Die Debatte über den Etat der Kanzlerin ist gewohnheitsmäßig der Ort in der Haushaltswoche, wo eine parlamentarische Generalabrechnung zwischen Regierung und Opposition stattfindet. Angesichts der Ereignisse in den vergangenen Wochen war man in der Debatte aber nicht mehr so sicher, wo die Grenzen zwischen Regierung und Opposition verlaufen. In der CDU selber, zwischen CDU und CSU, zwischen CDU/CSU und SPD, zwischen CDU/CSU, SPD einerseits und DIE LINKE bzw. Bündnis90/Die Grünen andererseits. Die Generaldebatte hat den Pegelstand der Bundespolitik nach der Sommerpause widergespiegelt.

Der Wirtschaftsminister arbeitet gegen die Kanzlerin. Der Finanzminister fordert den Rücktritt des Justizministers. Die Verteidigungsministerin übt weiterhin am stahlblauen Blick. Einig ist man sich lediglich darin, dass nach der nächsten Bundestagswahl nicht wieder eine Große Koalition gebildet werden soll. Wobei derzeit sogar in Frage gestellt ist, ob CDU und CSU überhaupt in gewohnter Weise zur Bundestagswahl 2017 antreten.

Der Seehofer überlegt, den Edmund zu geben, das heißt, selber als Kanzlerkandidat anzutreten wie 2002 der Stoiber gegen Gerhard Schröder. Dafür hat er seine Tonalität im Streit über die Zuwanderungspolitik erneut verschärft und ein Ultimatum gesetzt. Merkel ihrerseits hat das Bekanntgeben ihrer erneuten und damit vierten Kandidatur für das Amt der Bundeskanzlerin zurückgehalten. Der Seehofer poltert, Merkel taktiert. Die Grünen flirten mal nach links, mal nach rechts. Mal schelten sie, mal loben sie. Mal treten sie staatstragend auf, dann wiederum altprogressiv. Mal Schwarz. Mal Rot. Mal Gelb. Mal Grün. Eine deutliche Orientierung ist nicht zu erkennen.

Für die Kanzlerin, die die Wahlergebnisse aus Mecklenburg in China auf dem G20-Gipfel erreicht haben, sind die bayrischen Bedürfnisse weit weg. Sie ist globale Krisenmanagerin und hat in der Woche vorher werbewirksam durch die angeschlagene EU getourt. Deutschland übernimmt turnusmäßig am 1. Dezember 2016 die G20-Präsidentschaft und dann hat sie erneut die Gelegenheit zur großen Bühne. Wenige Tage später, vom 5. – 7. Dezember trifft sich die CDU in Essen zu ihrem Bundesparteitag. Hauptpunkt ist die Wahl eines oder einer Vorsitzenden. Wird sie nicht Vorsitzende, wird sie nicht Kandidatin der Union.

Das Wahlergebnis vom 4. September in Mecklenburg-Vorpommern hat das innenpolitische Aufregungsmaß erwartungsgemäß erhöht und den global- bzw. europapolitischen Blick von Merkel schnell auf den bundespolitischen Rahmen reduziert. Dieses Wochenende stehen in Niedersachsen Kommunalwahlen an und am kommenden Wochenende wird in Berlin das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Auch hier wird sich die momentane politische Dynamik aller Voraussicht nach wiederholen. Merkel hat nach der Mecklenburg-Wahl erstmals direkt Verantwortung für die Niederlagen übernommen und das Kräftemessen in der Union verstärkt.

Die Unionsparteien befürchten auf der Grundlage von neun verlorenen Landtagswahlen bei der Bundestagswahl im nächsten September einen Absturz von über 40% auf 30%. Seit einem Jahr spekulieren sie über Alternativen zur Merkel-Kandidatur. Diese könnte aber nicht nur ein personelle, sondern müsste eine politische mit dem Ziel von Franz-Josef Strauß sein: „Rechts neben der Union darf sich keine Partei in Deutschland etablieren.“ Durch einen massiven Rechtsrutsch gingen aber, so die Befürchtung andererseits, die Stimmzugewinne aus der Merkel-Modernisierung verloren. Fazit: Die Union ist in der gleichen Zwickmühle wie die Sozialdemokratie nach der Agenda 2010.

Die Sozialdemokratie hat für den 19. September, einen Tag nach der Berlin-Wahl, einen kleinen Parteitag einberufen. Es geht auch um die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA, die sich zur Machtfrage zwischen den Parteiflügeln entwickelt hat. Damit geht es auch in der SPD erneut um die Frage des Parteivorsitzes und der Kanzler- bzw. Vizekanzlerkandidatur. Schulz und Scholz haben ihre Bereitschaft erklärt. Es ist unklar, wer sich wo durchsetzt.

In den derzeit heftigen innerparteilichen Wahlkämpfen für die personale und inhaltliche Aufstellung gehen die Streitigkeiten kreuz und quer durch alle Flügel und Gruppen. Sie wird durch die politischen Trends und anstehenden Wahlen (Abstimmungen) in den Nachbarstaaten wie zum Beispiel Österreich, Ungarn, Niederlande und Frankreich in den kommenden Monaten kontinuierlich weiter befeuert. Die Situation nach der Sommerpause erinnert ein bisschen an einen desorientierten Hühnerhaufen, in dem alle wild durcheinander gackern und herumeiern. Auch DIE LINKE ist von dieser Tendenz nicht gefeit. Wenn sie nicht schnell zu eindeutigen linken Positionen kommt, wird sie an ihre bisherigen Wahlerfolge kaum mehr anknüpfen können.