Der neue Artikel von Thomas Nord beschäftigt sich mit Steve Bannons Bewegung „The Movement“ und seiner Absicht, eine starke einheitliche rechte Fraktion im neuen Europäischen Parlament zu bilden.
Europa vor der Wahl
»The Movement« – Die Bewegung
Die parlamentarische Sommerpause endet so, wie sie begonnen hat, mit einem tiefgehenden Streit zwischen Innenminister und Kanzlerin über Migrationspolitik. Diesmal hat Seehofer einen seiner ranghohen Beamten vorgeschickt, den Chef des Verfassungsschutzes, um die Kanzlerin öffentlich zu düpieren. Im Kabinett Merkel IV hat sie anscheinend nur noch eine unbestrittene Richtlinienkompetenz für ihre vielfältigen Auslandsreisen, um vor der Innenpolitik zu fliehen.
Einen Monat vor der Landtagswahl in Bayern und sechs Wochen vor der Wahl in Hessen liegt die manchmal noch als »Große Koalition« bezeichnete Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD in den Umfragewerten bei 46%, Tendenz fallend. Schwarz-Rot ohne Mehrheit. CDU und CSU sind bundesweit unter die 30% Grenze gerutscht. Die CDU geht unter 25%. In Bayern rutscht die CSU auf die 35% Grenze, und im Bund an den Rand der 5%-Hürde. Bayern nähert sich dadurch den »normalen« Parteienverhältnissen in der Republik an, wo kaum noch eine Partei an die 40% kommt.
Dies wiederum verstärkt die Konflikte zwischen den Unionsparteien und erhöht die Instabilität der Regierung. Kaum jemand prognostiziert noch die Lage nach der Wahl am 14. Oktober und ihre politische Dynamik in einer Regierung, die nur sehr mühselig nach sechs Monaten zustande gekommen ist. In der SPD versucht sich mal Nahles, mal Scholz, mal Maas mit Vorschlägen zu profilieren, aber die Partei kommt in den Umfragen seit langem nicht mehr an die 20% Grenze. Steht in Deutschland eine gravierende Veränderung des Parteiensystems wie z.B. in Frankreich, Italien und Spanien bevor?
Nicht nur Bayern und Hessen stehen in einem ungewöhnlich zugespitzten Wahlkampf, nicht nur die Bundesrepublik vor möglichen Neuwahlen. Auch die Europäische Union steht acht Monate vor der Wahl zum Europäischen Parlament in einer fragilen Situation. Schon seit dem Scheitern der Verfassung im Jahr 2005 ist sie in einer Verteidigungssituation. Wenige Monate nach In-Kraft-Treten der Verfassungsersatzverträge von Lissabon im Dezember 2009 wurde mit Griechenland die Währungskrise manifest.
Aus der Währungskrise und der daraus begründeten Sparpolitik ist seit 2013 eine politische Krise geworden, in der nicht mehr die Märkte, sondern die Wahlurnen über deren Fortgang entscheiden. Nationalistische Positionen werden angesichts der Krisendauer der EU zunehmend salonfähig. Seit 2015 verschärfen die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsstaaten in der Migrationspolitik diesen Trend und stellen den Zusammenhalt auf die Probe. Die nationalen Wahlergebnisse der vergangenen zwölf Monate zeigen auf der EU-Ebene einen Trend der Stärkung nationalchauvinistischer und fremdenfeindlicher Kräfte, wie gerade in Schweden.
Diesen Trend will Steve Bannon, der als Kampagnenkopf von US-Präsident Donald Trump gilt, mit einer Bewegung verstärken, genannt: »The Movement«. Seit der Geschichte mit »Cambridge Analytica« hat Bannon in Europa auch den Spitznamen »Darth Vader« nach dem Bösewicht aus der Science Fiction Sage Star Wars. Cambridge Analytica hat im US-Wahlkampf 2016 millionenfach facebook Daten illegal ausgewertet und sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit illegalen Mitteln zum Wahlsieg von Trump beigetragen zu haben. CA wurde im Mai 18 geschlossen, die Nachwirkungen haben die Bedeutung der sozialen Medien für künftige Wahlkämpfe und den Ruf von Bannon verstärkt.
Das erklärte Ziel von Bannons Bewegung ist es, mit Hilfe von Spezialisten für Wähleranalyse, Recherche und Kommunikation nationalchauvinistische Parteien im Wahlkampf zu stärken und eine starke einheitliche rechte Fraktion im neuen Europäischen Parlament zu bilden. Finanziert wird die Bewegung mit »einigen Millionen« durch Spender in den USA und Europa, vom Zeitplan her will sie Mitte September mit der Arbeit beginnen.
Doch bereits Anfang September hat Matteo Salvini, der italienische Innenminister von der Lega seinen Beitritt zu Steve Bannons Bewegung erklärt. Des Weiteren stehen die politischen Parteien im Sog der Bewegung, die 2017 einen »Patriotischen Frühling« ausgerufen haben, die PvV von Geert Wilders, die FPÖ von Heinz-Christian Strache, der Rassemblement National von Marine le Pen (vormals Front National), die AfD mit der damaligen Vorsitzenden Frauke Petry.
Als Konsequenz des EU-Rechtsverfahrens gegen Ungarn nach Artikel 7 wird eine bereits angelegte Bruchlinie innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) gestärkt, die EVP hat 219 von 751 Sitzen im EP. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz möchte die Mitgliedschaft von Ungarns Fidesz in der EVP aussetzen, von Merkel hingegen ist bekannt, dass sie einer Schwächung der EVP nicht zustimmen will. Der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU) will die Mitgliedschaft von Fidesz suspendieren. Auch hier ist eine Differenz zwischen CDU und CSU sichtbar. Österreichs Vizekanzler H.-C. Strache hat Ungarns Ministerpräidenten Victor Orban und seine Partei eingeladen, Mitglied in einer zukünftigen gemeinsamen EP-Fraktion zu werden.
Derzeit ist die FPÖ Mitglied der Fraktion »Europa der Nationen und Freiheit« (ENF), in der auch der Rassemblement National und die Lega von Salvini sind. Hier also dürfte der politisch-ideologische Kern der neuen Rechtsfraktion liegen, von der Bannon mit seiner Bewegung träumt. Durch den Austritt des Vereinten Königreichs sinkt die Zahl der Abgeordneten im EP von 751 auf 705. Die drittgrößte Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) hält 73 Sitze und verliert durch den Brexit 19 Sitze. Die Prawo i Sprawiedliwość (PiS) hält in der EKR 18 Sitze, die AfD 7 Sitze. Der Rest besteht aus Kleindelegationen. Wie sich PiS und AfD nach der Wahl zuordnen, ist derzeit offen.
Sollte es Bannon mit seiner in Brüssel angesiedelten Stiftung gelingen, die angelegten Dynamiken zu kanalisieren und den genannten Parteien seine Dienste im EP-Wahlkampf unter Verweis auf die Erfolge für Donald Trump schmackhaft zu machen, läge hierin das Potenzial zu einer weitgehenden Neusortierung der Kräfteverhältnisse im neuen Europäischen Parlament. Zumal auch Emmanuel Macron eine neue Fraktion im EP bilden will, eine neoliberale, keine sozialdemokratische. Das Abrutschen der Sozialdemokratien in den Mitgliedsstaaten der EU wird sich in der Stärke der neuen Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) bemerkbar machen (aktuell 189/751 Mandaten).
Aber es wäre zu kurz gedacht, würde man mit der Wahl vom 23. – 26. Mai nur auf die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments schauen. Denn auch die Europäische Kommission wird neu gebildet, sie ist das einzige EU-Organ, das Parlament und Rat Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorlegen kann. Das Nominierungsrecht für die Kommissare obliegt den nationalen Regierungen. Doch die Berufung der Kommission und die Wahl des Kommissionspräsidenten obliegt dem Parlament nach einer vorherigen Anhörung. Das Parlament kann der Kommission auch das Misstrauen aussprechen und ihren Rücktritt erzwingen.
Der Europäische Rat wird ebenfalls einen neuen Präsidenten wählen, spätestens wenn die Amtszeit von Donald Tusk regulär am 30. November 19 ausläuft. Seine Wiederwahl in der zweiten Hälfte der Wahlperiode konnte nur bei starkem Protest der neuen polnischen Regierung unter Führung der PiS durchgesetzt werden. Im Herbst 19 werden Sejm und Senat in Polen neu gewählt, es ist eine offene Spekulation, ob Donald Tusk zur nationalen Wahl für die Liberalen antritt. Dann müsste er möglicher Weise früher auf sein Amt verzichten. Auch die Europäische Zentralbank muss einen neuen Präsidenten bestimmen, wenn die Amtszeit von Mario Draghi am 31. Oktober 19 endet.
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