Das Wahlergebnis vom 24. September hat ein Sechs-Fraktionen-Parlament gebracht. Der Selbstausschluss der SPD aus der Regierungsbildung noch am Wahlabend hat zunächst nur die Sondierungen zwischen CDU/CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen zugelassen. Die vorgezogene Neuwahl in Niedersachsen sollte zunächst mit dem 24. September zusammen durchgeführt werden. Da dies jedoch die organisatorisch notwendige Zeit unterschritten hätte und verfassungsrechtlich bedenklich war, wurde sie auf den 15. Oktober gelegt. Die drei Wahlkampfwochen wurden zum Grund des Abwartens und so lag der Beginn der Sondierungen am 16. Oktober drei Wochen nach dem Wahltag im Bund.

Die Konstituierung des 19. Bundestages wurde 30 Tage später, am 24. Oktober durchgeführt. Die Große Koalition ist nicht abgewählt. Sie ist mit der Konstituierung des 19. Bundestages regulär aus dem Amt geschieden, führt aber die laufenden Geschäfte. Dies kann sie, weil CDU, CSU und SPD eine parlamentarische Mehrheit haben, die den Anträgen der geschäftsführenden Regierung, z.B. über die Verlängerung von Bundeswehreinsätzen zustimmt.

Der Bundespräsident bat die Kanzlerin, nach ihrem Amtsende die Geschäfte der Regierung bis zur Neuwahl eines Kanzlers oder einer Kanzlerin weiter zu führen. Am 19. November wurden die Sondierungen durch Christian Lindner für die FDP abgebrochen. Seitdem läuft das »Blame-Game«, die Zuweisung der Schuldfrage zwischen den an den Sondierungen beteiligten Parteien. Die Forderung nach Neuwahlen wird erhoben.

Am 20. November hat die geschäftsführende Kanzlerin dem Bundespräsidenten von ihrem Scheitern berichtet und ihr weiteres politisches Schicksal in seine Hände gelegt. Die SPD hat ihre Weigerung, in Sondierungsgespräche einzutreten, bislang aufrechterhalten. Der Präsident, selbst SPD-Mitglied, hat an alle Parteien appelliert, zu ihrer Verantwortung zu stehen. Dies kann auch als ein Verweis an seinen Parteivorsitzenden gelesen werden, der sich vom 7.-9. Dezember in Berlin auf einem Parteitag erneut zur Wahl stellen will. Merkel ist bis Ende 2018 Parteivorsitzende, hat aber Anfang Oktober einen Sonderparteitag zur Wahlauswertung zugesagt, er ist aber noch nicht terminiert. Bündnis90/Die Grünen wählen im Januar in Potsdam einen neuen Parteivorstand.

Weil die Kanzlerin nicht mehr im Amt ist, kann sie keine Vertrauensfrage stellen (wie z.B. Kohl 1983 und Schröder 2005) und deshalb kann das Parlament kein Konstruktives Misstrauensvotum herbeiführen (wie z.B. Barzel gegen Brandt 1972 und Kohl gegen Schmidt 1982), mit dem ein anderer Kandidat, eine Kandidatin die notwendige Mehrheit gegen den amtierenden Kanzler bekommen könnte. Die Initiative liegt derzeit nach Artikel 63 GG beim Bundespräsidenten.

Um zu einem geordneten Verfahrensvorschlag zu kommen, führt der Bundespräsident in diesen Tagen Gespräche mit den Präsidenten von Bundestag und -rat, des Verfassungsgerichtes und den Vorsitzenden der Parteien, um die Chancen für eine Regierungsbildung ohne Neuwahlen abzuklopfen. Union und SPD oder eine Minderheitenregierung wahlweise aus Union und Grünen bzw. Union und FDP sind weitere denkbare Möglichkeiten. Am Ende läuft es auf zwei Fragen hinaus, die konkret beantwortet werden müssen. Wie kommt die Republik zu einer neuen Regierung? Wann könnte das sein?

Die Wahl des Kanzlers, der Kanzlerin ist ein dreistufiges Verfahren. Bislang wurden alle Wahlen seit 1949 in der ersten Phase abgeschlossen. In dieser liegt die politische Initiative beim Bundespräsidenten. Er ist nach Verfassung verpflichtet, dem Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten. Ihm ist dafür jedoch keine formale Frist gesetzt, er muss politisch-praktisches Augenmaß beweisen. Wird hier mit der erforderlichen absoluten Mehrheit (355 Stimmen) gewählt, kommt es zur Ernennung durch den Präsidenten und zur Vereidigung. Die Minister/innen werden nicht gewählt, sondern ernannt.

Geht es ohne Mehrheit aus, geht in der zweiten Phase das Vorschlagsrecht auf den Bundestag über. Innerhalb von vierzehn Tagen kann er eine Kanzlerin oder einen Kanzler auf Vorschlag aus den eigenen Reihen (25% Quorum) wählen. Kann eine Kandidatin, ein Kandidat die absolute Mehrheit auf sich vereinen, muss der Präsident vereidigen. Gibt es auch hier kein Ergebnis, kommt die dritte Phase zum Tragen, bei der die relative Mehrheit reicht.

Erreicht ein/e Kandidat/in die absolute Mehrheit, muss der Präsident sie/ihn zur/zum Kanzler/in ernennen. Wird nur die relative Mehrheit erreicht, kann der Präsident ernennen. (Die/Der Kanzler/in einer Minderheitenregierung hätte die gleichen Rechte wie die einer Mehrheitsregierung.) Der Präsident muss aber binnen sieben Tagen prüfen, ob die Voraussetzungen für eine stabile Wahlperiode gegeben sind. Sind diese aus seiner Sicht nicht gegeben, kann er den Bundestag auflösen und einen Neuwahltermin festsetzen. Dieser darf nach dem Grundgesetz nicht mehr als 60 Tage nach der Auflösung liegen und muss auf einen Sonn- oder Feiertag fallen.

Die nicht kalkulierbare Frist ist der Ermessenszeitraum des Präsidenten bis zum Vorschlag. Hat er dem Bundestag vorgeschlagen, ist der Zeitraum fest. Erste Wahlphase. Zweite Wahlphase 14 Tage, dritte Wahlphase, 7 Tage Prüfrecht, Auflösung des Bundestages mit 60 Tages-Frist. Wenn der Präsident vorgeschlagen hat und der Bundestag den ersten Wahlgang durchgeführt hat, sind es maximal 81 Tage bis zum Neuwahltermin. Die letzte vorzeitige Auflösung des Bundestages war 2005. Am 22. Mai fand die NRW-Wahl statt. Am 1. Juli scheiterte Gerhard Schröder an der Vertrauensfrage. Am 18. September war der Wahltermin. Verkürzte Frist für die Einreichung der Listen war damals am 34. Tag vor der Wahl. Der Zeitraum von der Verkündung bis zur Realisierung betrug knapp vier Monate. Kürzer war es bei Helmut Kohl, er stellte die Vertrauensfrage am 13. Dezember 1982. Abgestimmt wurde am 17. Neuwahltermin war der 6. März 1983.

Zwei spekulative Rechenbeispiele: Am 19. November sind die Sondierungen zur Schwampel gescheitert durch die Absage der FDP. Vom 11.-13. Dezember 2017 sind die nächsten festgelegten Plenumstage. Vom 15.-19. Januar 2018 sind die ersten Plenumstage im Januar. Im Fallbeispiel Eins, Steinmeier schlägt in der Dezemberwoche vor, könnte der Wahlgang am 13.12. durchgeführt werden. Dann wäre im Rahmen der 81 Tage-Frist der 4. März 2018 der letzte Sonntag dieser Frist. Schlägt Steinmeier in Variante Zwei in der Januar-Woche vor und würde am 18. Januar der erste Wahlgang scheitern, wäre der 8. April der letzte Sonntag innerhalb der 81-Tage-Frist, an dem die Wahl durchgeführt werden könnte.

Wiederum spätestens nach 30 Tage müsste der 20. Bundestag zusammentreten. Dies entspräche in Variante Eins dem 3. April 2018; in der Variante Zwei dem 8. Mai. Die Konstituierung des Bundestages wäre aber lediglich der Auftakt in die Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments, der Auftakt in neue Sondierungen und Vorbereitung von Koalitionsverhandlungen. Sie müssten in der Variante Zwei innerhalb von knapp zwei Monaten durchgeführt sein, wenn vor der Sommerpause 2018 im Juli, zehn Monate nach der Wahl zum 19. Bundestag eine neue Regierung ins Amt eingeführt sein soll. Allerdings ist dies schon zwei, drei Monate vor der Wahl des Landtags und der sieben Bezirkstage in Bayern. Auch in Hessen wird im Herbst ein neuer Landtag gewählt. Möglicherweise können die Sondierungsgespräche für eine Koalitionsregierung aber aus Rücksicht darauf wie im Falle der Niedersachsen-Wahl auch erst danach beginnen.