Fortsetzung: Der Zerfall der Euro-Zone würde zu einem Zurück zu einem Europa der Nationalstaaten führen. Die europäische Architektur würde instabil und die Flammen des irrationalen Nationalismus bekämen neue Nahrung. Brüssel und Straßburg würden bedeutungslos, an deren Stelle würde eine Hauptstadtdiplomatie treten mit den Zentren Berlin, Paris, London. Berlin stünde in der Scharnierfunktion zwischen den Forderungen nach einer politischen Union einerseits und einer Freihandelszone andererseits. Die Kräfte, die die Europäisierung nutzen wollen, um transnationale Konzerne und allmächtige globale Finanzinvestoren zu regulieren, würden geschwächt. Die Möglichkeiten zur Herausbildung von sozialer Gegenmacht auf EU-Ebene ebenso.
Je kleiner die Staaten, umso wehrloser sind sie den global agierenden Finanzspekulateuren ausgeliefert. Oder sie bieten sich als Steueroasen an, der Bedarf daran ist inzwischen aber gedeckt. Denn mit der Euro-Krise hat sich das neoliberale Entwicklungsmodell delegitimiert und die Einsicht einer Homogenisierung der Steuerpolitiken ist momentan im Trend. Allein mit dem Primat der vollständigen und absoluten Deregulierung von Märkten und Kapitalfreiheit kann eine funktionierende europäische Einheit nicht dauerhaft hergestellt werden. Es zerstört erreichten zivilisatorischen Fortschritt, bedroht demokratische Standards und soziale Ausgleichssysteme. Den ökonomischen Krisen folgen politische Krisen.
In der Gegenwart fehlt eine zukunftsfähige, breit akzeptierte, solidarische, demokratische und gerechte Alternative für Europa und die EU. Deshalb haben die französische und die deutsche Linke begonnen, gemeinsam mit Linken anderer Länder, über solche Alternativen zu diskutieren. Wir tauschen die in den einzelnen Ländern gemachten Erfahrungen aus, decken die europäischen und globalen Zusammenhänge auf, klären über die Folgen der jetzigen Politik auf und kämpfen gegen sie. Ein Beispiel dafür sind die Zusammenhänge der Eurokrise und die politischen Parallelen zwischen den Berichten von Peter Hartz und Louis Gallois sowie deren politischen Umsetzungen in Gesetze.
Für die Linke ist die demokratische und soziale Umgestaltung Europas und der EU eine dringliche Aufgabe der Gegenwart. Wir wollen auf nationaler und auf europäischer Ebene zueinanderfinden, um eine neue, in der Kritik radikale und der Lösung demokratische Linke zu konstituieren. Im kommenden Jahr werden wir den 100. Jahrestag des Beginns des I. Weltkriegs begehen und damit auch den Jahrestag des Untergangs der II. Internationale, die das Versprechen sozialer Emanzipation für die Unterdrückten nicht einlösen konnte. Die Vorkriegssozialdemokratie hat an ihrem Nein zum imperialistischen Krieg nicht festgehalten und sich an die Seite der nationalen Bourgeoisie gestellt. Die Spaltung der Arbeiterbewegung war die Folge, bis heute ist das Verhältnis der radikalen Linken zur Sozialdemokratie ein Reizthema in Frankreich wie in Deutschland. Dies nicht nur in Fragen von Krieg und Frieden, sondern auch in Fragen der Sozialpolitik.
Die Erfahrungen sagen, nur eine starke, selbstbewusste und zielstrebige LINKE kann dazu führen, dass Sozialdemokraten dazu gezwungen sind, nach der Wahl das zu tun, was sie vor der Wahl zugesagt haben. Allein werden wir keine Mehrheiten für einen Politikwechsel in Europa bekommen. Außerparlamentarische Mehrheiten reichen hin und wieder, um notwendigen Druck auszuüben und das eine oder andere zu verhindern, nichts tut zurzeit mehr Not als gemeinsamer und zeitgleich europäisch organisierter Protest und Widerstand. Um aber eine bessere als die jetzige Politik demokratisch durchzusetzen, genügen sie nicht. Die Frage lautet also, wann können wir mit und wann müssen wir gegen Sozialisten und Sozialdemokraten unsere Ziele durchsetzen? Können wir mit ihnen gegebenenfalls auch regieren, ohne unsere Identität zu verlieren und ohne unsere Wählerinnen und Wähler zu verlieren? Auch diese Fragen sollten wir gemeinsam diskutieren.
Die Zustimmung zum Präsidenten Francois Hollande und seiner Regierung ist so schnell geschwunden wie ein Eisberg in der Sonne. Kaum ein Jahr später hätte er bei Neuwahlen keinerlei Chance mehr auf einen erneuten Sieg. Mit seiner neoliberalen Politik hat er die Legitimität seines Wahlerfolges längst verspielt. Wenn die französische Sozialdemokratie den Weg der deutschen geht, wird es ihr nicht anders ergehen. Als Resultat der Agenda 2010 zog DIE LINKE im Jahr 2009 mit knapp 12% ins Parlament. Die SPD erfuhr einen Ansehens- bzw. Bedeutungsverlust, der bis heute anhält und sich eher verschärft als entspannt. In Frankreich kann es zu einer ähnlichen Verschiebung kommen. Die sozialistische Regierung in Frankreich will nach der Arbeitsmarktreform am 4. Juli Gespräche mit Sozialpartnern über eine Rentenreform starten. Im Gespräch ist eine Verlängerung der Beitragszeit um 2,5 Jahre und eine Steuererhöhung auf Renten. Am Ende der Sommerpause will die Regierung einen Gesetzesentwurf vorlegen, Gewerkschaften haben bereits ihren Widerstand angekündigt.
Durch die erneuten Veränderungen im politischen Profil der Sozialdemokratie bleibt es der demokratischen und radikalen Linken vorbehalten, für eine solidarischere, gerechtere und demokratischere EU zu kämpfen. Dies kann über den Weg der Stärkung unserer politischen Ziele gegenüber dem Primat der Ökonomie geschehen. Von Frankreich sind seit der Aufklärung viele grundlegende Änderungen in Europa und der Welt ausgegangen. Die französische Linke war immer maßgeblich an der Modernisierung beteiligt. Es ist Zeit für einen neuen, einen solidarischen, gerechten und demokratischen Aufbruch in Europa. Die deutsche und die französische Linke sollte gemeinsam dafür kämpfen. Lasst es uns versuchen!
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