Die Liste der Mitgliedsstaaten der EU, die durch die Folgen der Euro-Krise einen Regierungsbruch erleben, wird immer länger. Nach Irland, Portugal, Spanien, Griechenland, wo am 15.4.2012 vorgezogene Parlamentswahlen durchgeführt werden, Italien und Tschechien hat in dieser Woche der Rumäne Emil Boc das Handtuch geschmissen und Neuwahlen angekündigt. Gerade starren wieder alle auf die Verhandlungen in Griechenland, derweil scheint mit Portugal der nächste Kandidat für einen Schuldenschnitt schon ausgemacht. In all diesen politisch unruhigen Gewässern wurde am 30.01. der seit einigen Monaten verhandelte Fiskalvertrag von 25 Mitgliedsstaaten der EU der 27 verabschiedet, der außerhalb des geltenden EU-Rechts steht. Großbritannien ist wie angekündigt nicht dabei und überraschend auch Tschechien, die zuerst Zustimmung signalisiert hatten.

Parallel wurde auf dem Januar-Gipfel nicht nur Schuldenbremsen in den Staatshaushalten, sondern auch der sogenannte permanente Rettungsschirm für Banken (ESM) verabschiedet. Er soll am 1.07. starten und eine Summe von 500 Milliarden € bereit halten, wobei über eine Erhöhung auf 1 Billionen spekuliert wird. Der ESM ist verfassungswidrig und inakzeptabel, da ihn weder nationalstaatliche noch das Europäische Parlament kontrollieren können. Mit dem Fiskalvertrag verpflichten sich die Mitgliedstaaten, eine Schuldenbremse nach dem Vorbild der Bundesrepublik einzuführen, die Neuverschuldung darf maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Darüber hinaus müssen Staaten, deren Schuldenquote über 60 % des Bruttoinlandsprodukts liegt, ihre Verschuldung pro Jahr um ein Zwanzigstel verringern. Wer gegen diese Regeln verstößt, soll automatisch bestraft werden. So darf der Europäische Gerichtshof in Zukunft Geldstrafen (bis zu 0,1% Prozent des BIP) gegen Mitgliedstaaten verhängen, die sich nicht an die vereinbarten Quoten halten.

Mit der Zustimmung zu dem Vertrag würde der Bundestag sein demokratisch legitimiertes Haushaltsrecht aushebeln, stattdessen würden die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof über den Bundeshaushalt entscheiden. Auch diese Regelung muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht beklagt werden. Es entspricht der neoliberalen Logik, dass in diesem Abkommen die Einnahmeseite der Haushalte völlig ausgeblendet wird. Die privaten Investoren und Banken haben gar kein Interesse an schuldenfreien Staatshaushalten, allein in Deutschland ist das Vermögen der Millionäre auf über 2,2 Billionen Euro angewachsen und damit höher als die gesamte deutsche Staatsverschuldung. Sie sind Teil der sogenannten Investoren, die selbstverständlich auf Erhalt und Ausbau ihres Vermögens Wert legen, verzinste Staatsschulden galten bislang in Europa als sichere Gewinne. Der europäische Schuldenberg ist Bestandteil dieser Gewinnmaschine, die jetzige Krise ist auch dadurch entstanden, dass Regierungspolitik seit Jahrzehnten diese Vermögen ermöglicht. Sie sind die andere Seite der Schuldenstände, mit denen Staaten ihre Aufgaben und Ausgaben „zu Lasten der Zukunft künftiger Generationen“ finanziert haben.

Der Vertrag soll nach bisherigem Zeitplan im März unterschrieben werden. Danach muss er noch in den Mitgliedstaaten ratifiziert werden, spätestens Anfang 2013 soll er in Kraft treten. Dem geht der Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen am 22.04. und der Parlamentswahlen am 10. bzw. 17.06. vorher und möglicher Weise ein Referendum in Irland. Deshalb unterstützt die Kanzlerin in diesen Tagen den Präsidenten Sarkozy, der Kandidat der Sozialisten, Hollande hat bereits seinen Widerstand gegen dieses Projekt angekündigt. Denn der alleinige Blick auf das Sparen verstellt den Blick für die Folgen in den Gesellschaften der Mitgliedsstaaten und bei den einzelnen Menschen. Die Sparpakete entpuppen sich als Würgegriff der EU und dies wird die Zustimmung zu den Regierungen und den Institutionen der EU nicht vergrößern (siehe ersten Absatz). Um den verabredeten Fiskalvertrag zu erfüllen, müssten allein die Staaten der Eurozone in den nächsten fünf Jahren ca. 1,5 Billionen Euro einsparen. Für Deutschland würde diese Verpflichtung zum
Schuldenabbau eine Kürzung von 30 Mrd. Euro in einem Jahr bedeuten. Dies entspricht knapp einem Drittel aller öffentlichen Ausgaben für Bildung und Forschung in Deutschland. Die Einsparungen werden, da muss man kein Hellseher sein, im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen, im öffentlichen Dienst und durch Privatisierungen vorgenommen. Dabei wurden in vielen Euroländern die Löhne, Renten und Sozialleistungen in den letzten Jahren „zur Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit“ bereits deutlich zusammengestrichen, zum Beispiel mit den Hartz-Gesetzen der Rot-Grünen Regierung.

Wettbewerbsfähigkeit herstellen heißt nichts anderes, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten der Eurozone und der EU gegeneinander mit dem Argument des Standortvorteils für InvestorInnen gegeneinander auszuspielen. Diese Politik ist nicht nur zutiefst unsolidarisch und unsozial, sie ist auch ökonomisch unsinnig, da sie eine wirtschaftliche Depression nach sich zieht. Das Beispiel Griechenland zeigt, die Kürzungen führen nicht zum Schuldenabbau, sie führen zu höherer Arbeitslosigkeit und höheren Schulden, für die wiederum die gesamte Eurozone in Haftung steht. Für einen erfolgreichen Widerstand muss die Linke in Europa europäischer werden. Wir brauchen gemeinsame Positionen, mehr Europa und mehr Demokratie, nicht weniger, nationalstaatlich begrenztes politisches Handeln bringt heute keinen Erfolg mehr. DIE LINKE im Bundestag fordert, die Staaten der Eurozone aus dem Würgegriff der Finanzkonzerne und Ratingagenturen zu befreien. Wir fordern eine europäische Bank für öffentliche Anleihen, bei der sich Staaten zu den gleichen Zinssätzen Geld leihen können wie die Banken.

Wir halten die Handelsbilanzungleichgewichte innerhalb der Eurozone für die eigentliche Ursache der Krise, denn das Einnahmeplus auf der einen Seite ist das Einnahmeminus auf der anderen Seite. Wenn die Eurozone als Ganzes erhalten werden soll, bleibt nicht anderes, als diese Bilanzungleichgewichte auszugleichen. Dafür gibt es mehrere Wege. Die Bilanzen können innerhalb der Mitgliedsstaaten ausgeglichen werden. Das hieße, die Niedriglohnpolitik in der Bundesrepublik aufzugeben und die Binnennachfrage zu stärken. Einen Mindestlohn von 10 € einzuführen und die Hartz-IV Regelsätze massiv zu erhöhen. Der andere Weg liegt im Ausgleich der Bilanzungleichgewichte zwischen den Mitgliedsstaaten der Eurozone. Dies könnte ein Solidarpakt ähnlich dem Bund-Länder Ausgleich sein oder ein europäisches Zukunftsprogramm ähnlich dem Marshall-Plan für das zerstörte Europa nach dem II. Weltkrieg. Mit der jetzigen Politik der Demütigung, der Geißelung und der Spardiktate von einzelnen „Defizitsündern“ wird die EU langfristig zerstört und die alten, überwunden geglaubten nationalstaatlichen Ressentiments -wie derzeit schon in Britannien, Griechenland und Italien sichtbar- wieder zum Leben erweckt.