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Austritt und Vertiefung

Der neue Artikel von Thomas Nord thematisiert den Aachener Vertrag und das neue deutsch-französische Parlamentsabkommen.

Aachener Vertrag und Deutsch-Französisches Parlamentsabkommen

Austritt und Vertiefung

 

Anlässlich des 55. Jahrestages der Unterzeichnung des Elysee-Vertrags am 22. Januar 2018 wurde zwischen der deutschen und der französischen Staatsspitze ein neuer Elysee-Vertrag und ein binationales Parlamentsabkommen verabredet. Arbeitstitel: Elysee-Vertrag 2.0. Eigentlich hätte er zu diesem Zeitpunkt schon ausgehandelt vorliegen sollen, aber die Wahlergebnisse vom September 2017 sind dazwischen gekommen und die anschließende langwierige Regierungsbildung, die sich bis in die Mitte März 2018 hinzog.

Elysee 2.0 heißt jetzt Aachener Vertrag

Im Herbst des vergangenen Jahres wurde der 22. Januar 2019 vom Ältestenrat als Präsenztag für den Deutschen Bundestag festgelegt. Man wollte an diesem Tag feierlich in Paris und in Berlin ein Deutsch-Französisches Parlamentsabkommen beschließen und in Kraft setzen. Anliegen des Abkommen ist die Schaffung einer deutsch-französischen Parlamentskammer, jeweils mit 50 Abgeordneten nach Stärke der Fraktionen und Ausschüsse besetzt. Ziel ist die vorausschauende Behandlung von gemeinsamen politischen Anliegen und die Angleichung der Rechtsrahmen in Deutschland und Frankreich.

Das Protokoll des Bundestages und der Nationalversammlung haben seit einigen Monaten schon diesen Tag vorbereitet. Auch der Verwaltungsapparat war schon auf den letzten Metern der Vorbereitung angekommen, als die Nachricht von der Unterzeichnung des Elysee-Vertrags 2.0 hereinplatzte. Die Bundeskanzlerin hat in einer Präsidialattitüde gemeinsam mit dem französischen Präsidenten kurzerhand entschieden, dass der frisch fertiggestellte Elysee-2.0-Vertrag anstelle des Parlamentsvertrages unterzeichnet wird. Das Kabinett hat diesem Vorschlag zugestimmt.

Merkel übergeht Schäuble

Der Präsenztag für die Abgeordneten wurde gestrichen. Die Unterzeichnung findet nicht in Paris statt. Nicht in Berlin. Sondern in Aachen, wo Macron im März 2018 den Karlspreis für seine Europapolitischen Vorstellungen verliehen bekommen hat. Und deswegen soll der Folgevertrag zum Elysee-Vertrag jetzt Aachener Vertrag heißen. Selbst Wolfgang Schäuble, so heißt es, wurde von der Nachricht überrascht. Die Kanzlerin hat ihn einfach übergangen.

Dabei bekleidet Schäuble formal das zweithöchste Amt im Staat, die Kanzlerin nur das dritthöchste. Aber ihr ist vermutlich in Erinnerung geblieben, dass sich Wolfgang Schäuble vor dem letzten CDU-Parteitag unpräsidial verhalten hat, als er sich in der Frage des neuen CDU-Parteivorsitzes hinter Friedrich Merz gestellt hat und nicht hinter Annegret Kramp-Karrenbauer, die Wunschkandidatin von Angela Merkel.

Mit der Fürsprache hatte Schäuble sich öffentlich weit über seine präsidiale Rolle hinausbewegt und erkennen lassen, dass die Verletzungen aus der Schwarze-Koffer-Spendenaffäre der CDU, die ihn 2000 das Amt des Vorsitzenden gekostet hat, immer noch nicht verheilt sind. Es bestand die Chance zur Revanche. Aber wer einmal verloren hat, kann ein zweites Mal verlieren. Nun ist Merkel nur noch Kanzlerin und durch den erklärten Verzicht auf eine neue Kandidatur ohne die Not einer Rückbindung und vorherigen Abstimmung.

Deutsch-Französische Parlamentskammer

Seitdem wird hinter den Kulissen hektisch und mit Zähneknirschen die Zeremonie in Aachen für den 22. Januar vorbereitet. Die Frage, wie die Verabschiedung und Ratifizierung des Deutsch-Französischen Parlamentsabkommens durchgeführt werden soll, muss derweil neu gefunden werden. Möglicherweise wird sie mit dem Akt der Unterschriften unter den französisch-deutschen Freundschaftsvertrag in Aachen gebündelt. Dann säßen die Parlamentspräsidenten im Schatten der Aufmerksamkeit und dies würde der Rolle des Parlaments als gesetzgebende Gewalt, die in Deutschland auch die Kanzlerin wählt, nicht gerecht.

Weil die konstituierende Sitzung für das binationale Gremium schon Ende März, zwei Monate vor der Wahl des Europaparlaments stattfinden soll, ist Eile vonnöten. Aber weder ist die Frage geklärt, wo die Konstituierung stattfinden soll, noch, wie die Abgeordneten für das neue Gremium bestimmt werden. Wählt das Parlament sie aus ihrer Mitte oder benennen die Fraktionen die Mitglieder nach vorher festgelegtem Proporz? Wie ist das Verhältnis von Regierung und Opposition abgebildet? Nach welchem Modus arbeitet die Kammer in der Entscheidungsfindung?

Charlemagne, Retter in der Not?

Ein Grund für die hektische Betriebsamkeit dürfte in der aktuellen Lage der EU zu finden sein. Einerseits befinden sich die nationalreaktionären Kräfte im Aufschwung. Der Besuch von Matteo Salvini für die italienische Lega bei der PiS in Polen wurde mit großer Öffentlichkeit begleitet. Er steht in dem Bemühen, nach der EP-Wahl eine neue superkonservative Fraktion im Straßburger Parlament zu bilden. Nach aktuellen Umfragen könnte eine solche Fraktion mit rund 150 Mandaten zweitstärkste Kraft vor der Europäischen Sozialdemokratie werden. Dies liegt sicherlich auch an der Entscheidung von Macron, sich der liberalen Fraktion zuzuwenden.

Ein zweiter Grund liegt in dem Gewürge und Gezerre um den Brexit, der am 29. März stattfinden soll. Durch die Abstimmungsniederlage von Theresa May im Unterhaus ist hier noch größere Verwirrung entstanden. Sie kann sich in den nächsten Monaten mit einem Stimmungstrend verbinden, der sich gegen die EU und die Brüsseler Bürokratie richtet, die bei vielen eh keinen guten Ruf genießt. Mit dem groß inszenierten Aachener Vertrag und dem deutsch-französischen Parlamentsabkommen wird versucht, dieser Tendenz einen Vertiefungsimpuls entgegenzusetzen.

Kritisch gewendet liegt darin auch die Interpretation, dass mit beidem der Grundstein für ein deutsch-französisches Kerneuropa gelegt wird. Das dies ausgerechnet in Aachen passiert, der Stadt von Karl dem Großen (französisch: Charlemagne), wird sie nicht entkräften können. Das Frankenreich erlangte in seiner Zeit die größte Ausdehnung und europäische Machtstellung.

  1. Sonja Newiak

    In Zeiten der Gefahr des Auseinanderbrechens der EU ist die Etablierung einer deutsch-französischen Hegemonie mit dem wunschgemäßen Aufbau einer EU-Armee unter deutscher Führung das völlig falsche Signal an die übrigen Mitgliedsländer. Damit werden erst recht nationalistische Zurück-zum Nationalstaat Entwicklungen gefördert. Damit steigt auch die Kriegsgefahr. Auch für EU-Europa.

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