Am neuen Fiskalvertrag, der außerhalb des EU-Rechts zwischen den Mitgliedsstaaten geschlossen werden soll, wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet. Die jetzt vorliegende Form lässt erkennen, dass er nicht in Übereinstimmung mit den bestehenden EU-Verträgen stehen wird. Auf der Basis nationaler Schuldenbremsen und verschärfter, automatischer Sanktionen sollen alle teilnehmenden Staaten in eine rigide Haushaltskonsolidierungspolitik einwilligen, auf die zukünftige nationalen Regierungen und Parlamente kaum noch Einfluss nehmen können. Die Haushaltshoheiten der nationalen Parlamente werden faktisch außer Kraft gesetzt, eine Zustimmung führt zu einer Selbstentmachtung. Auch das Europäische Parlament soll aus diesem Prozess ausgegrenzt werden. Das sich dagegen ein breiter Protest mit der Ausschöpfung aller Rechtswege entfalten wird, ist unschwer zu erkennen. Ebenso der wachsende Demokratieverdruss, eine ablehnende Haltung gegenüber Europa und zunehmende politische und soziale Proteste in sämtlichen Staaten der EU.

In der vorhergehenden Woche habe ich über die Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn berichtet. Der Magyarenstaat bat im Jahr 2009 den Internationalen Währungsfond um Hilfe, im darauffolgenden Jahr hat sich der politische Unmut über die rigorosen Sparauflagen in einer zwei Drittel Mehrheit für die ultrarechte Fidesz-Partei entladen. Fidesz hat den IWF des Landes verwiesen und einen ökonomischen Unabhängigkeitskrieg ausgerufen. Schon eineinhalb Jahre später musste Fidesz kapitulieren und den IWF wieder zurückholen. Rumänien ist in einer mit Ungarn vergleichbaren Lage. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise beantragte das Land ebenfalls 2009 einen Notkredit beim IWF. Aber die rumänische Regierung geht einen anderen Weg als Ungarn, sie erfüllt die harten Sparauflagen. Unter Premierminister Emil Boc wurden Beamtenlöhne über Nacht um 25 % gekürzt, Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, Pensionen und Sozialleistungen stark reduziert, Renten eingefroren, die Mehrwertsteuer von 19 % auf 24 % erhöht. Viele Rumänen haben das Gefühl, dass auf ihrem Rücken gespart wird, während die politische Elite in Saus und Braus lebt.

Deshalb befindet sich die Gesellschaft seit zwei Jahren in einem permanenten politischen Kampfzustand. Ein Misstrauensvotum gegen die Regierungspolitik reiht sich an das nächste. Die Regierung konnte ihre Mehrheit jedes Mal verteidigen und ein neues Sparpaket durchsetzen. Der IWF ist mit der rumänischen Regierung zufrieden, weil sie alle Auflagen für den 2009 vereinbarten Notkredit von 20 Milliarden Kredit umgesetzt hat. Die Bevölkerung aber merkt zunehmend, dass ihnen „die Verbesserung der finanziellen Eckdaten“ die Luft abschnürt. Nun demonstrieren tausende Menschen seit zwei Wochen in Bukarest und anderen Städten, Auslöser war eine geplante Gesundheitsreform. Vor allem wurde die darin geplante Privatisierung des notärztlichen Rettungsdienstes kritisiert. Selbst der IWF, der die Reform eingefordert hatte, befand den Gesetzesentwurf als unausgereift. Eine Eskalation der Proteste wurde durch Außenminister Teodor Baconschi ausgelöst, der die Demonstranten öffentlich als primitiven Pöbel bezeichnet hat, der keine Ahnung davon habe, was die Regierung wirklich leistet. Folge: Die Proteste wurden ausgeweitet.

Die Opposition konnte mit der öffentlichen Unruhe im Rücken eine Sondersitzung des Parlaments am 23.01. durchsetzen. Premierminister Boc hat in dieser Sitzung zur Befriedung der Situation den Außenminister entlassen. Doch die Demissionierung reicht den Demonstrierenden nicht, sie verlangen den Rücktritt der gesamten Regierung und vorgezogene Neuwahlen. Parlamentarische und außerparlamentarische Opposition gehen in diesem Punkt Hand in Hand. Über die weiteren Schritte ist sich das Parteienbündnis Sozialliberale Union (USL), bestehend aus Sozialisten, Liberalen und Konservativen, jedoch uneinig. Die einen schlagen einen parlamentarischen Streik sämtlicher Oppositionspolitiker vor, die anderen favorisieren den sofortigen Rücktritt sämtlicher oppositioneller Abgeordneter und Senatoren. Aber in der rumänischen Verfassung ist nur eine Möglichkeit für vorgezogene Wahlen vorgesehen: der Staatspräsident muss das Parlament auflösen. Er hat sich -wen verwundert es- gegen die Forderung ausgesprochen.

Unabhängig des Ausgangs im Kampf um vorgezogene Neuwahlen prognostizieren die Umfragewerte auch bei den regulären Wahlen im November 2012 erdrutschartige Bewegungen in der Zustimmung zu den Parteien. Jedoch muss man aus dem Beispiel Ungarn nüchtern zur Kenntnis nehmen, die politischen Alternativen einer neuen Regierung sind sehr begrenzt, wenn man beim IWF am Tropf hängt. Die nationale Resurrektion ist ein Blütentraum, der aus den Phantasien des frühen 20. Jahrhunderts gespeist wird. Auch die ebenfalls geforderte Wiedereinführung der Monarchie kann den finanzpolitischen Handlungsspielraum in Rumänien nicht erhöhen. Die Souveränität nationalstaatlicher Politik ist gegenüber der politischen Macht der internationalen Währungsinstitutionen und Finanzmärkte ins Bedeutungslose abgerutscht. Eine Europäisierung der Politik könnte dieses Ungleichgewicht sehr wohl reduzieren, dafür müsste sie aber konsequent demokratisch organisiert und an den sozialen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein. Die Europäische Linke hat die Aufgabe, sich dieser Herausforderung zu stellen.