Zum Abschied von der politischen Bühne des Bundestages veröffentlichte die Märkische Oderzeitung am 17. Juli ein Interview mit Thomas Nord.

MOZ: Herr Nord, Ihr Ex-Parteichef Gregor Gysi hat einmal gesagt, die Linke könne erst dann im Bund mitregieren, wenn dies auch von den Deutschen akzeptiert wird, die die Partei selbst nie wählen würden. Momentan sieht es so aus, als würde dies auch nach der nächsten Wahl nicht möglich sein. Ist die Linke also noch immer keine von der Mehrheit als demokratisch anerkannte Partei?

Thomas Nord: Aus meiner Sicht gehört die Linke inzwischen zur bundesrepublikanischen Normalität. Wir sind keine reine Protestpartei mehr, sondern besonders im Osten eine etablierte Partei mit bisherigen Regierungsbeteiligungen in fast allen Ländern. Im Westen ist das noch selten, wie etwa im Stadtstaat Bremen, wo wir ja Mitglied der Regierung sind. Auch die Behandlung im Bundestag ist die einer normalen demokratischen Partei, jedenfalls habe ich das so erlebt. Eine andere Frage ist, ob man uns als regierungsfähig im Bund betrachtet. Da würde sicher noch eine Mehrheit sagen, dass wir das nicht sind. Aber es ist ja gerade ein Vorteil der Demokratie, dass widerstreitende und sich auch ausschließende Interessen miteinander ringen.

Haben Sie ganz persönlich sich im Bundestag von den Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien akzeptiert gefühlt?

Bei mir stand am Anfang für viele die Frage: Was will der hier mit seiner Biographie als früherer inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit? Der hat hier doch nichts zu suchen. Deswegen gab es am Anfang auch eine Untersuchung. Das führte allerdings zu der Erkenntnis, dass nichts Neues mehr festzustellen war, weil ich alles schon längst selbst öffentlich gemacht hatte. Dies wiederum führte dann dazu, dass es durchaus eine Anerkennung von Menschen gab, die zwar den Fakt, dass ich mit dem MfS zusammengearbeitet habe, schlecht fanden. Die aber die Art und Weise, wie ich damit nach der Wende umgegangen bin, mit Respekt betrachteten. Dieser Respekt ist mir durchaus auch von Unionsabgeordneten entgegengebracht worden. Er war eine Basis dafür, dass ich im Bundestag immer ernst genommen worden bin. Und dass ich auch in anderen Parteien Kollegen gefunden habe, die mich als gleichwertig respektierten.

Wie würden Sie Ihre persönliche Veränderung vom einstigen FDJ-Funktionär in der DDR zum anerkannten Bundestagsmitglied beschreiben?

Ich war wirklich zu DDR-Zeiten ein zutiefst überzeugter Kommunist mit allen dazu gehörenden Intoleranzen, die man bei einer solchen Denkweise hat.

Und wie sind Sie kein Kommunist geworden?

Ich habe mich verändert. Aber nicht in dem Sinne, dass ich mich angepasst hätte. Ich habe nun wirklich in diesen 30 Jahren nach 1990 für meine Biographie von vielen Leuten Dresche bekommen, und will mich jetzt nicht beklagen, denn zum Teil war das auch verdient. Das hat mich aber nicht daran gehindert, mich mit meinen politischen Auffassungen und Projekten in diese Gesellschaft hineinzubewegen und auch um diese Ziele zu kämpfen. Und gut ist, dass es in diesem Land auch die Möglichkeit dazu gab, das auf demokratische Weise zu tun. Es war nicht immer schön und in manchen Situationen habe ich das alles auch gesundheitlich nicht ganz so gut verkraftet, aber es ging. Und dann bin ich zugegebenermaßen als Bundestagsabgeordneter in eine exponierte Stellung gewählt worden, aber erst nach 20 Jahren, in denen ich manchmal Angestellter meiner Partei, manchmal arbeitslos oder auch mal Mitarbeiter eines Copy-Shops gewesen war. Das alles gehört zu meinem Weg.

Sie waren jetzt 12 Jahre Mitglied der Opposition im Bundestag. Ist es nicht frustrierend, dass man da nicht mehr gestalten kann?

Sagen wir so: Mitunter wünscht man sich mehr transparente und strategische Zielstrebigkeit seiner Partei bei gleichzeitiger programmatischer Verlässlichkeit, zumal ich ja aus Brandenburg die Erfahrung mitgebracht hatte, was man tun muss, um die Partei auf eine Regierungsbeteiligung vorzubereiten. Diese Leistung ist von der Linken im Bundestag bisher nicht erbracht worden. Ich gebe also nicht anderen die Verantwortung dafür, dass wir bisher nicht mitregiert haben, sondern uns selbst und weiß, das viele in der Partei das auch gar nicht wollen.

Was müsste die Linke für eine Regierungsbeteiligung tun?

Es reicht nicht, zu erklären: Ich möchte regieren. Sondern man muss sich programmatisch, personell und organisatorisch zielstrebig auf die dann eintretende Situation vorbereiten. Vor allem muss man sich zunächst innerparteilich auf Schlüsselprojekte geeinigt haben, die man innerhalb einer Regierung durchsetzen möchte und die man auch realistischer Weise durchsetzen kann. In Brandenburg haben wir 2009 etwa zehn solcher Vorhaben gehabt, bevor wir in die Koalitionsverhandlungen eingetreten sind, und haben diese auch nach außen vermittelt. Die Landespartei hat das mit klarer Mehrheit unterstützt. Mit solchen Voraussetzungen kann man über alles andere mit den potentiellen Partnern reden.

Also nicht über Ziele wie den Austritt Deutschlands aus der Nato?

Alle wissen, dass das unseretwegen nicht passieren wird. Die anderen Regierungspartner müssen ja auch die Ziele akzeptieren können. Darüber muss man sich vorher klar sein. Und gerade die Linke muss den Menschen offen und ehrlich vor der Wahl sagen, woran man es festmacht, ob man in eine Regierung geht oder nicht. Dieser strategische Prozess war für uns jetzt während der Corona-Pandemie nur schwer zu leisten.

Dass ausgerechnet jetzt ein Parteiausschluss-Verfahren gegen Sahra Wagenknecht eingeleitet werden soll, ist wahrscheinlich auch nicht gerade hilfreich?

In Wahlzeiten ist es so ziemlich das Unklügste, was man tun kann. Andererseits muss man sich auch immer fragen, ob man selbst mit dafür Verantwortung trägt, dass Menschen auf die Idee kommen, so etwas zu machen.

Damit meinen Sie jetzt Sahra Wagenknecht?

Ich sage nur: Ein kluger Politiker oder eine kluge Politikerin unterlässt im Wahlkampf Dinge, die andere in der Partei zu Dummheiten verführen können.

Wechseln wir das Thema: Bereits bei der Bundestagswahl 2017 haben manche Wähler, die früher die Linke wählten, die AfD gewählt. Das dürfte jetzt wieder der Fall sein. Was ist da aus Sicht eines Linken falsch gelaufen?

Erstens weiß ich nicht, ob es wirklich genau die gleichen Wähler sind, denn wir reden ja über längere Zeiträume. Als 2004 von der SPD und den Grünen die Agenda 2010 beschlossen wurde, hatte unsere Partei in den Folgejahren einen Zuwachs von zehn Prozent. Das waren Wählerinnen und Wähler, die von der Agenda 2010 extrem negativ betroffen waren, weil die Arbeitslosenhilfe gestrichen und massive Verschlechterungen für Arbeitslose eingeführt wurden. Die haben in uns eine Stimme des sozialpolitischen Protestes gesehen. Der Protest vor der Wahl von 2017, der bis heute anhält, richtet sich gegen eine ganz andere gesellschaftliche Entwicklung. Nämlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und dass ein Teil der Bevölkerung meint, dass denen eine bessere soziale Behandlung widerfahre, als einem selbst, oder dass man grundsätzlich rassistische Ressentiments vertritt. Ich stimme zu, dass durch die sinkende Zahl unserer Mitglieder die Verankerung unserer Partei in der Gesellschaft schwächer geworden ist. Ich kann jedoch sicher sagen: Wem es wirklich nur um soziale Benachteiligung geht, der hat bei uns eine stärkere Stimme als bei der AfD.

Sie sind seit 2017 mit einer Linken aus dem Westen verheiratet. Elke Breitenbach, die in Frankfurt/Main geboren wurde und seit 2016 Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in der Berliner Landesregierung ist. Gibt es da noch private Ost-West-Differenzen?

In Berlin ist das Kapitel deutsche Einheit im Grunde genommen schon im Jahr 2000 abgeschlossen worden, als es die erste rot-rote Koalition gab und Gregor Gysi Bürgermeister unter Klaus Wowereit wurde. Die Berliner empfinden sich auch in erster Linie als Berliner und nicht als Ossis oder Wessis. Das Zusammenleben mit einer Frau aus Frankfurt/Main ist für mich eine reine Freude, die Ost-West-Debatte ist für uns beide schon lange nicht mehr relevant.

Andere Frage: Wäre es nach über 30 Jahren Einheit nicht an der Zeit, dass sich die SPD und die Linke vereinen?

Das wird aber nicht funktionieren. Die Sozialdemokratie ist eine Staatspartei, in Brandenburg ganz besonders. Und die Linke versteht sich mehrheitlich als gesellschaftliche Opposition. Das kann man nicht in einer Partei zusammenführen.

Was verstehen Sie unter „Staatspartei“?

Das ist eine Partei, die daran gewöhnt ist, zu regieren und auch zu verwalten. Der höchste Zweck vieler ihrer Mitglieder, vor allem der Funktionäre, besteht darin, in der Politik und der Verwaltung in entsprechende Positionen zu kommen. Der normale Linke dagegen will nach wie vor, dass es der Gesellschaft insgesamt gut geht. Was freilich nicht ausschließt, dass es auch bei uns Personen gibt, denen ihr persönliches Wohl wichtiger ist als das anderer Menschen.

Da sie lange Zeit Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag waren, noch eine Frage zu unserem Nachbarland: Haben Sie Verständnis für Polen, die die PiS-Partei wählen?

In gewisser Weise schon. Denn der große Fehler der Liberalen und der Linken, die vorher regierten, bestand darin, dass sie soziale Probleme nicht beachtet haben und dass sich der wirtschaftliche Aufschwung des Landes bei vielen Menschen nicht sozial widergespiegelt hat. Das hat die PiS sehr geschickt genutzt, indem sie das Kindergeld und andere Leistungen erhöht hat. Und wenn das bei den Menschen im eigenen Portmonee ankommt, hat das natürlich eine Wirkung. Insofern sind die Verteidiger der liberalen Demokratie – und wir Linken sowieso – immer zum Nachdenken über die sozialen Verhältnisse aufgerufen. Ich hatte übrigens mit der PiS-Partei ein ganz beonderes Erlebnis, als sie 2015 an die Macht kam.

Das müssen Sie jetzt erzählen!

Damals herrschte Funkstille zwischen den Regierungen, weil man in Berlin mit dem Wahlsieg der PiS überhaupt nicht gerechnet hatte. Und in Warschau waren plötzlich Leute an der Macht, die auch keine Kontakte nach Berlin hatten. Damals flogen Dietmar Nietan von der SPD, Manuel Sarrazin von den Grünen und ich als erste deutsche Politiker und sozusagen als Eisbrecher nach der Wahl nach Warschau, um den Sejm, also alle gewählten Abgeordneten, zu besuchen. Wir wollten, das man trotz der gewaltigen Differenzen miteinander redet. Als Deutscher fühle ich mich da in einer historischen Verantwortung gegenüber den Menschen in Polen. Ich wurde dadurch für PiS-Leute, obwohl ich biographisch und politisch ja nun gar nicht ins Bild passte und die Linke in Polen auch nicht den Einzug ins Parlament geschafft hatte, durchaus ein Ansprechpartner. Der Höhepunkt war, dass man ausgerechnet mir dafür eine Pilsudski-Medaille überreicht hat. Die habe ich noch heute in meinem Büro und weiß gar nicht richtig, was ich mit ihr anfangen soll.

Sie sind jetzt 64, haben also das offizielle Rentenalter noch nicht erreicht. Was werden Sie nach Ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag künftig machen?

Ich werde mich weiter in meine Partei einbringen, wahrscheinlich auch über den Renteneintritt hinaus.

Quelle: Märkische Oderzeitung vom 17.07.2021.
Das Interview führte Dietrich Schröder.


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