Bulgarien ist in der vergangenen Woche nur knapp einem Finanzchaos entgangen. Innerhalb weniger Tage sind Bulgarinnen und Bulgaren mehrfach durch anonyme SMS aufgeschreckt worden, in denen sie vor einem bevorstehenden Bankenkollaps gewarnt wurden. Offenbar trafen die SMS und Emails, die von afrikanischen Servern aus versendet worden sein sollen, den Nerv vieler Leute. Denn die Erinnerungen an die Bankenpleite aus den 1990er Jahren, bei denen viele ihr Hab und Gut verloren, sind noch frisch.
In einem ersten panikartigen Bankensturm haben Kund_innen der Corporate Commercial Bank (CCB) ihre Konten geräumt, die bulgarische Zentralbank hat die Aufsicht übernommen. Wenige Tage später das gleiche Szenario bei der Ersten Investitionsbank (FIBank). Innerhalb kürzester Zeit wurden 400 bis 500 Mio. Euro (die Angaben schwanken) abgehoben. Es handelt sich bei beiden immerhin um die dritt- und viertgrößte Bank des Landes. Weder das Eingreifen der nationalen Bankenaufsicht, noch eine Garantieerklärung des Staatspräsidenten konnte zur Beruhigung beitragen, EU-Kommission und IWF eilten herbei.
Die Europäische Kommission hat dem bulgarischen Staat sehr schnell eine Liquiditätsspritze in Höhe von 3,3 Mrd. Lewa (ca. 1,7 Mrd. Euro) genehmigt, um weitere Paniken zu vermeiden. Der Internationale Währungsfonds hat öffentlich erklärt, die Situation einzelner Banken geht nicht auf grundlegende Mängel des bulgarischen Bankensystems zurück. Es sei wesentlich besser kapitalisiert als in den Neunzigern. Ob dies oder lediglich das Ausbleiben neuer SMS und Emails zur Beruhigung beigetragen hat, ist ungeklärt.
Die Schnelligkeit der Reaktionen von EU und IWF zeigt, welche Brisanz dieses solitäre Ereignis hat. Wenn das massenhafte Versenden von anonymen SMS eine solche Reaktion hervorrufen kann, zeigt das, welche politisch-psychologische Grundstimmung in der bulgarischen Bevölkerung vorhanden ist. Ein flächiges Abstürzen bulgarischer Banken hätte direkte Auswirkungen auf Österreichs Banken und damit wäre die Finanz- und Bankenkrise noch vor der Wahl einer neuen Europäischen Kommission zurück im Euro-Raum.
Die bulgarische Regierung hat die Inszenierung des Bankensturms als kriminellen Akt eingestuft und Schuldige präsentiert. Ein Investmentfond soll die Informationen breit gestreut haben, ein in der Tschechoslowakei geborener Bulgare wurde verhaftet und auf Kaution gleich wieder frei gelassen. Interessant ist, dass es weder über die Anzahl der versendeten SMS noch die der Emails Schätzungen gibt. Der technische Vorgang zeigt auf zwei Dinge.
Zum einen scheint angelehnt an eine alte Marxsche Weisheit nicht mehr das Eigentum über die Produktionsmittel, sondern die Verfügungsgewalt über Informationen zu einem Schlüssel der digitalen Wirtschaftsweise geworden zu sein. Zum anderen ist die Verfügungsgewalt über Serverkapazitäten und die technische Fähigkeit, beides miteinander auf der Grundlage einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der politischen Lage in einem Land im »richtigen« Moment zu zünden, eine Schlüsselkompetenz.
Nachdem die politische Lage zunächst beruhigt zu sein scheint, beginnt die Zeit der politischen Spekulationen. Hier werden mehrere Sichtweisen präsentiert. Erstens, es handelt sich um ein innerbulgarisches Ereignis. Die momentane Regierung ist gescheitert, sie soll noch im Juli zurücktreten, eine technische Übergangsregierung soll eingesetzt und im Oktober des Jahres sollen Neuwahlen durchgeführt werden. Der Bankensturm wird als Auftakt zu einem sehr dreckigen Wahlkampf eingestuft.
Zweitens wird über persönliche Differenzen zwischen Personen mit großem Einfluss als Ursache spekuliert. Demnach haben Tsvetan Vassilev und Deljan Peevski früher in Bulgariens Politik und Wirtschaft zusammengearbeitet. Vassilevs Bank CCB finanzierte die vom DPS-Abgeordneten Peevski beherrschte mächtigste Mediengruppe des Landes. Diese unterstützte Vassilevs expansive Unternehmensstrategie. Jetzt sollen sie über die Frage um den Einfluss im ehemals staatlichen Tabakkonzern Bulgartabac zerstritten sein und Urheber der Ereignisse.
Ein Angriff von außerhalb wird als dritte Möglichkeit gesehen. Hintergrund für diese Spekulation ist der von der EU-Kommission verhängte Stopp für die Arbeiten am South Stream Projekt in Bulgarien. Die Kommission hatte ebenso wie die USA Bedenken gegen die Vergabe von Bauaufträgen an ein russisches Konsortium (Mitglied: Stroytransgaz) erhoben, gegen die die USA im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt Sanktionen verhängt hatte. Nachdem 1996 der Verkauf der bulgarischen Infrastruktur an Gazprom eingefroren wurde, würde nun, als Reaktion auf den Baustopp von South Stream durch die Kommission, ein neuer Anlauf dazu gestartet. Die geopolitisch motivierte Kampfzone Ukraine wird in dieser Sicht auf Bulgarien ausgedehnt.
Unabhängig aller drei spekulativen Erklärungsstränge haben Vorgänge wie diese das Potenzial, die Lage der Europäischen Union zu verschärfen. In der vergangenen Wahlperiode des EP (2009 – 2014) ging die Krise nach dem Lehmann-Crash über die Schuldenthematik von Südeuropa aus und erschütterte die Euro-Zone. Wenn man eine externe Kraft annimmt, ist es nicht mehr als eine logische Schlussfolgerung, dass in dieser Wahlperiode die nicht dem Euro angehörenden Mitgliedsstaaten in Osteuropa zum Brennpunkt einer ökonomisch-politischen Belastungssituation der EU werden könnten. Zu der fortbestehenden Krise in Südeuropa, in der die sozialen Folgen der neuen EU-Fiskalpolitik jetzt erst langfristig wirksam werden, entstünde eine zweite Krisenfront, die die Solidaritätsbereitschaft gegenüber dem Projekt EU einer neuen Probe aussetzt.
Das »bail-out Szenario« gälte nicht mehr nur für die Euro-Staaten, sondern für die EU-Mitgliedstaaten. Auf dem Höhepunkt der Südkrise wurde das deutsch-französische Verhältnis enorm unter Spannung gesetzt. Dieses Mal wäre Österreich Brückenpfeiler in das Zentrum der Euro-Zone. Die Zunahme der Kosten verstärkt die Frage des Nutzens in deren politisch bereits beunruhigten Bevölkerungen. Auch deshalb alarmiert ein Bankensturm in Bulgarien die EU und den IWF in höchstem Maße. Wer weiß denn schon, wer welche Handynummern und Adressen hat und in der Lage ist, bei entsprechender gesellschaftlicher Stimmung auf jeweils eine konkrete Bank bezogene Massen-SMS und Emails in Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien zu senden.
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