Am 21. und 22. Mai fand das vierte Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Riga statt, denn Lettland hält zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft. Die Östliche Partnerschaft umfasst die politischen Beziehungen zwischen der EU und den Staaten Ukraine, Moldau, Georgien, Belarus, Armenien und Aserbaidschan. Angesichts der aktuellen politischen Lage zwischen der EU und Russland wurde die Wahl des Ortes von russischer Seite als Provokation und weitere Belastung der Situation bezeichnet. Andererseits fürchten die EU-Mitgliedsländer an der Ostsee eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs und eine militärische Aggression Russlands. Estland, Lettland und Litauen sind NATO-, EU- und Euro-Mitglieder. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit eines direkten militärischen Konflikts, vergrößert aber die Dimension ins Multinationale.
Gegenstand der Gipfeldebatte waren Staatsbildung und Rechtsstaatlichkeit, Stärkung der demokratischen Institutionen, Energieversorgungssicherheit und eine Bekräftigung der Östlichen Partnerschaft. Dafür sollen die Assoziierungsabkommen bzw. die Abkommen über vertiefte und umfassende Freihandelszonen mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine durch alle Mitgliedstaaten möglichst schnell umgesetzt werden. Auch soll ein Aktionsplan über strategische Kommunikation ausgearbeitet werden um Russlands laufende Propagandakampagne vor allem im Baltikum entgegenzuwirken, in dem eine Menge „ethnischer“ Russen leben. Diese werfen den baltischen Staaten häufig systematische politisch motivierte Diskriminierung vor.
Man kann ein stetiges Changieren der politischen Differenzen zwischen der EU und Russland wahrnehmen, die sich nicht mehr alleine auf die Kommunikation oder die Östliche Partnerschaft erstreckt. Sie tangiert die gesamte östliche Peripherie der EU. Angefangen von der tiefen politischen Verunsicherung im Baltikum ist der Krieg in der Ukraine und die Zugehörigkeit der Ukraine auf einem hohen Level eingefroren, bei dem dennoch täglich Menschen getötet werden. In Moldawien gibt es bis heute den ungeklärten Konflikt mit Transnistrien, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion als unabhängig von Moldawien erklärt hat. Seine Existenz wird durch dort stationierte russische Truppen gesichert. Es wurde jedoch bislang von keinem anderen Staat als souverän anerkannt.
Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion haben sich in Georgien Abchasien und Süd-Ossetien zu autonomen Republiken erklärt. Der Kampf um Unabhängigkeit eskalierte 2008 und Russland intervenierte im kaukasischen Fünf-Tage-Krieg militärisch und drängte die georgischen Truppen zurück. Moskau hat in der Folge am 26. August 2008 Abchasien und Süd-Ossetien als unabhängige Staaten anerkannt, Georgien nicht. Auch dies ist eine offene Konfliktstelle im Zusammenhang mit der Östlichen Partnerschaft. In Georgien, das NATO-Mitglied werden will, sind innerhalb kurzer Zeit sieben Minister zurückgetreten und deshalb musste nach der Verfassung eine neue Regierung gewählt werden, u.a. wurde der Posten des Verteidigungsministers neu besetzt. USA und Georgien haben ein zweiwöchiges Manöver direkt an der russischen Grenze durchgeführt.
Zwischen den Staaten Armenien und Aserbaidschan besteht ein zeitlich langer und tiefer Gegensatz über die Frage der Zugehörigkeit der Region Bergkarabach. Geschichtlich haben das Osmanische Reich, Russland und Persien Anspruch auf die Region erhoben und zeitweise durchgesetzt. Bergkarabach aber will ein eigenständiger Staat sein, doch hat bislang nur Uruguay ein Verfahren dazu in Gang gesetzt. Der höchst komplizierte, derzeit als eingefroren geltende Konflikt kann mit einer kurzen Vorlaufzeit aufgetaut und aufgeheizt werden.
Die Türkei ist seit 1963 Beitrittskandidat zur EU. Am 7. Juni wird die große Nationalversammlung neu gewählt. Zur schwierigen Beziehung zwischen Türkei und EU kommt das angekündigte Vorhaben einer Verfassungsreform. Die Türkei soll in eine Präsidialdemokratie umgewandelt werden mit einer nahezu autokratischen Machtfülle für Reccep Tayyip Erdogan. Die Benennung des Völkermordes an den Armeniern durch das Osmanische Reich 1916 hat die politischen Beziehungen zwischen Deutschland, der EU und der Türkei weiter belastet. Nach dem politischen Ende von South- und North-Stream wird mit Turkish-Stream aktuell ein Versuch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Türkei und Russland unternommen.
Im Beitrittsland Mazedonien ist es am 9. Mai zu langen Schießereien mit mehreren Toten gekommen. Der Staatspräsident ist vorzeitig von den Siegesfeiern aufgebrochen und hat den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Mazedonien, das von Albanien, Kosovo, Serbien, Bulgarien und Griechenland umrundet wird, befindet sich in der tiefsten politischen Krise seit der Auflösung Jugoslawiens. Die Spekulationen über den Hintergrund des Gewaltausbruchs sind vielfältig. Sie reichen von Korruption und Vetternwirtschaft über ethnisch motivierte Streitigkeiten, in die Serbien und Albanien verwickelt sein sollen. Andere sehen darin den Versuch, die Umsetzung von Turkish-Stream zu blockieren, nachdem South- und North-Stream gescheitert sind. Wieder andere werten den Angriff als Beginn einer Initiative zu einem Regimewechsel nach ukrainischem Vorbild.
Die potenziell militärischen Konfliktherde im Osten der EU ziehen sich inzwischen vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Die mittelost- und südosteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU sind hochalarmiert und fordern eine verstärkte militärische Präsenz der NATO. Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Militärdemonstrationen verschärfen wie deren russische Pendants die Situation eher als das sie zur dringend notwendigen Entspannung beitragen. Auch aus diesen Gründen wird die finanzielle und wirtschaftliche Lage Griechenlands zunehmend außen- und sicherheitspolitisch betrachtet. Hier beginnen sich zwei unterschiedliche Konfliktquellen zu vermengen.
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