Die Regionalwahl in Katalonien am 27. September hat keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. Artur Mas hat mit seiner Kampagne für die Abspaltung Kataloniens von Spanien zwar die Mehrheit der Sitze im Parlament, aber nicht die Mehrheit der Stimmen erhalten. Die CUP, die für seine Mehrheit notwendig ist, will ihn jedoch nicht als Ministerpräsidenten. Dennoch hält Mas am Ziel einer Nationengründung fest und will Katalonien binnen 18 Monaten von Spanien abspalten. Mario Rajoy, Ministerpräsident der Partido Popular (PP), will dem entgegenstehen. In Katalonien ist die PP traditionell schwach, aber sie hat weitere acht Sitze verloren und nur noch 11 Mandate. Mit dem Ergebnis ist seine Abwahl bei den spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 wahrscheinlicher geworden. Im Wahlergebnis zeigt sich auch, dass der steile Aufstieg von Podemos abgeflacht ist, deren Vorsitzender, Pablo Iglesias hat für den Fall einer Regierungsbeteiligung nach der Nationalwahl am 20. Dezember ein Referendum in Katalonien zugesagt.
Technisches Vorbild für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien kann der Weg des Kosovo sein. Eine einseitige Abspaltung ist nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshof von Juli 2010 ein gangbarer Weg und rechtens. Spanien, das gerade aus den Negativ-Schlagzeilen herausgekommen war, droht erneut ein großer innenpolitischer Konflikt. Madrid erweiterte deshalb kürzlich die Befugnisse des Verfassungsgerichts und räumte den Richtern das Recht ein, den Chef einer Regionalregierung seines Amtes zu entheben, wenn dieser sich über Urteile des Gerichts hinwegsetzt. Auch wenn die erneute Wahl von Artur Mas zum Regionalpräsidenten in Frage gestellt wird, Madrid fürchtet den Unabhängigkeitswillen der Katalanen. Diese Dynamik wird die Lage in der EU weiter anheizen.
In Austria wurde am vergangenen Wochenende in Oberösterreich ein neues Landesparlament gewählt. Die Freiheitlichen, die Haider-FPÖ mit dem jetzigen Frontmann H.-C. Strache haben ihren Stimmanteil auf über 30% verdoppelt. Die ÖVP hat 10% verloren, die SPÖ 6%. Die mit Neugier beobachteten NEOS sind an der Mindesthürde von 4% gescheitert. Im Burgenland koaliert die SPÖ seit der Wahl vom 31. Mai mit der FPÖ trotz erheblicher Proteste aus der eigenen Partei. Nun hofft die FPÖ auch in Oberösterreich auf eine Regierungsbeteiligung. Doch während die Regierungsbildung im Burgenland unter Dach und Fach war, bevor der Kaffee erkaltete, wird es in Oberösterreich wohl bis nach der Wahl in Wien am 11. Oktober dauern. Die Blauen hoffen darauf, in Wien stärkste Kraft zu werden. Bei der konservativen ÖVP und der SPÖ liegen die Nerven blank. Die ÖVP hat bereits die Bundeskoalition mit Werner Faymann (SPÖ) in Frage gestellt, sie fordert unter anderem eine Renationalisierung der Zuwanderungspolitik. Der reguläre Wahltermin 2018 kippelt.
Die Dynamik im europäischen Wahljahr 2015 ist in eine offene Herbstrallye eingetreten: Am jetzigen Sonntag (4. Oktober) steht in Portugal die Wahl der Assembleia da República an. Hier ist es interessant, dass die Berichterstattung über das »Programmland« in Deutschland fast vollständig ausfällt. Die innere Lage ist eher unübersichtlich, die Demoskopie kann keinen eindeutigen Sieger ausmachen. Sozialisten und Konservative wollten eine Pressezensur einführen, sind damit aber schnell gescheitert. Die Redaktionen sollten einer Kommission, die aus den Parteien zusammengesetzt werden sollte, ihre Berichte vor der Veröffentlichung vorlegen. Die Presse hat darauf mit der Ankündigung reagiert, dann gar nicht über die Wahlkämpfe zu berichten. Standard & Poor‘s, eine der drei großen Rating Agenturen, hat sich in den Wahlkampf eingemischt und der amtierenden Regierung mit einer Aufstufung von BB auf BB+ unter die Arme gegriffen. Eine politische Bewegung hin zu erfolgreichen Neugründungen von Parteien wie Syriza, Cuidadanos oder Podemos ist in Portugal trotz massiver Sparpolitik nicht zu erkennen.
In Polen wird am 25. Oktober das neue Parlament gewählt, die Kaczynski-Partei PiS steht in den Umfragen vorne. In der an Syrien grenzenden Türkei sind am 1. November vorgezogene Neuwahlen, die innenpolitische Stimmung dort geht nach der nicht gelungenen Regierungsbildung in Richtung Bürgerkrieg. Durch die aktuelle und sich auch durch die Lage in der Türkei verstärkende Flüchtlingssituation ist die EU nach sechs Jahren Wirtschafts- und Währungskrise in zwei weiteren vergemeinschafteten Politikfeldern (Innen- und Außenpolitik) in eine offene Krisensituation geraten. Diese hat innerhalb weniger Wochen den Währungs- und Wirtschaftsstreit in den Hintergrund gedrängt. Die Bewertung der Flüchtlingsfrage wird in den französischen Regionalwahlen am 6. und am 13. Dezember im Zentrum stehen. Dem Front National unter Leitung von Marine le Pen wird der Sieg in bis zu neun der dreizehn neu gebildeten Regionen zugetraut. In anstehenden Wahlgang in Kroatien wird dieses Thema zusätzlich durch die EU-Außengrenze mit Serbien belastet.
Kanzlerin Merkel hat mit ihrer emotionalen Entscheidung in der Flüchtlingsfrage selbst die asymmetrische Demobilisierung aufgebrochen, die seit dem Wahlkampf 2009 in Deutschland ihr strategisches Konzept zum Machterhalt war. Methodisch gesprochen wird dem politischen Gegner durch das Vermeiden von Stellungsnahmen in Kontroversen kein Reibungspunkt gegeben. Keine Reibung, keine gegnerische Mobilisierung. Damit geraten zugleich ihre Markenzeichen Gelassenheit, gesellschaftliche Ruhe und politische Stabilität ins Wanken. Für letzteres wurde sie von den Deutschen in der Währungskrise 2013 mehrheitlich gewählt. Die Unzufriedenheit mit Merkel speist sich also aus zwei Quellen. Aus dem Dissens mit ihrer Entscheidung in der Flüchtlingspolitik und dem gefühlten Verlust der Stabilität. Die Kraft der Raute ist dahin. In dem nun aufsteigenden Diskurs über die Wiedergewinnung von nationaler Grenzsouveränität setzt DIE LINKE in der Lösung auf mehr Europa, nicht auf weniger.
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