Die Schäden der Wirtschafts- und Finanzkrise haben in ganz Europa unkalkulierbare Auswirkungen für die nächsten Jahrzehnte. Nur die Bundesregierung wähnt sich im Sonnenschein des Aufschwungs und hat die Aufbauhilfe nach der Krise von 2008 abgeschlossen.
Das Domino der Ratingagenturen wirbelt in Griechenland, Irland, Portugal immer mehr Staub auf, der sich verdichtet. Seit einer Woche proben vornehmlich junge Spanierinnen und Spanier ägyptische Verhältnisse. Sie ziehen mit Planen auf die Plätze der großen Städte und fordern echte Demokratie. Jetzt! Sofort! Die EuroBörse in Madrid ging nach dem Debakel für die Regierung bei den Wahlen am Sonntag auf Tiefflug, die Zinsen und Kosten für Kreditausfallversicherungen stiegen gefährlich an. Aus dem abstürzenden Spanien zieht der Sturm neue Kraft. Es gibt Gerüchte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bereits massiv spanische Staatsanleihen aufkauft, um den Zinssatz bei etwa 5,5% zu deckeln. Dieses Manöver ist schon bekannt und konnte nicht verhindern, dass Portugal unter den Rettungsschirm musste. Südeuropa ist tief aufgewühlt, die Bundesregierung wähnt die Krise hinter sich und propagiert eitel Sonnenschein.
Die OECD hat die Wachstumsprognose für Spanien nach unten korrigiert. Jetzt fehlen nur noch zwei, drei Abstufungen, dann dürfte das eintreten, was Experten ohnehin längst erwarten: Spanien muss unter den Rettungsschirm. Den letzten Anstoß dazu könnte die nicht mehr abzuwendende Umschuldung Griechenlands geben. Griechenland hat nur noch bis Mitte Juli Geld, um seine Verpflichtungen zu erfüllen, um Löhne und Pensionen zu zahlen. Athen braucht dringend die nächste Tranche der kombinierten Hilfe von EU und Internationalem Währungsfonds in Höhe von zwölf Milliarden Euro, um handlungsfähig zu bleiben. Aber derzeit prüfen die Experten der EU und des IWF das griechische Staatseigentum intensiv und in aller Ruhe auf privatisierbare Filetstücke. 50 Milliarden Euro sollen durch den Verkauf von Staatsbeteiligungen bis 2015 zusätzlich in die Staatskasse fließen. Weil der Ausverkauf von Griechenland nur zögerlich anläuft, gibt es noch kein grünes Licht für die Auszahlung der Gelder. Die Regierung in Athen soll auch weitere harte Sparschritte umsetzen, dies wird die sozialen Spannungen im Land weiter erhöhen. Die griechische EU-Kommissarin hat Mittwoch ihre Landsleute vor dem Staatsbankrott gewarnt und die Rückkehr zur alten Währung Drachme in Aussicht gestellt.
Der griechische Staatspräsident hat nun für den 27. Mai wegen der dramatischen Finanzlage in Griechenland eine Sondersitzung aller Parteivorsitzenden einberufen. Auch der griechische Ministerpräsident nimmt daran teil. Griechenlands Verbindlichkeiten halten sich mit 330 Mrd. Euro im Vergleich zu zwei Billionen Euro Schulden von Italien – wie die Bundesrepublik auch – in Grenzen. Nur zwei Tage nach der negativen Prognose für Italien stieg die Rendite für zehnjährige Anleihen Italiens auf 4,85%. Die Agentur Fitch hat auch den Ausblick für Belgien wegen der politischen Dauerkrise als negativ bewertet, dem folgt in der Regel eine baldige Abstufung. Am 5. Juni sind Neuwahlen in Portugal, am 24. Juni trifft sich der Europäische Rat, Mitte Juli droht Griechenland die Zahlungsunfähigkeit. Auf dem Rat soll der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) beschlossen werden, der ab 2013 an die Stelle des jetzigen Rettungsschirms treten soll. Mit dem Ratifizierungsprozess erhöht sich die Unruhe in der Bundesrepublik. Die Zustimmung für den ESM ist keineswegs sicher, bereits ca. 50 Abgeordnete der Regierungsfraktionen haben erklärt, dass sie ablehnen werden. Hierfür haben sie gute Gründe.
Für die Aktivierung des ESM ist vorgesehen, den Artikel 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu verändern (AEUV). Damit wird die „No-bail-out-Klausel“ des Vertrags, also die vertragliche Regelung, das jedes Land für seine eigenen Schulden verantwortlich ist und die anderem ihm nicht aus der Klemme helfen, gegenstandslos. Vorherige Woche hat ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages für Aufregung gesorgt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine zwei Drittel Mehrheit im Plenum notwendig ist, weil mit der Zustimmung zum Artikel 136 Hoheitsrechte des Bundestages auf die Europäische Union übertragen werden. Im Konkreten würde der Bundestag seine Entscheidungshoheit über den nationalen Haushalt einschränken. Eine genaue Reichweite der Ermächtigung der EU ist nicht absehbar, weil das Verfahren der Kreditvergabe nur noch auf der Ebene der Regierungen abläuft und damit faktisch der parlamentarischen Kontrolle entzogen ist.
Das ist nach dem Verfassungsgerichtsurteil von Karlsruhe zum Lissabon-Vertrag (2009) aber ein unzulässiger Eingriff in die parlamentarische Souveränität, das Budgetrecht gehört zum Kernbereich der Verantwortung des Parlaments. Zum anderen wird es in dem Gutachten als realistisch eingeschätzt, dass aus den Bürgschaften Zahlungsverpflichtungen werden können. Bereits jetzt wird europaweit über eine Verdoppelung der Haftungssumme im Rettungsschirm diskutiert. Dies würde dann vermutlich auch für den ESM gelten. Mit der Übernahme der Bürgschaft wird ein Verfahren in Gang gesetzt, an dessen Ende die Zahlungsverpflichtung von sehr hohen Summen stehen kann. Aktuell liegt der Bürgschaftsbetrag bereits über 120 Milliarden Euro, das entspricht in der Summe 40 Prozent des Bundeshaushaltes. Die Bundesrepublik kann aber nur mit Mühe die drei Prozent Grenze nach dem 1. Maastricht-Kriterium einhalten, hat auch schon oft dagegen verstoßen. Wenn die ersten Bürgschaften fällig werden, ist die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht mehr einzuhalten. Bei der jetzigen Krisendynamik könnten bereits die nächsten Haushaltsberatungen von diesem Thema bestimmt sein. Ohne eigene Mehrheit für den ESM steht die schwarz-gelbe Koalition vor dem Aus. Der Sturm drückt auf das Auge des Hurrikan.
Kommentieren