Im neuen Artikel von Thomas Nord geht es um die Zusammenarbeit von Italien, Österreich und Deutschland beim Umgang mit Flucht und Migration.

Flucht und Migration

Die Achse der Willigen

 

Am 1. Juli 2018 hat Österreich erneut für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen, er wird vom Regierungschef ausgefüllt, vom Kanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz. Seit dem In-Kraft-Treten der Lissabonner Verträge im Dezember 2009 ist der Ratsvorsitz in seiner Bedeutung herabgesunken, viele der Funktionen wurden in das ständige Amt des Präsidenten des Europäischen Rates überführt. Das hat in dieser Wahlperiode der frühere polnische Ministerpräsident Donald Tusk (PO) inne. So wird oftmals gesagt, der Ratsvorsitz ist heute eine Position für die große Bühne, was für einen Darsteller wie Sebastian Kurz mehr als eine willkommene Gelegenheit zur Selbstpräsentation ist. Er nutzt sie auch für praktische Politik.

Aber der Ratsvorsitz ist aus einem zweiten Grund nicht zu unterschätzen, denn von dem jeweiligen Land wird einerseits ein sechsmonatiges Arbeitsprogramm festgelegt. Dieses wird zumeist in einem Trio-Ratsvorsitz für 18 Monate erarbeitet, da die meisten politischen Themen in der heutigen EU der 28 kaum in sechs Monaten zu Ende gebracht werden können. Unterhalb der Ebene der Staats- und Regierungschefs treffen sich die Ratsgruppen auf ministerieller Ebene und dort wird in der Regel die Leitung von demjenigen geführt, der aus dem Land mit dem Ratsvorsitz kommt. Eine Ausnahme bildet der Rat für Auswärtige Angelegenheiten, seit den Lissabonner Verträgen sitzt hier für volle fünf Jahre der oder die hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik vor, aktuell Federica Mogherini.

Das österreichische Ratsprogramm

In den Vorankündigungen der Wiener Regierung stand zunächst die Fortführung des im Juni 2017 vom EU-Rat beschlossenen „Trioprogramms“ an erster Stelle stand der Schwerpunkt: »Eine Union der Arbeitsplätze, des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit«. Aber wir leben in politisch »dynamischen« Zeiten und so wurde kurzerhand neu gewichtet, nun stehen die nächsten sechs Monate unter dem Motto »Ein Europa, das schützt«. Drei Punkte sind darin fett gesetzt: (1) Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration; (2) Sicherung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung; (3) Stabilität in der Nachbarschaft – Heranführung des Weltbalkans/Südosteuropas an die EU. In der erwarteten Kontinuität des Vorsitzes stehen die Schlussverhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU und die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027. Soweit das Programm, nun zur aktuellen Politik der vergangenen vier Wochen.

Am 11. Juni sagte Horst Seehofer kurzfristig die Vorstellung seines Masterplans Asyl ab, weil es substanzielle Differenzen zwischen Merkel und ihm gäbe. Am 13. Juni gaben Horst Seehofer und Sebastian Kurz auf Einladung des deutschen Innenministers eine gemeinsame Pressekonferenz. Horst Seehofer hat darin von seinem Telefonat mit dem neuen italienischen Innenminister von der Lega, Matteo Salvini berichtet. Salvini wurde Anfang des Jahres bekannt, weil er in einer Pressekonferenz gesagt hat: »Es ist offenkundig, dass während des Faschismus auch vieles geleistet wurde«. Seehofer wies darauf hin, dass er und Salvini in Fragen von Migration und Sicherheit volle Übereinstimmung hätten. Sie hätten eine Übereinkunft für eine Zusammenarbeit getroffen. Sebastian Kurz erhob flugs darauf die Forderung nach einer »Achse der Willigen gegen illegale Migration«, einer Zusammenarbeit von Italien, Österreich und Deutschland. In Österreich ist Hans-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreichs Innenminister. Strache hat z.B. noch 2012 die Burschenschaften in Österreich und die FPÖ am Holocaust-Gedenktag als »die neuen Juden« bezeichnet.

Der Master-Plan im Bundestag

Am 14. Juni wurde der Streit durch die CSU eskaliert und die Sitzung des Bundestages um 11:30 Uhr für mehrere Stunden unterbrochen. CDU Fraktion und CSU Landesgruppe tagten voneinander getrennt in unterschiedlichen Räumen. Seehofer drohte, am 1. Juli nationale Grenzkontrollen gegen den Willen Merkels anzuordnen und im nationalen Alleingang Flüchtlinge, die schon zuvor in der EU registriert wurden, an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Ein zweiwöchiges Ultimatum an die Kanzlerin folgte, eine »wirkungsgleiche« Lösung auf europäischer Ebene herzustellen. Ratspräsident Tusk reagierte ablehnend auf Merkels Wunsch eines Sondertreffens und bereitete das reguläre Gipfeltreffen am 28./29. Juni vor. Flugs wurde eine Gruppe von Staaten (Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Griechenland, Bulgarien und Spanien) vom luxemburgischen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu einem »informellen Arbeitstreffen« eingeladen, man wolle an europäischen Lösungen arbeiten. Ein vorab bekannt gewordener Text mit Vorschlägen wurde auf den Widerspruch der Staaten der Visegrad-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) zurückgezogen.

Auf dem Gipfel selbst wurden nach langem Ringen u.a. mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Conte Beschlüsse im Sinne der »Achse der Willigen« gefasst, von denen die Kanzlerin der Meinung war, dass sie »wirkungsgleich« zu den Forderungen des CSU Ministers seien. Ganz Europa zitterte vor der Wertung eines Landesvorsitzenden, »Hü-Hott-Heimat-Horst« nannte die Gipfelbeschlüsse »kein wirkungsgleiches Surrogat« zu seinem Masterplan. Nach Drohungen, die Fraktionsgemeinschaft zu kündigen, zu einem eigenständigen bundesweiten Wahlantritt der CSU und dem Rücktritt als Innenminister ist Merkel eingeknickt. Sie hat in dem Machtkampf die letzten Reste ihrer humanistischen und politischen Überzeugungen in der Asyl- und Migrationspolitik über Bord geworfen. Sie hat sich einem Ministerultimatum unterworfen und dessen politische Bedingungen gegen ihren Willen erfüllt. Sie hat von ihrer Richtlinienkompetenz keinen Gebrauch gemacht. Wenn die Sozialdemokratie als verbliebene Koalitionspartnerin den Unionsbeschlüssen zustimmt und sie zur neuen Koalitionslinie erklärt, regiert die Asyl- und Migrationspolitik der Achse der Willigen am Beginn der parlamentarischen Sommerpause 2018 in der Tat in Rom, Wien und Berlin.

Die Linke und die Frage des Internationalismus

Das Gefährliche an dem gegenwärtigen Prozess ist die stille und beständig schleichende Verrohung im kulturellen, sozialen und zivilisatorischen Bereich, sie vollzieht sich zumeist unbemerkt und wird aus dem Stimmungsreflex heraus leicht übernommen, wenn ihr nicht vehement widersprochen wird. Eins, Zwei, Gsuffa. Die parteipolitisch organisierte, aber auch die zivilgesellschaftliche Linke ist heute stärker denn je gefordert, im Diskurs die Stimmen für Humanismus, internationale Solidarität und zivile Vernunft zu erheben. Nicht die Nationale, die Internationale erkämpft das Menschenrecht!