In Polen wurde am 25. Oktober 2015 gewählt, die rechtsnationale Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) ging mit einer absoluten Mehrheit aus dem Wahlgang hervor. Bereits im Mai des vergangenen Jahres hatte die PiS das Präsidentenamt gewonnen. Als starker Mann hinter Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydło gilt Parteimitgründer Jaroslaw Kaczynski.

Die neue Regierung hat mit ihren ersten Handlungen verdeutlicht, dass sie am Projekt der »vierten Republik« festhält, mit der Polen in eine autoritäre Präsidialrepublik verwandelt werden soll. Die Verfassungsgerichtsnovelle und die Änderung des öffentlich-rechtlichen Mediengesetzes riefen starken Europäischen Protest hervor und die Forderung nach einem Suspendierungsverfahren. Durch dieses könnte die polnische Regierung ihr Stimmrecht im Europäischen Rat entzogen bekommen.

Zeitgleich ist auch eine Veränderung der politischen Prioritäten der neuen Regierung in der Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten der EU sichtbar. Das Weimarer Dreieck, in dem Polen mit Frankreich und Deutschland zusammen über die wichtigen Fragen diskutieren, wurde in der Wichtigkeit herabgestuft und das Visegrád-Format der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten Tschechien, Slowakei und Ungarn erhöht.

Manche sehen in den Wahlresultaten in Ungarn und Polen eine Gegenrevolution zu den Ereignissen von 1989. Der Freiheitsdrang der Osteuropäer wäre in dieser Sicht angesichts einer 25-jährigen Erfahrung mit dem Neoliberalismus erschöpft und an dessen Stelle wäre eine Sehnsucht zur nationalen Selbstbestimmung bei gleichzeitigem Wunsch nach staatlichem Paternalismus getreten. Diese Sichtweise wird durch den Vorwurf einer Brüsseler und Berliner Dominanz bestärkt. Und in der Tat gibt es in Deutschland eine verstärkte Diskussion über die »neue« Rolle Deutschlands, die darauf hinausläuft, angesichts der Krisen der EU Berlin eine Hegemoniale Bedeutung für die EU zuzuschreiben.

Die Kritik des politischen Ungleichgewichts in der EU geht aber nicht soweit, dass Polen oder die anderen Staaten der Visegrád-Gruppe über den Austritt aus der EU sprechen und das Vorhaben einer osteuropäischen Mini-Union favorisieren. Insofern spricht einiges dafür, dass es bei der Konzentration auf das Visegrád-Format darum geht, den Einfluss der osteuropäischen Mitgliedsstaaten gegenüber der Hegemonie Brüssels bzw. Berlins aufzuwerten.

Ein ähnliches Vorhaben wurde in Südeuropa diskutiert, als es um eine Abwehrstrategie des neoliberalen Schocks und der Austeritätspolitik ging. Frankreich, Spanien und Italien sollten ein »Latin-Empire« bilden, um ein politisches und wirtschaftliches Gleichgewicht zu Berlin herzustellen. Doch Italien und Spanien haben sich diesem Vorschlag nicht angeschlossen, sondern hinter die Berliner Austeritätslinie gestellt und die Aufregung über dieses Vorhaben legte sich schnell wieder.

Der Versuch zu einem »Visegrád-Empire« enthält hierüber das Element der Stärkung autoritärer Politiken. Er ist nicht nur Mittel der politischen Aufwertung gegenüber Brüssel, sondern auch eine Kopie dessen, was man Brüssel vorwirft, nämlich das neue Moskau zu sein. Aus einer internen Logik heraus ist es die Fortführung des Kampfes um Selbstbehauptung und nationalem Stolz, den Polen seit Jahrhunderten führt. Hierin liegt das schwer aufzuhebende Paradoxon. Warschau strebt nach einer Aufwertung der Anerkennung als Mitgliedsstaat, es will im Chor der Union nicht bloß eine Triangel spielen, sondern möglicherweise lieber eine Violine. Brüssel aber droht, wenn Du nicht an dem Platz spielst, an den wir dich hinstellen, nehmen wir dir die Triangel weg.

Brüssel hat noch nicht ausreichend begriffen, dass die Union der 28 Mitgliedsstaaten anders funktioniert als eine EU der 18 Mitgliedsstaaten. Polen und die neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten sind gleichberechtigte Mitglieder der Union. Andererseits wäre es gut, wenn Warschau zu dem Schluss käme, dass die Europäische Union nicht die Wiederkehr der Sowjetunion ist. Das Grundlagenmodell der Europäischen Union ist wechselseitige Anerkennung, nicht einseitige Unterwerfung.

Diese Erkenntnis könnte auch Berlin erleichtern, indem es die gewachsene »neue« Rolle Deutschlands in der EU nicht weiter ausbaut. Mit dem fortgesetzten Hegemonialstreben hält sie die Union nicht zusammen, sondern sie vergrößert die Ungleichgewichte in der EU und die Fliehkräfte. Das eigene Aufwerten in einer gemeinsamen Union ist zugleich das Abwerten der anderen. Vor dem Hintergrund der polnisch-deutschen Geschichte kann es kaum verwundern, dass die Reaktionen hier besonders sensibel ausfallen.

Das Modell der Anerkennung wird durch wechselseitige und gleichwertige Anerkennung optimiert, nicht durch Ausbau von Hegemonie. Eine entsprechende deutsche und Brüsseler Politik würde auch die Kräfte der Zivilgesellschaft in Polen unterstützen, die für die Demokratie kämpfen und sich gegen das Vorhaben einer »vierten Republik« stemmen.