Wirbelstürme entstehen, wenn sehr große Wassermengen über den warmen Meeren verdunsten und aufsteigen. Der Wasserdampf steigt auf und kühlt dabei immer mehr ab – im Laufe dieses Prozesses bilden sich immer gewaltigere Gewitterwolken. Der Coriolis-Effekt wird durch die ständige Drehung der Erde hervorgerufen, er ist dafür verantwortlich, dass sich die Wolken spiralförmig in den Himmel schrauben. Im Inneren des Wirbelsturms entsteht ein windstilles und wolkenfreies Zentrum, eine scheinbare Oase des Friedens mit blauem Himmel, in dem sich kaum einem Lüftchen regt. Das Auge des Hurrikans liegt im windstillen Sonnenschein, der Sturm zerstört mit wolkenbruchartigem Regen, Blitz und Donner weithin alles, was um das Auge herum liegt.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 ist kein solches Naturphänomen, die Euro-Krise und die Krise der EU, die sich daraus entwickelt haben, auch nicht. Aber wenn man die aktuelle Debatte über die Lage in Deutschland aus einer europäischen Perspektive betrachtet, entsteht der Eindruck, Deutschland befinde sich im Auge des Hurrikans und sonnt sich im Prinzip Hoffnung, derweil draußen der Sturm tobt. So jedenfalls war gestern der Tenor der Regierungsfraktionen in der Debatte über die Finanzhilfe für Portugal. Deutschland steht nach der Krise im Aufschwung, innerhalb von zehn Jahren wurde Deutschland vom kranken Mann zur europäischen Lokomotive. Im ersten Quartal 2011 wuchs die Wirtschaft um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Damit sind die Unternehmen schneller als erwartet wieder so stark wie in der Vorkrisenzeit Anfang 2008.

Aber schon ein Blick hinter die Fassade der Regierung zeigt ein anderes Bild. Die Unterstützung für die Portugal-Hilfe ist umstritten. Die CDU/CSU bezeichnete das Anpassungsprogramm im Haushaltsausschuss schlimmer als „Fußfesseln“, auch die FDP hat ihrerseits Kritik geäußert. Alleine die Ankündigung zu einem weiteren Hilfsprogramm für Griechenland trifft in den Koalitionsfraktionen auf heftigen Widerstand. Eine Mehrheit dafür steht in Frage. Die Euro-Finanzminister werden bei ihrem Treffen am 16. Mai über eine Aufstockung des bisherigen Hilfspakets von 110 Milliarden Euro beraten. Griechenland: 110 Milliarden. Irland: 85 Milliarden. Portugal: 78 Milliarden. Griechenland: Weitere 60 Milliarden sind im Gespräch, Athen droht mit Austritt aus der Eurozone. Der Versuch in der vergangenen Woche, ein Finanzministertreffen der großen Eurostaaten geheim zu halten, zeigt die Nervosität, die sich angesichts des Hurrikans im europäischen Zentrum ausgebreitet hat.

An den Wirbeln der Finanz-, Wirtschafts- und Staatenkrise ist die Regierung in Irland zerbrochen. Sie ist in Portugal zerbrochen. In Griechenland wird der Ruf nach Neuwahlen laut. Manche befürchten dort bürgerkriegsähnliche Zustände, wenn weitere Sozialkürzungen für einen neuen Hilfskredit umgesetzt werden müssen. Belgien ist länger ohne Regierung als der Irak. In Frankreich hat die Front National nächstes Jahr realistische Aussichten darauf, das Präsidentenamt zu übernehmen. In Finnland wurde eine Anti-Euro-Partei aus dem Stand mit fast 20% gewählt. In Dänemark werden die Grenzkontrollen wieder eingeführt. In Ungarn werden Sinti und Roma von faschistischen Banden durch die Straßen gejagt. Auch wenn das Auge des Hurrikan nicht weiter zieht, die schon jetzt sichtbaren Schäden haben in ganz Europa unkalkulierbare Auswirkungen für die nächsten Jahrzehnte.