Der neue Artikel von Thomas Nord behandelt den bevorstehenden Brexit.

Brexit im März 2019

Austritt und Neuformation

 

Am 25. November wurde von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf einem Treffen der Austrittsvertrag des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union angenommen. Die formale Schlussabstimmung über die 585 Seiten Vertrag hat in etwa dreißig Minuten gedauert. Formal muss als nächstes das britische Unterhaus zustimmen, für Premierministerin Theresa May eine schwierige Hürde nach vielen anderen zuvor.

Abwahlantrag gegen Theresa May?

Mit aktuellem Stand fehlen einem Abwahlantrag gegen May noch sechs notwendige Unterschriften, um im Parlament gültig eingereicht werden zu können. Aber in den vergangenem Jahr wurde in jedem Monat wenigstens einmal das baldige Ende ihrer politischen Amtszeit verkündet. Das Unterhaus stimmt am 11. Dezember 2018 darüber ab. Danach müssen Parlament und EU-Rat formal noch zustimmen.

Stimmt das britische Parlament am 11. Dezember nicht zu, wird der Austritt aus der EU am 29. März 2019 um 23:00 Uhr MEZ trotzdem gültig. Weil es dann keinerlei Vereinbarung für den Umgang mit der Situation gibt, wird für diesen Fall von einem »harten« Brexit gesprochen, der vermutlich für Gesellschaft, Politik, Währung und Ökonomie stärkere Auswirkungen und Ungewissheiten hätte. Deswegen kursieren hier permanent unterschiedlich starke Bedrohungsszenarien.

Blick zurück

Mit einem Blick zurück auf die Mitgliedschaft des VK ist die Stimmung nie euphorisch gewesen. Das VK ist 1973 in der Norderweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beigetreten, im Jahr darauf wurde eine neue Regierung gewählt und die Labour-Partei stellte den Premierminister. Da die Stimmung bei Labour und Gewerkschaften mehrheitlich gegen die Mitgliedschaft war, wurde 1975 ein Referendum durchgeführt. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% stimmten zwei Drittel für den Verbleib.

In der Regierungszeit von Margaret Thatcher wurden die berühmten Briten-Rabatte im Agrarbereich ausgehandelt. Obwohl in der gesamten Zeit die kritischen Stimmen nicht verstummten, wurde das Pfund 1980 Bestandteil des Europäischen Währungssystems (EWS), einer Vorstufe zum heutigen Euro. Mit den Debatten am Beginn der 1990er über die Verträge von Maastricht und den Zielen eines gemeinsamen Binnenmarkts, einer gemeinsamen Währung und einer Politischen Union verschärfte sich die innenpolitische Kontroverse. Im September 1992 sorgte eine Spekulationswette von Georges Soros für den Exit des britischen Pfund aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus.

UKIP und Referendum

1993 wurde die United Kingdom Independence Party (UKIP) gegründet. In der Unterhauswahl 2010 bekam UKIP lediglich 3,1%, die konservativen Tories gewannen mit 36,1%. David Cameron wurde Premierminister, war jedoch auf eine Koalition mit den Liberaldemokraten angewiesen. Weil er die absolute Mehrheit anvisiert hatte und nicht bekam, war er in einer schwachen Position. Die politische Stimmung wendete sich gegen die Regierung und am 23. Januar 2013 verkündete Cameron ein Referendum über den Verbleib in der EU bis spätestens 2017, falls er dann noch Premierminister wäre.

Das Ergebnis der Wahl zum Europaparlament 2014 brachte die UKIP mit 28% als stärkste politische Kraft hervor. Durch die Bündelung der nationalen Wahlen in der EU 2017, unter anderem in Frankreich, Niederlande, Österreich und Deutschland wurde der Referendumstermin auf den 23. Juni 2016 gelegt. Das Votum fiel nach einer aufgeladenen Kampagne bei 70% Beteiligung mit 51,9% für den Austritt aus der EU. Premier Cameron hatte für den Verbleib geworben und trat in der Konsequenz zurück, Theresa May wurde neue Premierministerin der Tories.

Artikel 50 aktiviert

Am 29. März 2017 hat May mit einem Brief an Ratspräsident Donald Tusk, der durch den Botschafter persönlich übergeben wurde, Artikel 50 EUV aktiviert, Absatz 1: »Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.« Angesichts einer guten Umfragesituation setzte sie auf vorgezogene Neuwahlen am 8. Juni 2017, verlor jedoch unerwartet die absolute Mehrheit. Seitdem regiert sie mit der nordirischen Democrat Unionist Party (DUP), die mit der Grenze zu Irland durch den Brexit eine direkte Außengrenze zur EU bekommt.

Nun setzen die Spekulationen über das weitere Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union ein. Es gibt ein kurzes, vage gehaltenes Papier, das hier möglichst breite Spielräume bei den nun beginnenden Verhandlungen über die Neugestaltungen der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union lässt. In den nächsten Monaten bis Dezember 2020 soll zwischen der EU und dem VK ein Freihandelsabkommen erarbeitet werden. Dieses müsste dann in ein Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedstaaten. Das Thema wird uns in den kommenden Jahren erhalten bleiben.

Einzelfall oder Blaupause?

Mit den Beschlüssen im Dezember wird das erste Mal ein Verfahren nach Artikel 50 der Lissabonner Verträge weitgehen durchlaufen sein. Danach taucht für die Union die Frage auf, ob es ein Einzelfall bleibt oder die zeitliche und organisatorische Blaupause ist, auf der andere Mitgliedstaaten der Union über ihren Austritt aus der Europäischen Union nachdenken. Diese Frage wird mit Blick auf die laufenden Verfahren der EU gegen Polen und Ungarn nach Artikel sieben (EUV) geführt, aber auch mit Blick auf den Haushaltsstreit zwischen EU und Italien.