Dreieinhalb Jahre Gefängnis für den Parlamentspräsidenten, doch er tritt nicht zurück. Tausende Rumän*innen demonstrieren vorm Parlamentspalast und fordern Neuwahlen.

Abseits der Schlagzeilen

Machtkampf in Bukarest

 

Rumänien ist seit 2007 Mitglied in der EU. Mit fast 1,9 Millionen Einwohner*innen ist die in der Großen Walachei gelegene Hauptstadt Bukarest die siebtgrößte Stadt in der Europäischen Union. Dort steht auch der Parlamentspalast »Palatul Parlamentului«, der bis heute an Diktator Nicolea Ceausescu erinnert. Das Abgeordnetenhaus hat derzeit 329 Abgeordnete, die alle vier Jahre gewählt werden. Einige nationale Minderheiten haben unabhängig von der Stimmzahl das Recht auf einen Abgeordnetensitz.

Der jetzige Präsident der Abgeordnetenkammer und Vorsitzende der rumänischen SPD, Liviu Dragnea, ist am 21. Juni wegen Amtsmissbrauch zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Seine Partei (154 Mandate) bildet seit der Wahl vom Dezember 2016 mit der Demokratisch-Liberalen Allianz (20 Mandate) die Regierung. Seit der Verurteilung demonstrieren tausende von Rumän*innen vor dem »Palatul« in Bukarest, sie fordern den Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen.

Die Regierung heizt den Konflikt an

Die Regierung heizt die Situation an, indem sie mit neuen Gesetzesvorhaben die Korruption erleichtern und bereits angeklagte oder verurteilte Personen entlasten will. Sie hat angekündigt, künftige Justizgesetze durch Dringlichkeitsverordnungen umzusetzen und nicht mehr über den parlamentarischen Weg. Revisionen gegen bereits gefällte Urteile sollen möglich sein, wenn die Urteilsbegründung nicht einstimmig erfolgt ist. Dragnea hat sich bei allen, die wegen Korruption im Gefängnis sitzen, entschuldigt.

Mit den jetzigen Protesten will die Zivilgesellschaft an ihre Erfolge von Dezember 2017 anschließen, wo es ihr gelungen ist, mit den größten Protestkundgebungen seit dem Sturz und der Erhängung von Ceausescu im Dezember 1989 Gesetzesvorhaben zu kippen. Auch im Dezember 2017 sollten u.a. mehrere hundert Personen, die wegen Amtsmissbrauch verurteilt waren, begnadigt werden.

Die parlamentarische Opposition ist zerstritten

Rumänien gilt als das korrupteste Land in der EU. Der seit Dezember 2014 amtierende Präsident Klaus Iohannis hat die im Februar 2018 vom Justizministerium geforderte Entlassung der obersten Korruptionsbekämpferin, Laura Codruta Kövesi zurückgewiesen. 100.000 Menschen haben den Präsidenten mit einer Online-Petition aufgefordert, Kövesi im Amt zu halten. Dies ist zurzeit eine offene Machtprobe.

Liviu Dragnea hat die Forderung nach Rücktritt zurückgewiesen, er will die Wahlperiode regulär beenden und 2020 erneut kandidieren. Ebenso hat Präsident Klaus Iohannis eine erneute Kandidatur für 2019 angekündigt, seine Partei unterstützt die Kandidatur. Die parlamentarische Opposition reicht vom liberalkonservativen Spektrum (69 Mandate), der Christlich-Liberalen Partidul Mișcarea Populară (18 Mandate), über eine neue Partei nach Vorbild von »En Marche« (30 Mandate), den ethnisch orientierten Ungarnverband in Rumänien (21 Mandate) und sonstigen Klein- bzw. Einzelmandaten (17).

GRECO warnt vor einer Bedrohung der unabhängigen Justiz

Im Dezember 2017 hat die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) ein ad-hoc-Verfahren gegen Rumänien wegen drei umstrittenen Justizreformen eingeleitet. Im Abschlussbericht vom April 2018 wird eine „ernsthafte Besorgnis über bestimmte Aspekte der vom rumänischen Parlament kürzlich angenommen Gesetze über den Status der Richter und Staatsanwälte, der Organisation der Justiz und den Obersten Rat der Magistratur, sowie über Entwürfe zur Änderung des Strafrechts“ geäußert. Es müsse verhindert werden, dass aus den Reformen eine Bedrohung für die Unabhängigkeit der Justiz entstehe.