallen finanziell und sozial ins Bodenlose. Wie lange dies eine Demokratie aushält, wird am lebenden Objekt erprobt. Ausgang offen.

Mit dem jetzt beschlossenen „Rettungsplan“ soll die aktuelle griechische Staatsschuldenquote von 175 % bis zum Jahr 2020 auf 124 % der Wirtschaftsleistung sinken, bis 2022 sogar auf 110 %. Bislang war man von 144 % ausgegangen. Mit dieser Senkung sind die Europäer dem IWF entgegengekommen. Dessen Chefin Lagarde fordert wie DIE LINKE eine möglichst schnelle Senkung des Schuldenstandes über einen Schuldenschnitt. Dagegen sträubt sich die Bundesregierung, insbesondere CSU und FDP, denn sie würden damit das Scheitern ihrer ideologischen Politiklinie eingestehen. Stattdessen behaupten sie, dass als nächstes Portugal, Spanien und am Schluss auch Italien mit dem gleichen Recht einen Schuldenerlass einfordern könnte. Wenn dies passiere, würde auch die Bundesrepublik „in die Knie gehen“ und das letzte Bollwerk im Kampf gegen die anonyme Bürokratie Brüssels wäre gefallen.

Ressentiments aus einem vergangenen Jahrhundert sollen der CSU im Herbst 2013 wieder über 50 % verhelfen. Auch hier wird eine Schlacht von Gestern geschlagen, Zeit kaufen, auf Sicht fahren. Dabei ist eine Prognose über den weiteren Verlauf der Krise keine Frage mangelnder Sicht, sondern vor allem eine Frage von Logik. Frankreich war der vorletzte Stein im Domino der Rating-Agenturen, der letzte ist die größte Volkswirtschaft in der Euro-Zone. Der Finanzminister sagte am Montag in der thailändischen Notenbank: „Je tiefer die Krise ist, desto besser die Chancen.“ Aus dieser Sicht erscheint die beharrliche Verweigerung einer schnellen Überwindung der griechischen Malaise Programm. Allerdings eines mit suizidalen Zügen.