Die CSU poltert mal wieder. Und es wäre nicht die CSU, wenn sie nicht auf den Schwächsten rumtrampeln würde. Armutszuwanderung in die sozialen Netze ist ein häufig gespieltes Thema, um in der Folgedebatte die Asylgesetze zu überprüfen und verschärfen. Wir kennen diese Debatte (Das Boot ist voll) schon aus den 1990ern, ihr folgte die faktische Abschaffung des Asylrechts. Aber auch aus der Zeit, als die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polinnen und Polen im Jahr 2011 in Kraft trat. Seit gut einem Jahr wird die Klaviatur verstärkt auf rumänische und bulgarische Staatsangehörige angewendet.1 Beide Staaten sind 2007 in die EU aufgenommen worden. EU-Bürger_innen dürfen in der gesamten EU arbeiten und sich für drei Monate grundsätzlich ohne Erlaubnis in jedem EU-Land aufhalten. Ein Anrecht auf längeren Aufenthalt haben z. B. Arbeitnehmer_innen, Selbstständige, Familien-angehörige, Studierende und unter bestimmten Umständen auch Arbeitssuchende.

Seit dem 1. Januar 2014 ist nun die vollständige Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit für alle rumänischen und bulgarischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger hergestellt. Aber das bedeutet auch, Selbständige, Fachkräfte, Hochqualifizierte, Pflegepersonal und Saisonarbeiter können schon lange in Deutschland leben und arbeiten. Das Zerrbild einer bedrohlichen Armutsmigration, wie es unter anderem die CSU zeichnet, ist somit ein einseitiges, das undifferenziert und ohne Sachverstand gemalt wird. Unter dem Strich profitiert Deutschland von den Freizügigkeitsregelungen, insbesondere auch von der Beschäftigung, den Beitrags- und Steuerleistungen der eingewanderten Bürgerinnen und Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Dies haben mehrere Studien ergeben. Für den beklagten massenhaften vorsätzlichen „Missbrauch“ gibt es hingegen keine wirklichen Anhaltspunkte.

Bulgarische und rumänische Staatsangehörige machen mit gut 400.000 Personen in etwa 5,5% der ausländischen Bevölkerung in Deutschland aus. 2014 könnte sich ihre Zahl um 100.000 bis 180.000 erhöhen, die Bundesregierung rechnet in ihrer Antwort vom 19.12.2013 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag jedoch nicht mit „erheblichen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt“2. In der Vergangenheit gab es in Bezug auf osteuropäische Beitrittsländer regelmäßig überhöhte Wanderungsprognosen. Vergleicht man den Zeitraum von Ende 2010 bis Ende 2012, so ist die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Rumänen (+73%) und Bulgaren (+67,8%) in Deutschland stärker gestiegen als deren Zuzugszahlen (+ 62% bzw. + 58,6%). Die Bundesregierung schlussfolgert hieraus: „Diese Entwicklung deutet auf weiterhin gute Beschäftigungsaussichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt hin“.

Ähnlich ist die Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen: Die Arbeitslosenquote unter den erwerbsfähigen Migrantinnen und Migranten beider Länder betrug Mitte 2013 7,4%, in absoluten Zahlen in etwa 15.000 Erwerbslose Ende 2013. Damit lag die Quote unter dem Wert der Gesamtbevölkerung (7,7%) und unter dem Durchschnitt des ausländischen Bevölkerungsanteils (15%). Der Anteil von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen an allen Hartz IV-Beziehenden betrug im Juli 2013 nur 0,6% – dies waren gerade einmal 38.000 Personen.

Schauen wir auf den Vorwurf, dass „Armutsmigranten“ häufiger ein Gewerbe anmelden, um dann staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen („Scheinselbständigkeit“), zeigen sich folgende Zahlen. Ende 2012 bezogen 3,3% aller rumänischen Selbstständigen in Deutschland ergänzende Sozialleistungen (561 von 17.000) – eine Zahl, die für den Vorwurf von einem groß angelegten „Sozialmissbrauch“, nichts hergibt. Auch das Vorurteil, Bulgar_innen und Rumän_innen kämen nur wegen dem Kindergeld her, steht auf schwachen Füßen: Ende 2012 erhielten 27.000 von etwa 324.000 rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen Kindergeld, dies ist ein prozentualer Anteil von 8,3%.

Wiedereinreisesperren, wie von der CSU gefordert, sind nach EU-Recht wegen des überragenden Werts der Freizügigkeit nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen möglich, bei akuten Gefahren für die öffentliche Ordnung. Rechtliche Möglichkeiten, um ungerechtfertigten oder gar missbräuchlichen Ansprüchen auf Aufenthalt oder Sozialleistungen entgegenzuwirken, gibt es bereits jetzt im deutschen Recht. Jährlich werden jedoch weniger als 700 Personen aus Rumänien und Bulgarien deshalb zur Ausreise aufgefordert. Die Forderung, Sozialleistungen während der ersten drei Monate auszuschließen, entspricht ohnehin der deutschen und europäischen Rechtslage. Das deutsche Sozialrecht sieht darüber hinaus eine pauschale Ausschlussregelung für Unionsangehörige vor, die eine Arbeit suchen. Nach einem Urteil vom September 2013 ist jedenfalls ein pauschaler Ausschluss EU-rechtswidrig, in jedem Einzelfall ist zu prüfen und abzuwägen, ob einer EU-Bürgerin oder einem EU-Bürger Leistungen zustehen.

Nicht, dass den Spitzen der CSU dieses Wissen fehlen würde, aber im Mai sind Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament. Und da braucht es kräftig Wahlunterstützung. Rassismus ist immer noch tief im bayrischen Alltagsbewusstsein verwurzelt und so lange sich dies nicht ändert, sind diese Poltergeister Markenzeichen im politischen Kampagnenrepertoire der CSU. Die Wahlergebnisse für die CSU wiederum Indikatoren für das Maß gesellschaftlich verankerter Fremdenfeindlichkeit.

Quellen:

1 http://www.thomas-nord.de/fileadmin/nord/PDFs/Bundestagsreportartikel/04-2013_Armutszuwanderung_Maerchen_und_Fakten.pdf
2 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/002/1800223.pdf