Mit Beginn der dritten Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 sind die Geld- und die Wechselkurspolitik in die gemeinschaftliche Verantwortung übergegangen. Um realwirtschaftliche Verwerfungen innerhalb der WWU zu vermeiden und die Stabilität der gemeinsamen Währung zu sichern, sieht der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Stabilitäts- und Wachstumspakt eine verstärkte haushaltspolitische Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten der EU vor.

Die Nationalen Reformprogramme (NRP) bilden das wirtschaftspolitische Gegenstück zu den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen. In den jährlich erstellten Nationalen Reformprogrammen stellen die Mitgliedstaaten dar, mit welchen Reformmaßnahmen sie die Ziele der Europa 2020-Strategie und die sogenannten integrierten Leitlinien (Grundzüge der Wirtschaftspolitik, beschäftigungspolitische Leitlinien) erreichen wollen und welche Fortschritte sie im vergangenen Jahr erreicht haben. DIE LINKE hat diese Strategie als neoliberal kritisiert, da sie die Fortführung der gescheiterten Lissabon-Strategie und kein guter Bewertungsmaßstab für ein stabiles und soziales Europa ist.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen thematisiert aus Sicht der LINKEN eine wichtige Kritik und benennt die auch aus unserer Sicht hochproblematischen makroökonomischen Ungleichgewichte als eine Ursache der derzeitigen Krise der EU. Was dem einen sein Haben, ist dem anderen sein Soll. Wenn auf der einen Seite ein hoher Überschuss entsteht, also ein sehr hohes Haben, dann ist es nur logisch, das auf der anderen Seite ein sehr hohes Soll entsteht. Das Ungleichgewicht kann eine solch große Schlagseite bekommen, dass die Asymmetrie der Leistungsbilanzungleichgewichte vollständig technisch, aber eben auch politisch, wirtschaftlich und sozial dysfunktional wird.

In einer solchen Situation steht die Fortdauer des Euros, aber auch die jetzige Verfasstheit der Europäischen Union auf dem Spiel. Und die momentanen politischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich belegen dies eindrucksvoll, wenn nicht schon gar ein bisschen beängstigend, wenn man an die 30% Umfragewerte für Marie le Pen und ihr Programm zur Einführung eines neuen Franc denkt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, für einen Ausgleich der Bilanzen in einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion zu sorgen. Die eine Möglichkeit ist es, zwischen den Mitgliedstaaten des Euro einen Ausgleich zu organisieren, in etwa nach dem Vorbild des Länderfinanzausgleichs. Aber dazu fehlt der politische Wille in allen Staaten.

Die andere Möglichkeit ist es, die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zu akzeptieren und eine Form des Ausgleichs innerhalb der Bilanzen der jeweiligen Mitgliedsstaaten zu organisieren. Nun hat sich gerade die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel dafür stark gemacht, das in der neuen „Economic Governance“ der EU die Bilanzüberschüsse nicht sanktionsfähig sind, sondern nur die Defizite. Wenn man aber von Gleichgewichten spricht und zugleich das Modell der mitgliedsstaatbezogenen Austarierung befürwortet, muss man schon beide Seiten betrachten. Das heißt hier, die Binnenseite der Bilanz zu stärken.

Der Euro bietet der traditionell stark außenpolitisch orientierten deutschen Wirtschaft einen globalen Wettbewerbsvorteil. Denn hätte nur Deutschland den Euro oder eine Alleinwährung, müsste sie diese im Vergleich erheblich aufwerten, worunter die Exportvorteile schwinden würden. Die Wirtschaft ist in Deutschland von den Jahren 2000 bis 2013 um fast 14 Prozent gewachsen. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen haben in diesem Zeitraum um rund 31 Prozent zugelegt. Die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigtem hingegen sind um rund 2 Prozent gesunken. Einkommenszuwächse gab es nur bei den Spitzeneinkommen. Am unteren Ende der Einkommensskala kam es zu weiteren Rückgängen. Jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeitet für einen Niedriglohn. Die Einführung von Hartz IV hat ein Angstregime etabliert, mit dem bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Bereitschaft zur Lohnzurückhaltung gestärkt wurde.

Laut EU-Kommission haben die privaten Haushalte in Deutschland mehr gespart. Für eine ausgeglichene Bilanz ist es notwendig, die Verteilung von Einkommen und Vermögen gerechter zu gestalten. Aber auch die privaten Unternehmen investieren zu wenig und die öffentlichen Investitionen sind viel zu gering. Die Binnennachfrage sollte durch öffentliche Investitionen – insbesondere Infrastrukturmaßnahmen – gesteigert werden. Deutliche Lohnsteigerungen sind gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am unteren Ende der Lohnskala nötig. Dies erfordert ein konsequentes Verbot von Leiharbeit und sachgrundlosen Befristungen, die Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen sowie die Abschaffung des Zwangssystems Hartz IV.

Die Stabilitätswarnung der EU-Kommission hat bei der Bundesregierung immerhin dazu geführt, dass sie ein Mindestlöhnchen eingeführt hat. Man solle ja nicht meinen, in der Schwarz-Roten Koalition wäre über Nacht ein sozialpolitisches Denken eingezogen. DIE LINKE fordert für die Stärkung der Binnennachfrage 10 Euro pro Stunde Mindestlohn ohne Ausnahmen. Die Steuerpolitik muss durch eine höhere Besteuerung von großen Erbschaften und Finanzgeschäften gerechter gestaltet werden. Wir wollen eine Millionärssteuer einführen. DIE LINKE fordert außerdem ein nachhaltiges Investitionsprogramm für den sozial-ökologischen Umbau und zugunsten von Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr.