Das ukrainische Parlament hat das von der umstrittenen Übergangsregierung geplante Referendum über die Einheit des Landes abgelehnt. Die Abgeordneten haben den Vorschlag der Regierung laut stellvertretendem Leiter der Präsidialverwaltung nicht unterstützt, weil ein Referendum, das durchgeführt wird, wenn Menschen mit Waffen bedroht werden, nichts wert ist. Die für den 25. Mai angesetzte Koppelung der Präsidentschaftswahl mit einem Referendum über die territoriale Verfasstheit und Zugehörigkeit der Ukraine war durch die Wahl des Datums eine prowestliche Parteinahme, denn an diesem Tag wird auch das Europäischen Parlament neu gewählt.
Die ukrainische Regierung hat nun selbst im Parlament keine Mehrheit mehr, in den Straßen hat sie sie nie gehabt. Wer ein Referendum über die Gesamtstaatlichkeit, in dem es um eine seit zwanzig Jahren umstrittene Anbindung an die EU oder Russland geht, auf ein solches Datum legt, der will keinen gesellschaftlichen Frieden und delegitimiert sich vor denen, die sie regieren will. Die politische Gegenreaktion lies nicht lange auf sich warten, die prorussischen Kräfte in der Ukraine haben für den 11. Mai ein eigenes Referendum in den von ihnen dominierten Regionen angesetzt.1
Als weiterer Schritt sind dort bereits freie Wahlen über eine von Kiew unabhängige Regierung der Ost-Ukraine und eine Eigenstaatlichkeit angekündigt. Damit hat die Übergangsregierung auch kein Gewaltmonopol mehr und besonnener Weise wurde durch das Parlament nicht nur das Referendum, sondern auch ein massiver Militäreinsatz zur Wiederherstellung desselben abgelehnt.2 Denn dann hätten nicht nur der Präsident und die Regierung, sondern auch das Parlament mit nackten Händen dagestanden, so hat es sich einen Rest von politischer Autorität gegenüber der Bevölkerung bewahrt.
Die Grundlage für die Fortführung der Ukraine in ihren jetzigen territorialen Grenzen steht auf tönernen Füßen. Sie steht wenige Schritte vor einem Bürgerkrieg, wie wir ihn aus den jugoslawischen Sezessionskriegen kennen. Und in der Tat erinnern die aktuellen Artikel über Kämpfe und Tote auf beiden Seiten bereits an den Beginn einer Kriegsberichterstattung. Die Wahrheit ist längst gestorben, die Informationen sind strategischer Teil der Kampfführung und die Toten werden nur noch durch Zahlen nummeriert. Das erste Erschrecken hierüber hat zu einem Innehalten geführt, das eine kurze Chance für eine friedliche Lösung eröffnet.
Auch deshalb werden in der internationalen Diplomatie die Bemühungen um eine friedliche Lösung intensiviert. Der deutsche Außenminister sieht die europäische Sicherheitsarchitektur der vergangenen Jahrzehnte bedroht und fordert eine neue Wiener Konferenz, fordert die Bundesbürger_innen gleichzeitig zur Ausreise aus der Ukraine auf.3 Der russische Amtskollege Lawrow unterstützt den Vorschlag zu neuen Gesprächen, fordert jedoch die Anerkennung der Separatisten als legitime Opposition und deren Einbindung in die Verhandlungen, weil es ohne sie keine tragfähige politische Lösung in der Ukraine geben könne.
In der nächsten Woche steht die Frage zu beantworten, ob die seitens des Westen übereilt anerkannte Übergangsregierung die angekündigte Präsidentschaftswahl am 25. Mai noch landesweit erfolgreich durchführen kann. Sie hat keine Parlamentsmehrheit, sie hat kein Gewaltmonopol und sie hat nach einem für die Sezessionisten erfolgreichen Referendum vom 11. Mai keinen einheitlichen politischen Souverän mehr, sondern einen zweiten Demos. Der eine kann dem anderen einen gleichwertigen Willen auf Souveränität und Eigenstaatlichkeit entgegenstellen. Und niemand würde ernsthaft erklären können, warum für die Region Donezk nicht gelten soll, was für den Kosovo 2008 rechtens war: eine einseitige Unabhängigkeitserklärung.
Für die Zusammensetzung einer erfolgreichen neuen Friedenskonferenz stünde nicht mehr die Frage nach der Beteiligung einer ukrainischen Opposition, sondern die Anerkennung eines zweiten ukrainischen Staates auf der Tagesordnung. Die Einbindung der Oppositionskräfte in die von der OSZE favorisierten Gespräche über die »nationale« Zukunft der Ukraine war die weniger eskalierte Lösung. Der Preis für den Dialog wäre auf Seiten der Sezessionisten der Verzicht auf das Referendum vom 11. Mai gewesen. Auf Seiten der jetzigen Regierung in Kiew eine realistische Einschätzung ihrer fragilen Lage und die Aufgabe des Zentralanspruchs. Und die EU hätte kurz vor der EP-Wahl eingestehen müssen, dass die nach dem Regierungswechsel herbeigeführte Unterschrift unter den politischen Teil des Assoziierungsabkommens nicht viel wert ist. Dies scheint der IWF genau so zu werten. Für den Fall, dass die Regierung die Kontrolle über die wirtschaftlich starken Regionen nicht zurückgewinnt, will er das beschlossene Finanzpaket kürzen.4
1 http://www.n-tv.de/politik/Wer-faelscht-gewinnt-article12776196.html
2 http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa_cee/3802055/CDUPolitiker-zementiert-Russland_Die-Ukraine-hat-jedes-Recht-das
3 http://www.wsj.de/article/SB10001424052702303647204579545131419818104.html
4 http://www.heise.de/tp/artikel/41/41644/1.html
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