Am 18. Mai haben Emmanuel Macron und Angela Merkel eine gemeinsame Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Corona-Krise vorgestellt.
Deutsch-Französische Initiative
Neustart der Union?
Am 18. Mai haben der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine gemeinsame deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Corona-Krise vorgestellt. Damit haben sie die Blockade zwischen Nord- und Südländern bei den Verhandlungen in der EU über weitere Rettungsmaßnahmen aufgelöst und die Diskussion erneut in Gang gesetzt. Die Initiative umfasst vier Punkte:
Punkt Eins enthält Vorstellungen zu einer »EU-Gesundheitsstrategie« mit der Zielstellung einer strategischen Souveränität im Gesundheitssektor. Diese soll die Europäische Dimension hervorheben und die Verantwortung der Mitgliedsstaaten der Union vollumfänglich achten. Inhaltlich wird die kurzfristige Erhöhung der europäischen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im Bereich Impfstoffe und Behandlungsmethoden genannt. Es soll ein Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelt und hergestellt werden, auf den global zugegriffen werden kann. Es sollen gemeinsame strategische Lagerbestände von Arzneimitteln und Medizinprodukten aufgebaut werden. Dies ist auch eine Reaktion auf die wiederholt aufgetretenen Arzneimittelengpässe, die durch die globale und einseitige Marktzentrierung entstanden sind. Es soll eine europäische einheitliche Beschaffungspolitik entwickelt werden und eine präventive »Gesundheits-Taskforce« für den Fall künftiger Epidemien oder Pandemien eingerichtet werden.
Im Punkt Zwei wird über die Einrichtung eines »ehrgeizigen Fonds« zur wirtschaftlichen Erholung auf EU-Ebene für Solidarität und Wachstum gesprochen. Im Rahmen des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) von 2021 bis 2027 schlagen Berlin und Paris einen zeitlich begrenzten und zielgerichteten Fonds anlässlich der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie vor. Das Brisante daran, die Aufnahme der Fondsmittel in Höhe von 500 Milliarden soll direkt von der EU-Kommission im Namen der EU erfolgen. Die EU würde erstmals für den Zeitraum des MFR bis Ende 2027 ermächtigt, eigene Schulden aufzunehmen und als politisch eigenständiges Subjekt in Finanzfragen zu agieren. Für die eine Seite ist dies ein großer Durchbruch der Integration, für die andere ein großer Tabubruch, denn letzten Endes müssten die Mitgliedsstaaten anteilig über die EU-Ebene haften und verlieren gleichzeitig an Entscheidungskompetenz.
Unter Punkt Drei ist die Beschleunigung des Green Deal und der Digitalisierung gelistet, die Europäischen Volkswirtschaften und ihre Geschäftsmodelle sollen modernisiert werden. Der Green Deal wird als Wachstumsstrategie bestätigt und gilt als Blaupause für eine klimaneutrale EU im Jahr 2050. Hier wird im Wesentlichen der Ist-Stand ohne weiteren Neuerungen wiedergegeben. Ein sektorenübergreifender Europäischer Emissionshandel soll unterstützt werden, der jeweils eigene ökologische Standards benennt und die Fahrpläne dorthin beschreibt. Die Digitalisierung soll durch das 5G-Rollout, neue Sicherheitstechnologien und Identitätsmanagement und die Förderung von Künstlicher Intelligenz befördert werden.
Als Punkt Vier ist abschließend die Stärkung der wirtschaftlichen und industriellen Widerstandsfähigkeit der EU genannt. Hier zeigt sich am deutlichsten die Erkenntnis der Zerbrechlichkeit des offenen Welthandels in Zeiten von Seuche und Not. Aber es spiegeln sich auch die politischen Realitäten der zunehmenden Spannungen zwischen den Weltregionen wieder, vor allem im Spannungsfeld China – USA. Mehrere Male wird die notwendige Souveränität der EU in verschiedenen Bereichen betont, z.B. Gesundheitswirtschaft, Schlüsseltechnologien, Künstliche Intelligenz und allgemeine Industriepolitik.
MFR durch Corona verdoppelt
Am 27. Mai hat die EU-Kommission große Teile der deutsch-französischen Initiative übernommen und insbesondere auf den strittigen Punkt 2 noch eine Schüppe draufgelegt. Nicht 500 Milliarden, sondern 750 Milliarden Euros soll das zweite Rettungspaket enthalten. 500 Milliarden sollen der deutsch-französischen Initiative folgend als Beihilfen der EU gezahlt werden, die ab dem Jahr 2028, also dem Beginn des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens 2028 – 2034 in einer Zeitspanne von 30 Jahren entsprechend der dann geltenden jeweiligen Anteile der Mitgliedsstaaten zurückgezahlt werden sollen.
Wenn also Italien nun aufgerundet 82 Milliarden Beihilfe bekommt, muss das Land nach aktuellem Schlüssel 14%, rund 11,5 Milliarden davon anteilig selber zurückzahlen. Die darüber hinausgehenden 250 Milliarden sollen in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der »sparsamen Vier« Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark als rückzahlbare Kredite ausgereicht werden. Davon sollen 91 Milliarden an Italien gehen, das unter einer Schuldenlast von über 170% des BIP liegt, diese müssten vollständig zurückgezahlt werden. Der 750 Milliarden Euro Vorschlag der Kommission hat die Kommunikation am Nachmittag dominiert, der neue Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen fiel dementsprechend in die zweite Reihe der Aufmerksamkeit. Er soll in etwa bei 1,1 Billion Euro für die nächsten sieben Jahre bleiben, ein Schwerpunkt darin der »Green Deal«.
In den kommenden Wochen wird es hinter und vor den Kulissen weitergehen, denn schließlich ist die Konsequenz trotz der zeitlichen Befristung der qualitative Einstieg in eine gemeinsame europäische Finanzermächtigung der EU. Zugleich wird über die Ausdehnung der Einnahmekompetenzen der EU gesprochen, z.B. Plastiksteuer, Finanztransaktionssteuer oder Digitalsteuer. Am 18. und 19. Juni tritt der nächste EU-Ratsgipfel zusammen und muss über das Gesamtpaket befinden, weil die Kommissionspräsidentin von der Leyen die Verabschiedung des 750 Milliarden Pakets und des Mehrjährigen Finanzrahmens aneinander gekoppelt hat. Rechnet man die bereits verabredeten 540 Milliarden Euro – mit dem europäischen Kurzarbeiterprogramm Sure, das am Freitag im Bundestag behandelt wurde – für das erste Corona-Paket aus dem April hinzu, wird der »Corona-MFR« ein Volumen in Höhe von ca. 2,3 Billionen Euro haben. Die EU-Eigenmittelquote von derzeit gut 1,2% wird sich dadurch verdoppeln. Am Ende müssen alle 27 Mitgliedsstaaten den Vorschlag bestätigen, es bleibt spannend, ob Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark den Vorschlag am Ende kippen oder akzeptieren.
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