Im neuen Artikel von Thomas Nord geht es um eine Betrachtung der Konfliktkonstellationen im Wahlkampf für das Europäische Parlament im Frühjahr 2019.

Heraufziehende Kampflinien

Klinkenputzen in Visegrád

 

Die EU-Kommission hat Ende September eine Klage gegen die polnische Regierung erhoben wegen eines Gesetzes zur Pensionierung von Richtern. Mit dem beklagten Gesetz wurde das Pensionsalter für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre gesenkt. Die Klage wurde durch das Oberste Gericht in Polen Anfang August selbst mit einer Anfrage der Prüfung der Konformität mit EU-Recht beim Europäischen Gerichtshof (EUGH) offiziell ausgelöst.

Es ist eigentlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen fünf Jahre früher ihre Rente genießen können. Doch hier ist eine deutliche politische Motivation die treibende Kraft, durch das neue Gesetz werden seit Anfang Juli missliebige Richter in den Ruhestand geschickt. Verlängerungen der normalen Amtszeit können zwar beim Staatspräsidenten beantragt werden, der aber Mitglied der PiS ist.

Die EU-Kommission verklagt Polen

Die PiS Regierung hat das Gesetz eingebracht und im Parlament beschlossen, um die unliebsamen Richter durch Gewährsmänner der PiS zu ersetzen. Der Streit um die Verrentung ist ein Streit darüber, ob die PiS die Kontrolle über die Justiz bekommt. Es ist ein Versuch, die Gewaltenteilung über einen Nebenweg zu unterminieren und so die Umwandlung von einer demokratischen Demokratie zu einer illiberalen oder gar autoritären voranzutreiben.

Ein zweites Verfahren gegen Polen hat die EU-Kommission nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) aus Sorge um die Rechtsstaatlichkeit eingelegt. Dies ist kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren, an dessen Ende möglicherweise der Entzug der Stimmrechte im EU-Ministerrat stehen kann. Dafür müssten am Ende des Verfahrens mindestens 22 von derzeit noch 28 Mitgliedsstaaten die Feststellung treffen, dass in Polen auf Grund der Praxis die »eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung« von EU-Werten besteht.

Die EU-Kommission verklagt Ungarn

Bereits im Juli hat die EU-Kommission eine Klage gegen Ungarn beim EUGH eingelegt wegen dessen Umgang mit Asylbewerberinnen und –bewerbern. Sie war der letzte Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens, das Dezember 2015 eingeleitet worden war. Die Kommission hat zur Begründung der Klage angeführt, die ungarische Regierung verstoße mit ihren Migrationsgesetzen in mehreren Fällen gegen EU-Recht. Konkret werden die zu lange Inhaftierung von Asylbewerbenden und von minderjährigen Flüchtlingen genannt. Bestätigt der EUGH diese Klage und verurteilt die ungarische Rechtslage, drohen der ungarischen Regierung hohe Geldbußen.

Zudem leitete die EU-Kommission ein neues Verfahren gegen Budapest wegen eines umstrittenen Gesetzes gegen Flüchtlingshelferinnen und -helfer ein. Auch dies verstößt aus Brüsseler Sicht gegen EU-Recht. Im Juni 2018 war mit 160 gegen 18 Stimmen eine Vorlage Gesetz geworden, mit der Flüchtlingshelfenden nun bis zu einem Jahr Haftstrafe droht. Ein Jahr vorher war ein Gesetz verabschiedet worden, nachdem sich Organisationen, die mehr als 23.000 Euro aus dem Ausland erhalten, in Publikationen und Internet-Auftritten als »vom Ausland unterstützte Organisation« bezeichnen müssen. Die Maßnahmen gelten in Ungarn auch als »Stop-Soros-Paket«.

Georges Soros wurde 1930 in Budapest geboren, hat bei Karl Popper studiert, dessen Hauptwerk »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« ein Standardwerk der liberalen politischen Philosophie ist. Popper hat 1938 nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich mit der Ausarbeitung begonnen und es 1945 veröffentlicht. Soros wanderte 1956 in die USA aus und gründete 1993 das Open Society Institute, heute Open Society Foundations (OSF) mit Hauptsitz in New York, das in 50 Staaten tätig ist. In Russland ist die Stiftung November 2015 vom Justizministerium als unerwünschte Organisation eingestuft worden. Im Wahlkampf 2018 wurde Soros von Viktor Orban zum Hauptfeind erklärt. Nach der Wahl hat Soros im Mai erklärt, das Büro der Stiftung in Budapest zu schließen und nach Berlin zu verlegen.

Die AfD als Türöffner

Weil die EU-Kommission acht Monate vor der EP-Wahl einmal mehr gegen eine Entscheidung von Regierungen vorgeht, die die demokratische Gewaltenteilung abschaffen und eine illiberale Demokratie errichten wollen, hofft Steven Bannon, dass sich PiS und Fidesz doch noch seiner Bewegung »The Movement« anschließen. Er will die »Konservative Revolution« in der Europäischen Union vorantreiben und nach der EP-Wahl eine konservative Superfraktion im EP bilden. Sein aktuelles Augenmerk gilt der sogenannten Visegrád-Gruppe: Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei. Die österreichische FPÖ will aktuell nicht mit Bannon arbeiten, aber ebenfalls rechte Allianzen schließen.

Auch die PiS hatte dies unter der Führung von Jaroslaw Kaczyniski bislang stets abgelehnt. Aber derzeit mehren sich die Berichte von zunehmenden Flügelkämpfen in der PiS, die durch den abnehmenden gesundheitlichen Zustand von Kaczynski und einer dazu korrespondierenden Schwäche angetrieben werden. Ebenso hatte bislang Viktor Orban einem Beitritt kritisch gegenüber gestanden. Bannon hofft jedoch nach den Klageeröffnungen durch den EUGH, dass sich PiS und Fidesz noch einmal neu sortieren. Er ist mit Hilfe der AfD gerade auf Werbetour in Osteuropa.

Die AfD und die Altrechte in den USA

Am vergangenen Sonntag, dem 23. September hat der im Januar wiedergewählte tschechische Präsident Miloš Zeman den ehemaligen Trump-Berater Bannon und den AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss und gebürtigem Tschechoslowaken, Petr Bystron, empfangen. Zeman hat sich 2009 auf Grund seiner politischen Überzeugungen von der tschechischen SPD abgespalten und eine eigene Partei Strana Práv Občanů (SPO) gegründet. Gegenstand des Gesprächs war die weitere Zukunft einer »Konservativen Revolution« in Europa. Auch Alexander Dobrindt von der CSU hat im Januar 2018 eine Konservative Revolution gefordert. Der Begriff geht heute auf Armin Mohler zurück, der Privatsekretär des Kriegsromantikers Ernst Jünger war.

Bystron gilt als derjenige, der den Gesprächskontakt zwischen Zeman und Bannon eingefädelt hat. Bystron war zuvor Landesvorsitzender der AfD in Bayern und wurde vom dortigen Landesverfassungsschutz beobachtet, bis er 2017 Bundestagsabgeordneter wurde. Nach Zeit-Online vom März 2018 beschäftigt Bystron rechtsextreme Mitarbeiter, unter anderem aus Brandenburg. Bystron teilt auf seiner facebook Seite mit, dass er den Eagle Award der »Phyllis Schlafly Stiftung« erhalten habe. Phillis Schlafly war eine erst vor kurzem verstorbene ultrakonservative Politikerin, die sehr frühzeitig die Kandidatur von Donald J. Trump unterstützt hat. Die Eagle Council Konferenz der US-amerikanischen Alt-Rechten wurde dieses Jahr zusammen mit der Webseite »The Gateway Pundit« ausgetragen, die Kontakte zu Breitbart News und Steven Bannon hat.

Die Konservative Internationale

The Gateway Pundit hat die Kampagne von Trump unterstützt und sah sich Klagen wegen Falschmeldungen über Hillary Clinton und Wahlbetrug gegenüber. In der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 wurde die Seite über 1 Millionen Mal täglich angeklickt. Bystron war Teilnehmer der Eagle-Konferenz und träumt analog zu der Sozialistischen Internationale von einer Konservativen Internationalen. Mit Bezug auf »The Movement« ist ein Meinungsunterschied zwischen Alexander Gauland und Alice Weidel sichtbar. Gauland lehnt die Zusammenarbeit mit Bannon ab, weil wir »nicht Amerika« sind. Alice Weidel hingegen hat sich im März des Jahres mit Bannon in Zürich getroffen, wo sie sich über »politische Kommunikation« ausgetauscht haben. Die AfD plant einen eigenen »Newsroom« und Weidel ist an Bannons Expertise aus der Zeit als Trumps Kampagnenmanager interessiert.

Nach dem Treffen mit Milos Zeman reist Bannon weiter nach Budapest zu einem Treffen mit Viktor Orban. Seine Partei Fidesz ist bislang Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP). Nachdem die Mehrheit der EVP im Europäischen Parlament für den Antrag gestimmt hat, gilt diese jedoch von beiden Seiten her als brüchig. Lediglich die CSU-Abgeordneten im EP haben bis auf den stellvertretenden CSU-Vorsitzenden und EVP Fraktionschef Manfred Weber gegen die Aufnahme des Verfahrens gestimmt. Er möchte Spitzenkandidat der EVP werden und nach der Wahl im Mai 2019 Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident beerben. Das gesplittete Votum der CSU könnte dann ein nützlicher Öffner sein, wenn Weber für eine Mehrheit nach der Wahl in Visegrád die Klinken putzen muss.