Die anfänglich friedlichen Proteste in Syrien haben in einen nun fünf Jahre dauernden Krieg geführt, derzeit besteht keine Aussicht auf Beendigung, sondern eher auf Eskalation. Hoffnungslosigkeit dominiert, vier Millionen Syrer sind bereits geflohen. Ein großer Teil davon will in der EU und in Deutschland ein neues Leben beginnen. Der Bürgerkrieg in Syrien hat Auswirkungen auf uns alle, er verändert hier unser Alltagsleben. Die praktische Frage nach dem Umgang mit den Flüchtlingen und deren Integration steht derzeit im Vordergrund der deutschen Diskussion. Aber auch die Frage nach den Fluchtgründen wird diskutiert.

Die Kriege in Syrien, Libyen und Irak zeigen eine zerfallende Weltordnung. Im Vergleich zu den militärischen Einsätzen gegen Afghanistan 2001 und Irak 2003 der Koalition der Willigen unter Führung der Bush-Administration gibt es derzeit kein einheitliches Bündnis und keine gemeinsame Strategie „des Westens“ im Nahen Osten. Die unipolare Welt unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Phase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt hatte, ist an ihr Ende gekommen. Effektiv ist keine politische Macht oder Machtbündnis an deren Stelle getreten. Die Vereinten Nationen spiegeln die Nachkriegsordnung von 1945 wieder. Aber die Sowjetunion ist untergegangen und Russland verfolgt im Nahen Osten ebenso wie China imperiale Großmachtinteressen. Die G8 existieren seit dem Ukraine-Krieg nicht mehr und auch die G7 hat keine gemeinsame Antwort.

Die aktuelle Situation ist daher eher mit der Zeit der Großmachtpolitiken am Anfang des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Allerdings unter veränderten Kräftekonstellationen, denn die eurozentristische Perspektive des 19. Jahrhunderts (z.B. Pentarchie) ist einer globalen gewichen. Dies hat wesentliche Auswirkungen auf den Nahen Osten, der seit dem Beginn des arabischen Frühlings in Tunesien 2010 zunehmend instabil ist. Der Revolution in Ägypten von 2011 folgten eine gewählte muslimistische Regierung, ein erneuter Putsch und die Wiedereinführung einer Militärdiktatur. Im Ergebnis wurde Mubarak durch Sisi ausgetauscht. In Bahrain wurden die Aufstände militärisch niedergeschlagen. In Libyen wurde Gaddafi gestürzt. Es gibt unterschiedliche Regierungen, die staatliche Einheit ist faktisch zerbrochen.

Auch der Irak ist zerfallen. Die Gruppe »Islamischer Staat« (IS) hat ihre Ursprünge in der Niederlage des Hussein-Regimes gegen die Koalition der Willigen von 2003. Sie wird international als Terrororganisation eingestuft. Ihre Gründung wird ehemaligen irakischen Geheimdienstoffizieren zugesprochen, die teils aus politischen, teils aus religiösen Gründen aus der neuen Staats- und Regierungsbildung ausgegrenzt wurden. IS hat im Juni 2014 ein Kalifat ausgerufen, dessen Gebiet sich heute auf Teile von Libyen, Irak und Syrien erstreckt. Mit Syrien droht ein weiterer der nach dem ersten Weltkrieg im Nahen Osten eingerichteten Nationalstaaten dauerhaft zu zerfallen. Dies bedroht auch die politische Stabilität des NATO-Mitglieds Türkei.

Die Türkei will Syriens Präsident Assad stürzen und einen regionalen Neuanfang, in dem sie wieder wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein großes Gewicht erhält. Auch Iran verfolgt die Strategie der regionalen Aufwertung und ringt mit Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft. Dazu gehört der Atom-Deal mit den UN-Veto-Mächten und Deutschland. Russland hat seit den Zeiten der Sowjetunion in Syrien ein zentrales Standbein im Nahen Osten und hält den Diktator Assad seit Jahren durch direkte militärische, logistische und finanzielle Unterstützung an der Macht. In seiner Despotie wird der größte Stabilitätsanker für die Region gesehen. Staatspolitisch gesehen mag es ein zynisches Argument sein, aber die Kontinuität von Assads Despotie ist aus Sicht der Geflüchteten nicht einmal ansatzweise hinzunehmen.

Großbritannien und Frankreich waren nach dem ersten Weltkrieg militärische Hauptkräfte im Nahen Osten. Heute haben sie postkoloniale Phantomschmerzen und sehen sich in der Tradition des Sykes-Picot-Abkommens. Die Diplomaten Mark Sykes und François Georges-Picot unterzeichneten am 16. Mai 1916 das sogenannte »Asia-Minor-Agreement«, mit dem das Osmanische Reich aufgeteilt wurde. In den Grenzziehungen der Nationalstaaten wurden geschichtliche, ethnische, kulturelle und religiöse Bedeutungen aus Überheblichkeit und Unkenntnis ignoriert. Das Abkommen wurde weiterreichend Gegenstand im Versailler Vertrag von 1919, aber auch in Völkerbundmandaten am Beginn der 1920er Jahre.

Nach der Oktoberrevolution hat die bolschewistische Regierung den Inhalt des bis dato geheimen Abkommens am 23.11.1917 in der Prawda und der Iswestija veröffentlicht. Kurz darauf zog der britische Guardian nach. Ein Aufschrei war die Folge. Viele arabische Stämme hatten den Kampf der Triple-Entente unterstützt, andere hingegen verweigerten die Kooperation mit den westlichen Kolonialmächten. Die Revolte gegen die Herrschaft des Osmanischen Reichs wurde an der Seite der Entente-Mächte um den Preis eines souveränen Staates geführt. Nun erfuhren sie, dass sie keine Staatssouveränität bekommen würden. Auch die Kurden gingen leer aus und streben bis heute nach einem Staat, der Teile der Türkei beansprucht.

Der Nahe Osten ist heute wieder ein Kristallisationspunkt in der Auseinandersetzung um die Aufteilung der Welt in Einflusszonen. DIE LINKE ist dabei an der Seite der darunter leidenden und davor flüchtenden Menschen. Sie sollte sich nicht zum verlängerten Arm einer der um Vorherrschaft kämpfenden Groß- und Regionalmächte machen.