Das Verhältnis vom Vereinigten Königreich mit der Europäischen Union ist seit Anfang an ein schwieriges. Schon 1963 hatte das Vereinigte Königreich einen Antrag auf Beitritt zur EU gestellt, aber die Beitrittsverhandlungen scheiterten an britischen Sonderwünschen für die Landwirtschaft, den politischen Vorbehalten de Gaulles gegen die Politik der EWG-Kommission. Wohl aber auch aus der berechtigten Einschätzung, dass Bonn in eine privilegierte Scharnierfunktion zwischen Paris und London kommen würde und Paris das Nachsehen haben könnte. So wurde das Königreich erst 1973, in der sogenannten Norderweiterung Mitglied der EU, die damals noch Europäische Gemeinschaft (EG) hieß. Nach einem Regierungswechsel in der Downing Street im Jahr 1974 wurde im darauf folgenden Jahr – das erste Mal in der Geschichte Englands überhaupt – ein Referendum über den Verbleib in der EG durchgeführt, denn der Beitritt war auch im Empire selbst nicht unumstritten.

Dafür stimmten damals 67,2 %, dagegen 32,8%. Psychologisch betrachtet mag diese erste Zurückweisung durch den Franzosen de Gaulle dazu beigetragen haben, dass die Mitgliedschaft des Königreichs in der EU immer spannungsreich geblieben ist. Für den Bestand und den Ausbau der EU ist bis heute das kontinentale Verhältnis zwischen Berlin und Paris wichtiger als das zwischen Paris und London. Für das transatlantische Verhältnis ist die Achse Berlin-London wichtiger als das Verhältnis Paris-London. Hieraus resultieren auch gewisse politisch verkleidete Befindlichkeiten in beiden Hauptstädten, in etwa als der Bundeskanzler die Franzosen 1999 mit dem Schröder-Blair-Papier düpierte. Der Antrag auf Mitgliedschaft ist vermutlich auch mehr aus der Einsicht in den Verlust des Empires nach dem zweiten Weltkrieg entstanden und der Einsicht in die Notwendigkeit der Vernetzung und Einbindung in die neu heraufziehende Politische Union. Bis heute sind die Sonderwünsche der Briten wie die Landwirtschaftsrabatte oder das »Opt-out« Modell im Vertrag von Lissabon genauso berühmt wie der Satz von Margaret Hilda Thatcher: „I want my money back.“

Das eine Drittel, das 1975 bei der Abstimmung gegen den Verbleib zur EU gestimmt hat, erlebt seit ein paar Jahren eine Renaissance und einen starken öffentlichkeitswirksamen Zuspruch. Die EU-ablehnende United Kingdom Independence Party (UKIP) trat das erste Mal 1994 zur EP-Wahl an und bekam 1% der Stimmen, 2004 kam sie auf 16,4%. In der Europawahl 2014 wurde sie von 28% gewählt und ist nun mit 24 Sitzen die stärkste britische Kraft im Europäischen Parlament. Bei der Unterhauswahl 2005 bekam sie 2,3% der Stimmen und auch 2010 hatten sie nur 3,1% und keinen Parlamentssitz. Dies hat sich erst im Oktober 2014 durch Nachwahlen geändert, der UKIP-Kandidat bekam 60% der Stimmen, der konservative nur 25%, im November hat UKIP ein zweites Mandat gewonnen. Seit dem schrillen die Alarmwecker in den nationalen Parteizentralen. Das Hauptziel der UKIP unter dem mehrfachen Vorsitzenden und Mitglied des EP Nigel Farage ist die Wiederherstellung der vollen britischen Souveränität und der Austritt aus der EU. Cameron steht deshalb unter erheblichem innenpolitischen und innerparteilichen Druck, laut britischen Umfragen ist seine Wiederwahl
in Gefahr. Als eine Reaktion stärkt er, um der Kritik in der eigenen Partei entgegenzukommen und der UKIP zugleich das Wasser abzugraben, selbst seine europakritische Position.

Die momentan starke internationale Medienpräsenz von Cameron ist zumeist innenpolitisch motiviert, für den Fall seiner Wiederwahl hat er bis spätestens 2017 ein Referendum zugesagt, damit ein zweites Mal wie schon 1975 über den Verbleib in der EU abgestimmt werden kann. Beim EU-Gipfel Ende Mai hatte er gegenüber Medien mit dem EU-Austritt Großbritanniens gedroht, falls der Luxemburger Jean-Claude Juncker neuer EU-Kommissionspräsident wird. Er konnte sich nicht durchsetzen. Auf aktuelle Nachforderungen der EU in Höhe von 2,1 Milliarden Euro hat Cameron wirksam einen Wutanfall inszeniert. Dies mündete in den Vorschlag der EU-Kommission, Großbritannien bis September 2015 Zeit zu geben, seine Schulden plus Zinsen zu bezahlen. Das gilt auch für alle anderen EU-Staaten, die Geld nachzahlen müssen. Nun beschwert sich das Vereinigte Königreich über die Zinsen.

Bis zur Unterhauswahl im Mai 2015 bleibt die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ein zentrales Thema, dies wird auch auf die momentane deutsche Debatte über Zuwanderung und Flucht abfärben. Der konservative Premier David William Donald Cameron will für EU-Arbeitnehmer_innen Quoten einführen, um die Zuwanderung zu begrenzen. Dies steht aber fundamental gegen die vollständige Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und würde eine der zentralen Säulen des politischen Selbstverständnisses beschädigen. Dies hatte erstmals dazu geführt, dass Angela Merkel den Verbleib des Königreiches in der EU öffentlich nicht mehr als alternativlos bezeichnet hat. Der ausgeschiedene Kommissionspräsident Barroso hatte sich gleichlautend geäußert, aber das hatte wenig Gewicht. Der neue Präsident Juncker sieht eine Möglichkeit darin, den Weg einer Teilrevidierung der Verträge zu gehen und Britannien die »Opt-out« Möglichkeit in den Bereichen Justiz und Inneres zuzugestehen. Die Entflechtung der Europäischen Union wäre in einem Teilbereich eröffnet und als nächstes stünden die Bereiche Arbeit und Soziales im Kampf um Repatriierung.