Seit der Ankündigung von AKK, am 2.6. eine Extraklausur durchführen zu wollen, gleicht die Situation auf den Fluren der Macht einem still stehenden Gewässer, in das ein Tauchsieder gestellt wurde.

Spaltung der Konservativen

Mehltau im Morgenlicht

In Berlin wimmelt es von Gerüchten. Kommt es zu einer Bewegung im Kanzlerinnenamt? Packt Angela Merkel vorzeitig ihren Hausrat zusammen, der sich seit 2005 angesammelt hat? Sind bereits Handwerker beauftragt, Pläne und Termine für die Renovierung der 55 qm Kanzlerwohnung vorzubereiten?

Seit der Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, am 2. Juni eine Extraklausur der CDU durchführen zu wollen, gleicht die Situation auf den Fluren der Macht einem still stehenden Gewässer, in das ein Tauchsieder gestellt wurde. Die Situation ist so unter Aufmerksamkeit und Spannung, dass Merkel und Karrenbauer ein Dementi geliefert haben, das doch irgendwie auch wie eine mögliche Bestätigung klang. Andererseits hatte Kramp-Karrenbauer schon vor zwei Monaten angekündigt, die Initiative in die Hand zu nehmen. Angesichts der Aufgabe, das Kanzleramt erobern zu wollen, ist dies aus taktischer Perspektive ein nachvollziehbares Argument. Man will einer möglichen Rot-Rot-Grünen Initiative die Luft entziehen.

Ergebnisfrage Halbzeit

Denn im Koalitionsvertrag steht die Halbwertklausel, nach der die Sozialdemokratie im November über die Regierungsleistung und die Möglichkeit zum Verbleib in der unter die Mehrheit geschrumpften Großen Koalition berät und abstimmt. Es gab Versuche der politischen Kurskorrektur nach Links bei der SPD, die seitens der Union nicht unkritisiert blieben. Aber viel mehr als der Versuch einer Rückkehr zu alten Lagerkonstellationen durch verbale Distanzbildung zwischen Schwarz und Rot war darin noch gar nicht auszumachen.

Angesichts der wiederholt vorgetragenen Thematisierung einer sich androhenden Eintrübung der Konjunktur sollen die Themen Wirtschaft, Steuern und Finanzen beleuchtet werden, um der SPD die Kelle bei ihren sozialpolitischen Kurskorrekturen hinzuhalten, mit denen sie versucht, die immer noch schwärende Wunde der Hartz-Gesetzgebung von 2005 zu heilen. Aber diese Korrekturen zeigen auch immer noch die innere Zerrissenheit in der Partei über ihren zukünftigen Kurs. Wie lange kann Nahles sich noch halten ist die meist gestellte Frage.

Mit dem Wandel der Arbeits- und der Arbeiterwelten kommt mehr und mehr ein objektiver Grund der europaweit zu beobachtenden abnehmenden Wahltendenzen für die Sozialdemokratie zum Vorschein. Aus der Digitalisierung folgt eine Veränderung der Lebenswelten, die kaum mehr eine Berührung mit dem althergebrachten Verständnis der Welt aus der Frühzeit der Industrialisierung zu tun hat. Der Arbeiter aus der Frühzeit des Klassenkampfes wird mehr und mehr Gegenstand einer historischen Betrachtung und es ist nicht so klar, ob überhaupt und wenn ja, was für ein politisches Subjekt an dessen Stelle tritt.

Spaltung des Konservatismus

Dies hat auch für den Konservatismus und das Bürgertum weitreichende Folgen, sein angestammter Sparringspartner geht verloren. Seine Stimmanteile schrumpfen ebenfalls. Er hat sich europaweit an mehreren Fragen politisch gespalten wie nun auch in Spanien mit Partido Popular und Vox oder in Frankreich mit Republikanern und Nationalisten. Aus diesem Befund erklärt sich auch das zunehmende Konfliktpotenzial in der Christlich Deutschen Union um die Frage nach der zukünftigen politischen Ausrichtung und um den Umgang mit der AfD. In der vergangenen Wahlperiode lag das Konfliktzentrum zwischen CDU und CSU, in der aktuellen Legislatur liegt es in der CDU selber. In der Regierung, der Fraktion und der Partei.

Norbert Lammerts Rückzug leitete die Frage nach einem neuen Bundestagspräsidenten ein. Der Merkel-Kritiker Schäuble verließ das Kabinett. Peter Altmeier (Saarland) wechselte im März 2018 aus dem Kanzleramt in die Regierung. Angela Merkel konnte Volker Kauder (Baden-Württemberg) im September 2018 nicht mehr als Fraktionsvorsitzenden halten, Ralph Brinkhaus (Nordrhein-Westfalen) trat an seine Stelle. Die Kanzlerin konnte nach der Landtagswahl in Hessen Ende Oktober den Anspruch auf erneute Kandidatur als Parteivorsitzende nicht verteidigen.

Die Merzprobe ist nicht zu Ende

Auf dem Parteitag im Dezember 2018 setzte sich die Wunschkandidatin von Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer (Saarland), nur knapp gegen den Mitbewerber Friedrich Merz (Nordrhein-Westfalen) durch. Auch Schäuble (Baden-Württemberg), der diese Kandidatur nach seinem Wechsel vom Kabinett ins Parlamentspräsidium gesteuert und forciert hat, verlor an Ansehen. Am 26. Mai wird Kramp-Karrenbauer ihre ersten Wahlergebnisse als Vorsitzende vertreten müssen. In den Umfragewerten sieht es nicht gut aus. Unter 30%. 27% für die Union bedeuten 5%-6% für die CSU und 21%-22% für die CDU. Die SPD hatte in der Bundestagswahl 20,5%, soweit liegt das nicht auseinander. Befürchtet werden auch große Verschiebungen in den vielen Kommunalwahlen.

Die Einberufung einer Sonderklausur der Union hat zumindest diese sachlich-thematischen Facetten zum Gegenstand, aber eben auch eine personelle Dimension. Neben Merkel steht Peter Altmeier als Wirtschaftsminister in der Kritik des Konservativen Unionsflügels. Schäuble und Merz haben ihren Kampf und die Hoffnung aufs Kanzleramt noch nicht aufgegeben. Es sind Konflikte in und zwischen den großen Landesverbänden Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sichtbar, bei deren Austragung der Landesverband Saarland sehr geschickt manövrieren muss, wenn er weiter mitspielen will. Auch Horst Seehofer steht seit letztem Sommer noch auf der Auswechselliste. Für die SPD wird Katharina Barley in die EU wechseln, das Justizministerium ist neu zu besetzen. Franziska Giffeys Plagiatsaffäre lässt auch ihren Stuhl wackeln. Sie galt als Hoffnungsträgerin in Berlin und im Bund.

Das gordische Seilziehen

Mit der Sonderklausur wird die Möglichkeit des Beginns einer Großen Bewegung im politischen Berlin auf die Tagesordnung gesetzt. Umso wahrscheinlicher ist es, dass die Union sie möglichst gering halten will. Zumal die prospektierten Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament erhebliche Bewegungen zeigen in der Zusammensetzung des neuen Parlaments und der neuen Kommission. Hier liegt ein weiterer Punkt, denn Jean-Claude Juncker hat den Namen von Merkel für seine Nachfolge ins Spiel gebracht. Dies strahlt auch in den unionsinternen Streit aus, denn Manfred Weber (CSU) wird in dem Moment, wo Merkel den Vorsitz gewönne, chancenlos in seinem Streben EU-Kommissionspräsident zu werden.

Das vielleicht interessanteste im Vorfeld der Wahlauswertung der Union am 2. Juni ist, das deren Kräfte in der Regierung, im Kabinett, im Parlament und den Parteien im Vorder- und Hintergrund so stark untereinander vorübergehend teils gemeinsam und kurz darauf zugleich wieder gegeneinander arbeiten, dass zurzeit niemand mehr das Ergebnis des Tauziehens vorhersagen kann, weil es zu viele Seile sind, an denen gleichzeitig von zu vielen Leuten aus ganz unterschiedlichen Gründen gezogen wird. Man weiß auch nicht so genau, wer wann hinten runter fällt.

Hierin liegt vermutlich eine realitätsnahe Erklärung für die seismische Aufregung, die die Ankündigung der Sonderklausur auch in der Presse ausgelöst hat. Sie schwankt zwischen Hoffen und Bangen und kann sich nicht so recht entscheiden, was sie tun soll. Denn der Mehltau, auf den die Sonne im frühen Morgenlicht scheint, ist doch eigentlich auch ganz schön.