Am Mittwoch wurde das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) offiziell eingeweiht. Feierlich wurde es nicht, weil die zeitgleich stattfindenden Proteste gegen die Politik der EZB in ihrer Stärke und Radikalität überraschend stark waren und die Nachrichten überlagerten. Am »Tag des Zorns«, zu dem das Blockupy-Bündnis aufgerufen hatte, wurde der Protest gegen die hierzulande meist abstrakt geführte Euro-Debatte erstmals seit langem direkt politisch in Frankfurt (Main) sichtbar. Die Demonstrierenden kamen ebenso wie die Teilnehmenden der Einweihungsfeier aus sämtlichen Länder der Euro-Zone.

In seiner Eröffnungsrede wies EZB-Chef Mario Draghi darauf hin, dass die EU und der Euro Lehren aus den beiden Weltkriegen sind und die Renationalisierung der Souveränität keine überzeugende Antwort für die unübersehbaren Probleme der Gegenwart ist. Aber die aktuelle Finanzpolitik von EZB, EU und IWF ist es auch nicht, denn sie drücken die politischen und sozialen Folgekosten der zentralen Konstruktionsfehler der Währungsunion den Bevölkerungen auf, die in ihren jeweiligen nationalen Rahmen wählen dürfen.

Die Euro-Zone umfasst 19, die Europäische Union 28 Mitgliedsstaaten. Aber weder für den einen noch für den anderen gibt es einen eigenen politischen Demos. Die Politiken des europäischen Projektes werden in jedem Staat aus der Sicht des nationalen oder regionalen Demos bewertet. Das heißt, aus der Ansammlung der Einzelnen, die sich an den jeweiligen Wahlakten beteiligen und darin eine Bewertung über die Auswirkungen der EU- und Euro-Politik auf ihr eigenes Leben geben, werden legislative Beschlussorgane. Gegenüber Demonstrationen entfalten sie zweifelsfrei ein größeres und nachhaltigeres Gewicht.

Am 22. März stehen zwei Regionalwahlen an, die Aufschluss über die wirkliche politische Stimmung geben. In Frankreich wird die erste Runde der Departement-Wahlen durchgeführt, erstmals werden in allen Departements (insgesamt 101) bis auf Paris, Lyon, Französisch-Guayana und Martinique die beschlussfassende Versammlung für sechs Jahre neu gewählt. Erstmals gibt es nach Geschlechtern quotierte Listen, aber angesichts der parteipolitischen Dynamik fällt dies in der Berichterstattung unten durch. Eine Frau bestimmt die Debatte: Marine le Pen. Sie hat es geschafft, das extremistische Programm des Front National im konservativ-bürgerlichen Lager, aber auch im linken Lager wählbar zu machen und steht in Umfragen bis zu 33%.

Die Listen aus UMP (Sarkozy) und Zentrumspartei UDI liegen unterhalb 30% und werden wohl in den meisten Departements auf Platz zwei landen. Die politische Linke ist vielfach zersplittert, der Front de Gauche zerstritten, bisherige links-grüne Wahlbündnisse tragen nicht mehr und sind konkurrierend angetreten. Hierdurch ist ihre Stellung geschwächt und sie haben wenig Aussicht, das Rennen am 29.3. wird wohl zwischen FN und UMP laufen. Sarkozy will seine Präsidentschaftskandidatur 2017 vorbereiten und der UMP einen neuen Namen geben. Die Parti Socialist (PS) von Präsident Francois Hollande, derzeit in 61 Departements regierend, kann nach aktuellen Umfragen in bis zu 40 Departements die Mehrheit verlieren. Das heißt, sie wäre schwer angeschlagen und auf lange Zeit mit dem Umbau von politischen Strukturen beschäftigt. In Frankreich geht die Stimmung im regionalen Demos streng nach rechts.

In Andalusien (Spanien) wurden die regulären Wahlen erst im Mai erwartet, die aus der Bewegung 15M entstandene Partei Podemos wollte über die Gemeinderäte und Regionalparlamente ihre Stellung für die Nationalwahlen im November aufbauen. Eine Abwanderungsbewegung von der spanischen Sozialdemokratie (Partido Socialista Obrero Español) und der Linken (Izquierda Unida) zu der bislang politisch unbelasteten Podemos war jedoch unübersehbar. Deshalb hat die Präsidentin de la Junta de Andalucía, Susana Diaz, PSOE, die Koalitionsregierung mit der ebenfalls schwächelnden IU beendet und Neuwahlen für den 22. März angesetzt.

Podemos war in Andalusien noch in Gründung und kam nun in Zugzwang, sie hat eine der neuen EU-Parlamentarierinnen, Teresa Rodríguez, zur Spitzenkandidatin bestimmt, die aber weitgehend unbekannt ist. Diaz setzt darauf, dass Podemos in dem Wahlkampf gravierende Fehler macht und schlecht abschneidet. Podemos hofft auf einen Effekt wie bei den EP-Wahlen, wo sie in Umfragen lediglich ein Sitz vorhergesagt, doch im Ergebnis 8% und 5 Sitze bekamen. Sie hofft auf eine erneute Überraschung, denn bislang galt, nur wer Andalusien gewinnt, hat Aussichten auf den Sieg in den Nationalwahlen.

Die Sozialdemokratie befindet sich in beiden Ländern, Spanien und Frankreich, auf dem abrutschenden Ast. Die (regional)politische Proteststimmung geht in Spanien, das quasi »Programmland« wurde, nach links (Podemos). In Frankreich, das sich erneut knapp vor einem Blauen Brief aus Brüssel retten konnte, nach rechts außen (FN). Die französische SPD zeichnet gewissermaßen im Wahlzuspruch den Weg der deutschen Sozialdemokratie nach der Agenda 2010 nach. In Griechenland ist die Pasok als Befürworterin der Troika-Politik innerhalb von fünf Jahren von 44% auf knapp 5% gefallen.

Die Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurt wurde durch den demonstrativen Protest zu einer Berichterstattung über die reale Lage in der Euro-Zone. Die EZB-Sitzung nach den Regionalwahlen kann hier nahtlos anknüpfen, denn sie werfen unterschiedlich lange Schatten voraus. In Spanien bis in den Herbst 2015. In Frankreich bis in den Frühsommer 2017. Gewinnt Podemos in Spanien, sitzt Alexis Tsipras nicht mehr allein im Europäischen Rat. Gewinnt der FN in Frankreich, werden die politischen Differenzen im EZB-Rat und im ECOFIN-Rat über den Umgang mit Frankreichs »Defiziten« ebenfalls größer.