Als der Vertrag von Lissabon Anfang Dezember 2009 in Kraft trat, vermochte alles Jubeln nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er eine notdürftig gezimmerte Hilfskonstruktion für den gescheiterten Verfassungsprozess war. Der Vertrag ist ein Regelwerk, mit dem ein Gesichtsverlust der handelnden Politiker verhindert werden sollte und das nicht an den europäischen Notwendigkeiten ausgerichtet ist.
Er sollte 50 Jahre lang gelten und nicht verändert werden. Nur fünf Monate später wird mit der Beinahe-Pleite von Griechenland offensichtlich, man hat mit dem Vertrag von Lissabon lediglich neoliberale Eitelkeiten gepflegt. der Krise hielt er nicht stand. Er ist gescheitert. Reaktion: 23,4 Milliarden Rettungsschirm für Griechenland. Keine zwei Monate später wackelt schon die ganze Euro-Zone. Großes Erschrecken und 750 Milliarden für einen Euro-Rettungsschirm waren die Krisenreaktion. Seitdem jagt ein Treffen das nächste. Am 28. und 29. Oktober tagte der Europäische Rat.
Das Ergebnis von Donnerstag: Die Einführung eines Zwei-Klassen-Europas von stimmberechtigten und stimmlosen Mitgliedern ist gescheitert. Dazu eine kleine Vertragsänderung, aber ohne Abstimmung durch Referenden in den Mitgliedsländern. Europa, das sich gerne als die Geburtsstätte der Demokratie feiert, traut sich immer noch nicht, den politischen Willen der eigenen Bevölkerungen zu erfragen. Der Kern des Problems liegt darin, dass man eine auf Konkurrenz beruhende Wirtschafts- und Währungsunion gegründet hat, aber keine Solidaritätsunion. Die „no bail out“ Klausel (Artikel 125 AEUV) verbietet, dass die Staaten der Euro-Zone in der Globalisierung füreinander einstehen. Gemeinsame Währung: Ja. Hilfe in der Not: Nein. Folge: Streitereien ohne Ende, am Ende Minimalverabredungen.
Der Euro-Rettungsschirm soll nun ab 2013 ein dauerhafter Krisenmechanismus werden. An der „nobail- out“ Klausel, dem Verbot, einem anderen aus der Patsche zu helfen, soll nicht gerührt werden. Aber sie ist schon jetzt nur noch eine inhaltslose Formel, die hochgehalten wird, weil alle neue Vertragsverhandlungen fürchten. Zu tief sitzt der Schock über die gescheiterte neoliberale Verfassung. Die Staaten konkurrieren in einer gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gegeneinander. Die einzelnen Staaten untersetzen ihre Standortargumente gegenüber Investoren durch Ausbau von Niedriglohnsektoren und Abbau von Sozialleistungen. Lohndrückerei und Aufstocken mit Hartz IV sind die Konsequenzen. „Leistung muss sich wieder lohnen“, sagt die FDP. Die Nationalstaaten haben sich auf unrealistische Maastricht-Kriterien verpflichtet und gefährden durch das Festhalten an überkommenen Situationsbewertungen das gesamte europäische Projekt. Es ist höchste Zeit, die neoliberale Agenda durch eine Solidaritätsagenda zu ersetzen.
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