Auf dem kommenden Parteitag wird ein neuer Vorstand gewählt. Ich werde nach acht Jahren Mitgliedschaft im Parteivorstand, vier davon als Bundesschatzmeister, nicht wieder antreten.

Parteitag der LINKEN

Von Göttingen und Erfurt

 

Der mittlerweile 16. Parteitag der LINKEN wird Ende Oktober/Anfang November wieder in der Thüringer Landeshauptstadt durchgeführt. Damit versammelt sie sich ein zweites Mal in Erfurt, wo sie auf dem Parteitag von 2011 in großer Einmütigkeit mit knapp 97% ihr bis heute gültiges Programm beschlossen hat. Es heißt am Ende der Präambel:

„Wir haben uns zusammengeschlossen zu einer neuen politischen Kraft, die für Freiheit und Gleichheit steht, konsequent für Frieden kämpft, demokratisch und sozial ist, ökologisch und feministisch, offen und plural, streitbar und tolerant. (…) Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird. Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.“

Ein Jahr später steckte die Partei in ihrer bis dahin schwersten Krise ihrer Geschichte und traf sich in Göttingen. Ausgerechnet in einer alten Lokhalle drohten zwei Züge mit hoher Geschwindigkeit frontal aufeinander zu prallen. Auf dem Podium war in den Reden von Gysi und Lafontaine die Rede von Spaltung und Hass in Partei und Fraktion. DIE LINKE, eine Neugründung aus PDS und WASG, stand nur wenige Jahre nach ihrer Gründung vor der Scheidung. Am Ende des Parteitages waren Katja Kipping und Bernd Riexinger als neue Parteivorsitzende gewählt. Die Erinnerungen und tiefen Spuren, die der Erfurter Parteitag 2011 und der Göttinger Parteitag 2012 hinterlassen haben, hätten nicht viel unterschiedlicher sein können.

Auf dem kommenden Erfurter Parteitag wird ein neuer Vorstand gewählt, Katja und Bernd kandidieren entsprechend der Satzung §32, Absatz (3) nach acht Jahren nicht wieder als Vorsitzende. Dies gilt auch für mich persönlich, denn ich werde ebenso nach acht Jahren Mitgliedschaft im Parteivorstand, vier davon als Bundesschatzmeister (2014 – 2018), nicht wieder antreten. Wenn man es symbolisch beschreiben will, endet im Oktober mit der Neuwahl der Vorsitzenden ein Abschnitt in der Parteientwicklung und zugleich beginnt ein neuer. In diesem Abschnitt wird der Generationenwechsel ein gutes Stück weitergeführt, viele Mitglieder der Quellparteien haben ihren Beitrag geleistet und ziehen sich aufs Altenteil zurück, jüngere Mitglieder der LINKEN, die ihre primäre und sekundäre Sozialisation nach dem Mauerfall und der deutschen Einheit erlebt haben, treten nach vorne.

Erlebt die Republik einen Baden-Württemberg-Moment?

Die Partei stellt sich in einer Zeit des Umbruchs personell und damit zu einem Stück auch in der inhaltlichen Gewichtung neu auf, in der sich sämtliche politische Parteien der Bundesrepublik auf den schon heraufziehenden Bundestagswahlkampf personell und thematisch neu positionieren. Insofern liegt die erste Aufgabe des neuen Bundesvorstandes von 2020 bis 2022 in der Vor- und Nachbereitung der Wahl im September 2021. Es wird die erste Wahl seit 2005, in der Angela Merkel (CDU) nach vier Amtszeiten und langen 16 Jahren nicht wieder für das Amt der Kanzlerin antritt. DIE LINKE ist 2005 das erste Mal als Folge der Hartz-IV-Politik der SPD-Grünen Bundesregierung zu einer Bundestagswahl angetreten. Auch hier endet ein Politikabschnitt der Bundesrepublik Deutschland, denn die politischen Rahmenbedingungen haben sich seit Anfang der 2000er-Jahre sehr stark verändert.

Darin liegen Risiko und Chancen für DIE LINKE gleichermaßen begründet, denn die Partei hat den Abschnitt der Neugründung längst hinter sich gelassen. Sie zählt heute als eine im deutschen Parteiensystem verankerte Kraft und kann dadurch nicht mehr automatisch auf die grundsätzlichen oppositionellen Stimmen setzen, die bei jeder Parteineugründung mehr oder minder stark dabei sind, um es »denen da oben« einmal zu zeigen. Das heißt, die Partei muss unter erschwerten Bedingungen bis zum Wahltag ihre politische Funktion und ihren Nutzen bei den Wahlberechtigten erneut nachweisen. Dafür braucht die Partei ein Profil, mit dem sie nicht nur in den prinzipiellen politischen, sondern auch in den aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen bestehen kann.

Vor uns liegt ein sehr intensiver Wahlkampf, in dessen Dramaturgie es möglicherweise darum geht, ob die Bundesrepublik Deutschland 2021 einen Baden-Württemberg-Moment erlebt. Können die Grünen auch auf Bundesebene stärker werden als die CDU? Unabhängig davon, wie die Frage dieses Mal ausgeht, wird der Wahlkampf die Parteienlandschaft dauerhaft verändern, denn bislang kam lediglich die SPD als einzige Partei für den Einzug ins Kanzleramt in Frage, wenn die Wechselstimmung hoch war. Die traditionellen Kräfte der Arbeiterbewegung werden mit dem Entschwinden der alten industriellen Arbeitswelten weiter schwinden. Dies zeigt uns auch das Ergebnis der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen. Es war die Herzkammer der Sozialdemokratie, weil es die Herzkammer der weitgehend geschlossenen und vielfach schon konversierten Kohle- und Eisenarbeitswelten war. Dem politischen Verfall geht ein Milieuwandel vorher. Dies ist ebenso eine der großen Herausforderungen für DIE LINKE, die eine sehr starke Wurzel in genau dieser traditionsreichen Geschichte der Arbeiter*innen und ihrer Klassenkämpfe hat. Das ist Vergangenheit.

DIE LINKE hat mit der Neuwahl ihres Parteivorstands eine Chance, sich in den vor uns liegenden Wahlkämpfen zu behaupten. Aber auf dem zweiten Erfurter Parteitag geht es nicht nur um die Bundestagswahl und die sechs Landtagswahlen des Jahres 2021 (darunter Thüringen im April), sondern um den Politikzyklus der nächsten acht Jahre, in denen sich DIE LINKE weiter politisch erneuern und wirksam in die bevorstehenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einbringen will. DIE LINKE sollte sich darüber klar werden, dass alte Antworten auf neue, erst in der Gegenwart auftauchende Fragen keinen weiterführenden Beitrag zu diesen Auseinandersetzungen bieten.