Die Ergebnisse vom vergangenen Wahlsonntag haben die politische Lage in der Europäischen Union und insbesondere in der Eurozone verändert. In Serbien ist ein Patt der politischen Kräfte zu erkennen. Der proeuropäische Kurs, der auf Integration in die EU setzt, wurde aber knapp bestätigt. In Griechenland kann die alte Regierungskonstellation ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen, eine neue Regierungskoalition ist auf der Grundlage dieses Wahlergebnisses fast aussichtslos, also wird bereits über Neuwahlen am 17. Juni spekuliert. „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“, so hat Bertolt Brecht es passend beschrieben. Denn die griechische Bevölkerung wäre schlecht beraten, wenn sie den Sparkurs, der auf Kosten der einfachen Leute, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, bestätigen würde. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) hat ihrerseits eine für Mitte Mai geplante Reise nach Athen bereits abgesagt und den Druck auf Griechenland erhöht. Der Austritt aus der Eurozone ist wahrscheinlicher geworden.

Die Euro-Krise ist längst im Zentrum der Union angekommen, für die viertgrößte Volkswirtschaft Spanien stieg die Rendite für zehnjährige Staatspapiere am Mittwoch erstmals seit Mitte April wieder über die Marke von sechs Prozent. Ebenso wie in den USA entstand auch in Spanien eine Immobilienblase, nur dass diese nicht in komplizierten Finanzprodukten versteckt wurde. Spaniens Sparkassen, die sogenannten Cajas, verspekulierten sich mit ganz gewöhnlichen Krediten. Das ausgerechnet ein konservativer spanischer Premierminister das viertgrößte Institut des Landes, die Bankia kurz vor der Bekanntgabe eines neuen Rettungsprogramms verstaatlicht, zeigt den Ernst der Lage. Die Bankia ist der größte Problemfall im spanischen Finanzsektor.

Für 4,5 Mrd. Euro übernimmt die spanische Regierung die Muttergesellschaft Banco Financiero y de Ahorros (BFA) und wird damit Hauptaktionär. Das Geld hatte die Finanzgruppe dem Staat geschuldet. Auf die Rückzahlung verzichtet Rajoy. Dafür erhält der Staat 45 Prozent der Bankia-Aktien. In der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft erzielen zehnjährige italienische Titel eine Rendite von gut 5,5 Prozent und damit einen halben Prozentpunkt weniger als spanische Papiere. In Italien ist die Arbeitslosigkeit im März auf den höchsten Stand seit über acht Jahren gestiegen. Der Anteil der Gesamtverschuldung am Bruttoinlandsprodukt wird nach Regierungseinschätzungen im laufenden Jahr auf bis zu 120,3 Prozent steigen. Der in Aussicht gestellte Neuwahltermin wird wohl noch länger hinausgeschoben, auch hier würde aus der Sicht der Eurokraten wohl lieber die Regierung ein neues Volk wählen.

Und spätestens mit dem Sieg von Francois Hollande ist der politische Dissens im deutsch-französischen Motor angekommen. Frankreich, zweitgrößte Volkswirtschaft, wurde bereits von einer Rating-Agentur abgestuft und steht auf dem abrutschenden Ast. Die deutsche Wirtschaft und die Bundesregierung profitieren von der aktuellen Situation und Frankreich hat das Nachsehen. Die Zinsen für die Bundesrepublik sinken, für Frankreich steigen sie. Die politischen Interessen von Deutschland und Frankreich tendieren also notgedrungen durch die ökonomisch gegenläufigen Tendenzen in zwei unterschiedliche Richtungen. Damit ist der Spaltkeil im deutsch-französischen Tandem angekommen, die Differenz der Wettbewerbsfähigkeit ist unübersehbar.

Im Juni wird die Französische Nationalversammlung neu gewählt und erst das ist die Nagelprobe auf die politische Substanz der Veränderung vom vorhergehenden europäischen Wahlsonntag. Es verwundert also nicht, dass mit dem Sieg bei der Präsidentschaftswahl die Wachstumsfrage auf der Brüsseler Agenda nach oben geschnellt ist. Die 27 Regierungschefs wurden nur wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl zu einem Wachstum-Sondergipfel am 23. Mai eingeladen. Und beim nächsten regulären EU-Gipfel Ende Juni soll ein Wachstumspakt zusätzlich zum Spardiktat beschlossen werden. Woher dieses Wachstum bei Aufrechterhaltung der jetzigen deutschen Austeritätspolitik kommen soll, bleibt das Geheimnis von Merkel, Schäuble und Rösler.

Die Differenz zwischen Frankreich und Deutschland zeigt, dass die Konkurrenz um den Marktvorteil innerhalb einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion an die Grenzen des Möglichen gekommen ist. Es handelt sich bei der Eurozone um eine Binnenwirtschaftszone, bei der die nationalstaatlich gefassten Akteure sich vorgaukeln, sie hätten eine politische, ökonomische und soziale Souveränität.

Das ist mitnichten so. Die Wettbewerbs- und Marktvorteile des Euros haben zu wollen, ohne die sich daraus ergebende gemeinsame Verantwortung anzuerkennen, führt zum Scheitern der EU. Bei einem Zerfall des Euros und der Wiedereinführung nationaler Währungen ist unstrittig, würde die neue DM erheblich aufgewertet, so dass die bundesrepublikanische Wirtschaft ihren jetzigen Wettbewerbsvorteil verlöre. Das heißt, sie zieht ihren aktuellen Vorteil aus einer gemeinsamen Währungsunion, in der sie das Konkurrenzmodell aufrechterhalten will. Dies ist in der Konsequenz nichts anderes als nationalegoistische Politik, die den Gedanken einer gemeinsamen europäischen Union von innen her unterhöhlt.